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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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welcher die Schweizer dem Unterhändler, einem burgundischen Edelmanne,
100 Gulden gaben, wofür er ihnen im Namen des Herzogs freies Geleit zu¬
sicherte -- ein Verhalten, das der alten Schweizersitte wenig entsprach. Unter
allen Umständen empörend bleibt aber trotzdem das Verhalten Karl's des
Kühnen, der, nachdem er durch die Versprechungen eines seiner Hofkavaliere
gebunden war. die Besatzung gnädig zu behandeln, doch den gesammten Nest
derselben, 412 Mann, aufknüpfen, oder an langen Seilen durch den See zu
Tode schwemmen ließ'") -- eine Unthat, welche sich schwer rächen sollte.

Der Herzog hatte sich während der Belagerung in seinem Lager völlig
eingerichtet. Die Front desselben lehnte sich links an den Mont Thevenon,
rechts an den See und war durch tiefe Gräben sturmfrei gemacht. Fünfzig
der größten Karthaunen vertheidigten diese Front; die mit leichterem Geschütz
versehene Wagenburg diente dem ganzen Lager als Reduit.**)

Ende Februar war endlich ein eidgenössisches Heer von 18,000 Mann,
wobei auch Zuzüge des niederen Bundes, namentlich 400 Straßburger Reiter
und 12 Büchsen, bei Neuenburg versammelt, und obgleich durch den Fall
Grandsons die nächste und, unmittelbarste Veranlassung des beabsichtigten
Kriegszuges erledigt war, so beschlossen die Eidgenossen doch, auf Beruf
Mahnung, beisammen zu bleiben, den Burgunder anzugreifen und den Tod
der Ihren zu rächen. Es war ein kühnes Unternehmen; denn sie mußten
erwarten, den Herzog in seinem befestigten Lager zu finden. Der Weg, den
sie zurückzulegen hatten, lief während fünf Stunden durch unaufhörliche und
ziemlich unwegsame Desileen. Namentlich bei dem Schlosse Vauxmarcus und
bei dem Karthäuserkloster La Laune*^) springen Berge unmittelbar an den
See vor, und treten erst etwa eine halbe Meile vom burgundischen Lager
weiter zurück. Hier bildet sich eine kleine Ebene, die nach dem Feinde zu
durch einen tiefeingeschnittenen Zufluß des Amor und dann durch diesen
Fluß selbst durchzogen ist: Ravtns, welche die Vortheile von Karl's
Stellung noch erhöhten. Es kam also darauf an, in Gegenwart eines über¬
legenen Feindes sich aus einem Engpaß herauszuwinden und einer starken
Cavallerie gegenüber ein ihr nicht ganz ungünstiges Terrain zu durchschreiten,
um endlich eine mit L0 schweren Geschützen besetzte Berschanzung zu stürmen.1')
Wunderbarer Weise machte ihnen aber der Herzog die Sache viel leichter.

Karl war nämlich inzwischen nordwärts reeognoscirend bis Vauxmarcus





^ Panicharola bei v. Rode u. Olii-omiink anonym".
Chroniken von Dicbold Schilling und Petermann Ettcrlin.
Das Kloster La Laune-Chartrcusc war von den Grandsons gestiftet und bewahrte als
Heiligthum ein Strick von dem Schafte der Lanze des heiligen Moritz. Diese heilige Lanze
war aber nichts als der handgreifliche Ausdruck eines sprachlichen Mißverständnisses: "l.-me^v"
heißt nämlich im romanischen Dialekt der Waal soviel wie "Thalschlucht" oder "<5"gpafi".
1) v. Brandt a. a. O.

welcher die Schweizer dem Unterhändler, einem burgundischen Edelmanne,
100 Gulden gaben, wofür er ihnen im Namen des Herzogs freies Geleit zu¬
sicherte — ein Verhalten, das der alten Schweizersitte wenig entsprach. Unter
allen Umständen empörend bleibt aber trotzdem das Verhalten Karl's des
Kühnen, der, nachdem er durch die Versprechungen eines seiner Hofkavaliere
gebunden war. die Besatzung gnädig zu behandeln, doch den gesammten Nest
derselben, 412 Mann, aufknüpfen, oder an langen Seilen durch den See zu
Tode schwemmen ließ'") — eine Unthat, welche sich schwer rächen sollte.

Der Herzog hatte sich während der Belagerung in seinem Lager völlig
eingerichtet. Die Front desselben lehnte sich links an den Mont Thevenon,
rechts an den See und war durch tiefe Gräben sturmfrei gemacht. Fünfzig
der größten Karthaunen vertheidigten diese Front; die mit leichterem Geschütz
versehene Wagenburg diente dem ganzen Lager als Reduit.**)

Ende Februar war endlich ein eidgenössisches Heer von 18,000 Mann,
wobei auch Zuzüge des niederen Bundes, namentlich 400 Straßburger Reiter
und 12 Büchsen, bei Neuenburg versammelt, und obgleich durch den Fall
Grandsons die nächste und, unmittelbarste Veranlassung des beabsichtigten
Kriegszuges erledigt war, so beschlossen die Eidgenossen doch, auf Beruf
Mahnung, beisammen zu bleiben, den Burgunder anzugreifen und den Tod
der Ihren zu rächen. Es war ein kühnes Unternehmen; denn sie mußten
erwarten, den Herzog in seinem befestigten Lager zu finden. Der Weg, den
sie zurückzulegen hatten, lief während fünf Stunden durch unaufhörliche und
ziemlich unwegsame Desileen. Namentlich bei dem Schlosse Vauxmarcus und
bei dem Karthäuserkloster La Laune*^) springen Berge unmittelbar an den
See vor, und treten erst etwa eine halbe Meile vom burgundischen Lager
weiter zurück. Hier bildet sich eine kleine Ebene, die nach dem Feinde zu
durch einen tiefeingeschnittenen Zufluß des Amor und dann durch diesen
Fluß selbst durchzogen ist: Ravtns, welche die Vortheile von Karl's
Stellung noch erhöhten. Es kam also darauf an, in Gegenwart eines über¬
legenen Feindes sich aus einem Engpaß herauszuwinden und einer starken
Cavallerie gegenüber ein ihr nicht ganz ungünstiges Terrain zu durchschreiten,
um endlich eine mit L0 schweren Geschützen besetzte Berschanzung zu stürmen.1')
Wunderbarer Weise machte ihnen aber der Herzog die Sache viel leichter.

Karl war nämlich inzwischen nordwärts reeognoscirend bis Vauxmarcus





^ Panicharola bei v. Rode u. Olii-omiink anonym«.
Chroniken von Dicbold Schilling und Petermann Ettcrlin.
Das Kloster La Laune-Chartrcusc war von den Grandsons gestiftet und bewahrte als
Heiligthum ein Strick von dem Schafte der Lanze des heiligen Moritz. Diese heilige Lanze
war aber nichts als der handgreifliche Ausdruck eines sprachlichen Mißverständnisses: „l.-me^v"
heißt nämlich im romanischen Dialekt der Waal soviel wie „Thalschlucht" oder „<5»gpafi".
1) v. Brandt a. a. O.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/54>, abgerufen am 25.08.2024.