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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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sehr viel Gutes geleistet werden kann, wenn dieselbe planmäßig benützt wird.
Schon hat sich in mehreren Staatswahlen dieser Einfluß insofern fühlbar
gemacht, als die beiden alten Parteien bestrebt waren, das unabhängige
Votum für sich zu gewinnen, und zu diesem Zwecke übte das unabhängige
Element eine sehr lobenswerthe Vorsicht in der Auswahl von Candidaten.
In anderen Fällen wurde jedoch den Unabhängigen nur die Wahl zwischen
zwei Uebeln gelassen, und sie mußten sich nothgedrungen derjenigen Seite zu¬
wenden, auf welcher das Unheil am geringsten war.

Was den letztgenannten Punkt, die Wahl zwischen zwei Uebeln, aude?
trifft, so ließ sich Karl Schurz jüngst in seinem Organe, der "Wesel. Post",
also vernehmen: "Ueber Eines darf man sich in Amerika keine Illusion
machen; wenn politische Parteiorganisationen alt geworden sind, so daß das
selbstsüchtige Element Zeit gehabt hat, sich an die Spitze zu arbeiten und die
Controlle der Maschinerie zu gewinnen -- und das ist bei allen Parteiorga¬
nisationen fast immer der Fall -- so wird der Besitz und die Ausnützung
der Gewalt durch die Handwerkspolitiker stets einer der herrschenden Gesichts¬
punkte in der Parteipolitik sein, zuweilen sogar der einzige; und die "Macher"
werden den besseren Tendenzen nur die Concessionen machen, die zum Siege
bei den Wahlen absolut nothwendig erscheinen. Bringt sich die eine Partei
in besonders üblen Geruch, so daß sie die Unabhängigen abstößt, so wird
die andere Partei es um so weniger für nöthig halten, tugendhaft zu sein,
um die Unabhängigen zu gewinnen. Wer steht nun den Letzteren dafür, daß
sie nicht auf ähnliche Weise bei der nächsten Präsidentenwahl wieder zu einer
Wahl zwischen zwei Uebeln gezwungen sein werden? Dies wird aber um so
eher der Fall sein, wenn die Unabhängigen von vornherein zugestehen, daß
sie die beiden alten Parteien gewähren lassen müssen, um erst später, wenn
diese ihre Politik fest bestimmt und ihre Candidaten aufgestellt haben, sich
auf die eine oder die andere Seite zu schlagen. Nichts könnte für die Re¬
publikaner und Demokraten eine stärkere Ermuthigung sein, die selbstsüchtigsten
Tendenzen vorwalten zu lassen, als eine durchaus passive Haltung der Unab¬
hängigen. Schon jetzt sehen wir die Vorzeichen davon. "Wie können die
Unabhängigen mit den Republikanern zusammengehen", sagen die Demokraten,
"nachdem durch die Enthüllungen, die das ganze Land in Erstaunen gesetzt
haben, eine so scheußlich corrupte Wirthschaft ans Licht gekommen ist."
"Natürlich werden die Unabhängigen gezwungen sein, mit uns zu gehen,"
sagen die Republikaner, "nachdem es sich gezeigt hat, daß sich nach jedem
demokratischen Erfolge das Rebellen-Element mit dem größten Ungestüm
wieder vordrängt und daß in Bezug auf die Finanzpolitik die schlimmsten
Tendenzen im demokratischen Lager vorwalten." Es ist gewiß, sollte die¬
jenige Partei, welche zuerst ihre Candidaten aufstellt, einen Mißgriff machen,


sehr viel Gutes geleistet werden kann, wenn dieselbe planmäßig benützt wird.
Schon hat sich in mehreren Staatswahlen dieser Einfluß insofern fühlbar
gemacht, als die beiden alten Parteien bestrebt waren, das unabhängige
Votum für sich zu gewinnen, und zu diesem Zwecke übte das unabhängige
Element eine sehr lobenswerthe Vorsicht in der Auswahl von Candidaten.
In anderen Fällen wurde jedoch den Unabhängigen nur die Wahl zwischen
zwei Uebeln gelassen, und sie mußten sich nothgedrungen derjenigen Seite zu¬
wenden, auf welcher das Unheil am geringsten war.

Was den letztgenannten Punkt, die Wahl zwischen zwei Uebeln, aude?
trifft, so ließ sich Karl Schurz jüngst in seinem Organe, der „Wesel. Post",
also vernehmen: „Ueber Eines darf man sich in Amerika keine Illusion
machen; wenn politische Parteiorganisationen alt geworden sind, so daß das
selbstsüchtige Element Zeit gehabt hat, sich an die Spitze zu arbeiten und die
Controlle der Maschinerie zu gewinnen — und das ist bei allen Parteiorga¬
nisationen fast immer der Fall — so wird der Besitz und die Ausnützung
der Gewalt durch die Handwerkspolitiker stets einer der herrschenden Gesichts¬
punkte in der Parteipolitik sein, zuweilen sogar der einzige; und die „Macher"
werden den besseren Tendenzen nur die Concessionen machen, die zum Siege
bei den Wahlen absolut nothwendig erscheinen. Bringt sich die eine Partei
in besonders üblen Geruch, so daß sie die Unabhängigen abstößt, so wird
die andere Partei es um so weniger für nöthig halten, tugendhaft zu sein,
um die Unabhängigen zu gewinnen. Wer steht nun den Letzteren dafür, daß
sie nicht auf ähnliche Weise bei der nächsten Präsidentenwahl wieder zu einer
Wahl zwischen zwei Uebeln gezwungen sein werden? Dies wird aber um so
eher der Fall sein, wenn die Unabhängigen von vornherein zugestehen, daß
sie die beiden alten Parteien gewähren lassen müssen, um erst später, wenn
diese ihre Politik fest bestimmt und ihre Candidaten aufgestellt haben, sich
auf die eine oder die andere Seite zu schlagen. Nichts könnte für die Re¬
publikaner und Demokraten eine stärkere Ermuthigung sein, die selbstsüchtigsten
Tendenzen vorwalten zu lassen, als eine durchaus passive Haltung der Unab¬
hängigen. Schon jetzt sehen wir die Vorzeichen davon. „Wie können die
Unabhängigen mit den Republikanern zusammengehen", sagen die Demokraten,
„nachdem durch die Enthüllungen, die das ganze Land in Erstaunen gesetzt
haben, eine so scheußlich corrupte Wirthschaft ans Licht gekommen ist."
„Natürlich werden die Unabhängigen gezwungen sein, mit uns zu gehen,"
sagen die Republikaner, „nachdem es sich gezeigt hat, daß sich nach jedem
demokratischen Erfolge das Rebellen-Element mit dem größten Ungestüm
wieder vordrängt und daß in Bezug auf die Finanzpolitik die schlimmsten
Tendenzen im demokratischen Lager vorwalten." Es ist gewiß, sollte die¬
jenige Partei, welche zuerst ihre Candidaten aufstellt, einen Mißgriff machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/475>, abgerufen am 02.07.2024.