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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Am 7. März kam ferner zur ersten Berathung das Gesetz über die Auf¬
sichtsrechte des Staats bei der Vermögensverwaltung in den katholischen
Diöcesen. Wie vorher von Seiten der Polen, erfolgten bei diesem Gesetz von
Seiten des Centrums die lebhaftesten Proteste. Die Berathung wurde erst
am 8. März zu Ende geführt, und gestaltete sich zu einer Kulturkampfdebatte
im bekannten Stil. Bemerkenswerth war dabei unter Anderm die Aeußerung
des Abg. v. Schorlemer-Alse gegen den Reichskanzler: So lang der Kaiser
diesen Friedland läßt walten, so lang wird nicht Fried' im Land. Es sind
das bekanntlich die Schlußworte der Kapuzinerpredigt in Wallenstein's Lager.
Wollte nun der Abg. mit seinem Citat sagen, daß das Centrum zum Reichs¬
kanzler sich verhält, wie die Jesuiten und Kapuziner des 17. Jahrhunderts
in Oestreich zu den großen Plänen Wallenstein's? Wenn das Haus Habs¬
burg diese Pläne adoptirt hätte, so wäre der westfälische Friede nicht noth¬
wendig geworden, welcher doch nichts anderes war, als der erste große Au¬
schnitt der Amputation Oestreichs von Deutschland, welche sich 1866 vollenden
mußte. In Deutschland ist heute der Geist Friedland's nicht in Opposition
mit dem Staatsgeist und Herrscherhaus, sondern beider wahrer Vollstrecker.
Darin liegt die Bürgschaft für Deutschlands Zukunft. Der Sieg der Kapu¬
ziner, der im 17. Jahrhundert Oestreich von Deutschland losgerissen, würde
im 19. Jahrhundert die deutsche Nation in tausend Fetzen zereißen. Welches
Glück, daß dieser Sieg nicht zu fürchten ist! -- Die Gesetzvorlage wurde einer
Commission von 14 Mitgliedern überwiesen.

Es folgte die Weiterführung der Haushaltsberathung. Als am 10.
März diese Berathung zu den Ausgaben des Kultusministeriums gelangte,
benutzte das Centrum diesen Anlaß, plötzlich seine Stellung zur evangelischen
Kirchenverfassung an den Tag zu bringen, über die es bei der Berathung des
betreffenden Gesetzes geschwiegen. Die Herren vom Centrum behaupteten
nämlich: durch das Gesetz über die evangelische Kirchenverfassung und durch
die Stellung der Königs und des Kultusministers in dieser Verfassung würde
die Parität der Confessionen im preußischen Staat verletzt. Diese Behauptung
war natürlich den Herren Virchow, Hänel u. s. w. ein Gefundenes. Auf
diese Weise erhielten wir eine zweite Generaldiscussion der evangelischen
Kirchenverfassung. Nachdem dieser Gegenstand jedoch schon eingehend hier
behandelt worden und da überdies die nochmalige Behandlung bei der zweiten
Berathung des Staatsgesetzes über die evangelische Kirchenverfassung sich er¬
giebt, wollen wir uns heute des ausführlichen Eingehens enthalten. Zutreffend
war eine Bemerkung des Abg. Miquel: die Parität der Confessionen könne
nicht im Sinne mechanischer Gleichmäßigkeit verstanden werden. Noch zu¬
treffender wäre freilich das unumwundene Zugeständniß der Wahrheit gewesen,
daß der sogenannte paritätische Staat ein Nonsens ist, der nirgends existiren


Am 7. März kam ferner zur ersten Berathung das Gesetz über die Auf¬
sichtsrechte des Staats bei der Vermögensverwaltung in den katholischen
Diöcesen. Wie vorher von Seiten der Polen, erfolgten bei diesem Gesetz von
Seiten des Centrums die lebhaftesten Proteste. Die Berathung wurde erst
am 8. März zu Ende geführt, und gestaltete sich zu einer Kulturkampfdebatte
im bekannten Stil. Bemerkenswerth war dabei unter Anderm die Aeußerung
des Abg. v. Schorlemer-Alse gegen den Reichskanzler: So lang der Kaiser
diesen Friedland läßt walten, so lang wird nicht Fried' im Land. Es sind
das bekanntlich die Schlußworte der Kapuzinerpredigt in Wallenstein's Lager.
Wollte nun der Abg. mit seinem Citat sagen, daß das Centrum zum Reichs¬
kanzler sich verhält, wie die Jesuiten und Kapuziner des 17. Jahrhunderts
in Oestreich zu den großen Plänen Wallenstein's? Wenn das Haus Habs¬
burg diese Pläne adoptirt hätte, so wäre der westfälische Friede nicht noth¬
wendig geworden, welcher doch nichts anderes war, als der erste große Au¬
schnitt der Amputation Oestreichs von Deutschland, welche sich 1866 vollenden
mußte. In Deutschland ist heute der Geist Friedland's nicht in Opposition
mit dem Staatsgeist und Herrscherhaus, sondern beider wahrer Vollstrecker.
Darin liegt die Bürgschaft für Deutschlands Zukunft. Der Sieg der Kapu¬
ziner, der im 17. Jahrhundert Oestreich von Deutschland losgerissen, würde
im 19. Jahrhundert die deutsche Nation in tausend Fetzen zereißen. Welches
Glück, daß dieser Sieg nicht zu fürchten ist! — Die Gesetzvorlage wurde einer
Commission von 14 Mitgliedern überwiesen.

Es folgte die Weiterführung der Haushaltsberathung. Als am 10.
März diese Berathung zu den Ausgaben des Kultusministeriums gelangte,
benutzte das Centrum diesen Anlaß, plötzlich seine Stellung zur evangelischen
Kirchenverfassung an den Tag zu bringen, über die es bei der Berathung des
betreffenden Gesetzes geschwiegen. Die Herren vom Centrum behaupteten
nämlich: durch das Gesetz über die evangelische Kirchenverfassung und durch
die Stellung der Königs und des Kultusministers in dieser Verfassung würde
die Parität der Confessionen im preußischen Staat verletzt. Diese Behauptung
war natürlich den Herren Virchow, Hänel u. s. w. ein Gefundenes. Auf
diese Weise erhielten wir eine zweite Generaldiscussion der evangelischen
Kirchenverfassung. Nachdem dieser Gegenstand jedoch schon eingehend hier
behandelt worden und da überdies die nochmalige Behandlung bei der zweiten
Berathung des Staatsgesetzes über die evangelische Kirchenverfassung sich er¬
giebt, wollen wir uns heute des ausführlichen Eingehens enthalten. Zutreffend
war eine Bemerkung des Abg. Miquel: die Parität der Confessionen könne
nicht im Sinne mechanischer Gleichmäßigkeit verstanden werden. Noch zu¬
treffender wäre freilich das unumwundene Zugeständniß der Wahrheit gewesen,
daß der sogenannte paritätische Staat ein Nonsens ist, der nirgends existiren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/483>, abgerufen am 01.07.2024.