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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Befestigung auf diesem Gebiet, der dritte und letzte die gänzliche Unterwerfung
desselben unter Rom und das Ende des Bonifacius, woran sich eine Charak-
terisirung desselben knüpft, der wir Folgendes entnehmen:

Nicht ein allgemeiner Culturzweck, Beseitigung heidnischer Barbarei, Ein¬
führung milderer Sitten, kein humanes Interesse hat die Wirksamkeit des
Bonifacius beseelt, sondern lediglich die theokratische Idee. Er war ein Mann,
der sich von Anfang bis zu Ende zu dem Programm bekannte, daß ohne den
katholischen Glauben und außer der römischen Kirche Niemand selig werden
kann. Die Kirche eine Theokratie, die Priesterschaft ein sich vom Papst an
abstufendes Levitenthum, die Seligkeit bedingt durch des Gesetzes Werke, Alle,
welche den hierarchischen Einrichtungen und kirchlichen Geboten den Gehorsam
versagen, todeswürdige Feinde, verruchte Missethäter und unreine Ketzer --
so stellte sich seinem Geiste die christliche Welt dar. So erschien ihm als
seine Aufgabe, als Träger des Gesetzes die Ungehorsamen zu verstoßen, die
Völker für Rom zu discipliniren und bis in das kleinste Detail hinein die
nationalen Eigenthümlichkeiten auszurotten, damit die Uniformität des Volkes
Gottes gewonnen werde.

Ohne Zweifel war Bonifacius das Ideal eines römischen Priesters. Ernst
faßte er sein Amt als Fortsetzung des prophetischen Wächteramtes auf. Aus¬
schließlich suchte und fand er die Seligkeit in der Unterwerfung unter den
Nachfolger Petri. Fest glaubte er an die Vollmacht, die Christus diesem
Apostel ertheilt haben sollte. Unermüdet stand er bis zu seinem späten Lebens¬
abend auf seinem Posten. Wenig für sich begehrend, richtete er sein Streben
stets nur auf die Sache, der er sich geweiht hatte. Aber es ist ein schwerer Irr¬
thum oder bewußte Verdrehung der Thatsachen und Verhältnisse, wenn ultra¬
montane Schriftsteller behaupten, das Christenthum und die Gesittung hätten
nur durch einen solchen Knecht Roms in Deutschland weiter verbreitet und
nur mit der von ihm vertretenen Auffassung des Wesens der Kirche befestigt
werden können. "Nicht den Bonifacius soll man verurthetlen, er hat als
katholischer Christ und Benedictinermönch nach bestem Wissen und Gewissen
gehandelt, als er in die Dienste Gregor's II. trat und Deutschland für Rom
zu erobern begann. Aber man muß die Unfehlbarkeitstheorie jener Dogma-
tiker der Weltgeschichte bestreiten, welche überall und so auch bei der Romani-
sirung Deutschlands davon ausgehen, daß alles Gewordene vernünftig sei,
und daß es gar nicht anders hätte kommen dürfen, als es gekommen ist."
Wir sehen aus dem Buche, mit welchen Mitteln Deutschland und Frankreich
für den Papst geöffnet wurden, und wir erklären es mit dem Verfasser "für
einen Frevel am Geist der Geschichte, wenn man in dem Romanisirungs-
proeeß eine berechtigte Sache, weil eine geschichtliche Nothwendigkeit, und
einen großen und lobenswerthen Fortschritt erkennen und rühmen will. Man


Befestigung auf diesem Gebiet, der dritte und letzte die gänzliche Unterwerfung
desselben unter Rom und das Ende des Bonifacius, woran sich eine Charak-
terisirung desselben knüpft, der wir Folgendes entnehmen:

Nicht ein allgemeiner Culturzweck, Beseitigung heidnischer Barbarei, Ein¬
führung milderer Sitten, kein humanes Interesse hat die Wirksamkeit des
Bonifacius beseelt, sondern lediglich die theokratische Idee. Er war ein Mann,
der sich von Anfang bis zu Ende zu dem Programm bekannte, daß ohne den
katholischen Glauben und außer der römischen Kirche Niemand selig werden
kann. Die Kirche eine Theokratie, die Priesterschaft ein sich vom Papst an
abstufendes Levitenthum, die Seligkeit bedingt durch des Gesetzes Werke, Alle,
welche den hierarchischen Einrichtungen und kirchlichen Geboten den Gehorsam
versagen, todeswürdige Feinde, verruchte Missethäter und unreine Ketzer —
so stellte sich seinem Geiste die christliche Welt dar. So erschien ihm als
seine Aufgabe, als Träger des Gesetzes die Ungehorsamen zu verstoßen, die
Völker für Rom zu discipliniren und bis in das kleinste Detail hinein die
nationalen Eigenthümlichkeiten auszurotten, damit die Uniformität des Volkes
Gottes gewonnen werde.

Ohne Zweifel war Bonifacius das Ideal eines römischen Priesters. Ernst
faßte er sein Amt als Fortsetzung des prophetischen Wächteramtes auf. Aus¬
schließlich suchte und fand er die Seligkeit in der Unterwerfung unter den
Nachfolger Petri. Fest glaubte er an die Vollmacht, die Christus diesem
Apostel ertheilt haben sollte. Unermüdet stand er bis zu seinem späten Lebens¬
abend auf seinem Posten. Wenig für sich begehrend, richtete er sein Streben
stets nur auf die Sache, der er sich geweiht hatte. Aber es ist ein schwerer Irr¬
thum oder bewußte Verdrehung der Thatsachen und Verhältnisse, wenn ultra¬
montane Schriftsteller behaupten, das Christenthum und die Gesittung hätten
nur durch einen solchen Knecht Roms in Deutschland weiter verbreitet und
nur mit der von ihm vertretenen Auffassung des Wesens der Kirche befestigt
werden können. „Nicht den Bonifacius soll man verurthetlen, er hat als
katholischer Christ und Benedictinermönch nach bestem Wissen und Gewissen
gehandelt, als er in die Dienste Gregor's II. trat und Deutschland für Rom
zu erobern begann. Aber man muß die Unfehlbarkeitstheorie jener Dogma-
tiker der Weltgeschichte bestreiten, welche überall und so auch bei der Romani-
sirung Deutschlands davon ausgehen, daß alles Gewordene vernünftig sei,
und daß es gar nicht anders hätte kommen dürfen, als es gekommen ist."
Wir sehen aus dem Buche, mit welchen Mitteln Deutschland und Frankreich
für den Papst geöffnet wurden, und wir erklären es mit dem Verfasser „für
einen Frevel am Geist der Geschichte, wenn man in dem Romanisirungs-
proeeß eine berechtigte Sache, weil eine geschichtliche Nothwendigkeit, und
einen großen und lobenswerthen Fortschritt erkennen und rühmen will. Man


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[0485] Befestigung auf diesem Gebiet, der dritte und letzte die gänzliche Unterwerfung desselben unter Rom und das Ende des Bonifacius, woran sich eine Charak- terisirung desselben knüpft, der wir Folgendes entnehmen: Nicht ein allgemeiner Culturzweck, Beseitigung heidnischer Barbarei, Ein¬ führung milderer Sitten, kein humanes Interesse hat die Wirksamkeit des Bonifacius beseelt, sondern lediglich die theokratische Idee. Er war ein Mann, der sich von Anfang bis zu Ende zu dem Programm bekannte, daß ohne den katholischen Glauben und außer der römischen Kirche Niemand selig werden kann. Die Kirche eine Theokratie, die Priesterschaft ein sich vom Papst an abstufendes Levitenthum, die Seligkeit bedingt durch des Gesetzes Werke, Alle, welche den hierarchischen Einrichtungen und kirchlichen Geboten den Gehorsam versagen, todeswürdige Feinde, verruchte Missethäter und unreine Ketzer — so stellte sich seinem Geiste die christliche Welt dar. So erschien ihm als seine Aufgabe, als Träger des Gesetzes die Ungehorsamen zu verstoßen, die Völker für Rom zu discipliniren und bis in das kleinste Detail hinein die nationalen Eigenthümlichkeiten auszurotten, damit die Uniformität des Volkes Gottes gewonnen werde. Ohne Zweifel war Bonifacius das Ideal eines römischen Priesters. Ernst faßte er sein Amt als Fortsetzung des prophetischen Wächteramtes auf. Aus¬ schließlich suchte und fand er die Seligkeit in der Unterwerfung unter den Nachfolger Petri. Fest glaubte er an die Vollmacht, die Christus diesem Apostel ertheilt haben sollte. Unermüdet stand er bis zu seinem späten Lebens¬ abend auf seinem Posten. Wenig für sich begehrend, richtete er sein Streben stets nur auf die Sache, der er sich geweiht hatte. Aber es ist ein schwerer Irr¬ thum oder bewußte Verdrehung der Thatsachen und Verhältnisse, wenn ultra¬ montane Schriftsteller behaupten, das Christenthum und die Gesittung hätten nur durch einen solchen Knecht Roms in Deutschland weiter verbreitet und nur mit der von ihm vertretenen Auffassung des Wesens der Kirche befestigt werden können. „Nicht den Bonifacius soll man verurthetlen, er hat als katholischer Christ und Benedictinermönch nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, als er in die Dienste Gregor's II. trat und Deutschland für Rom zu erobern begann. Aber man muß die Unfehlbarkeitstheorie jener Dogma- tiker der Weltgeschichte bestreiten, welche überall und so auch bei der Romani- sirung Deutschlands davon ausgehen, daß alles Gewordene vernünftig sei, und daß es gar nicht anders hätte kommen dürfen, als es gekommen ist." Wir sehen aus dem Buche, mit welchen Mitteln Deutschland und Frankreich für den Papst geöffnet wurden, und wir erklären es mit dem Verfasser „für einen Frevel am Geist der Geschichte, wenn man in dem Romanisirungs- proeeß eine berechtigte Sache, weil eine geschichtliche Nothwendigkeit, und einen großen und lobenswerthen Fortschritt erkennen und rühmen will. Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/485>, abgerufen am 01.07.2024.