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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Weise wird jeder Frauencharakter Masons's verallgemeinert, als deutscher Typus
ausgegeben. "Es war eine selige Stunde für Hanna und ein paar glückliche
folgten, dann war sie ihres Kindes müde. Eine Amme kam, diese genoß die
wahren Mutterfreuden, sie zog das Kind auf. Hanna durste selbstverständlich
ihre herrliche Büste nicht in Gefahr bringen, es ist doch viel wichtiger, auf
einem Balle seine Schultern zu zeigen, als dem Kinde die Mutterbrust zu geben.
Wie sollte es Hanna gelingen, ihre Pflicht als Gattin und Mutter zu erfüllen,
sie ist eine gebildete deutsche Frau, sie hat Wichtigeres zu thun
Stoffe zu wählen, neue Toiletten anzuordnen, sich anzukleiden, ihre Augen¬
brauen zu malen, falsches Haar auf ihrem Kopfe zu befestigen, das Theater
zu besuchen, in Soire'en zu glänzen, vielleicht auch zu liebeln. Wer könnte '
sie deshalb tadeln?"

Das sind einige der milderen Stellen, in denen der Autor nach seinen
angeblichen Erfahrungen über deutsche Frauen spricht. Andre sind so un-
fläthig, daß kein anständiges Blatt sie mittheilen kann. Jedes Wort der
Kritik ist überflüssig, wo die Worte des Verfassers selbst so deutlich den Werth
der Frauen, die er kennt, bezeichnen. Wenn die deutsche Frauenwelt ganz
im Allgemeinen an diesen Exemplaren von Weiblichkeit gemessen wird: an
einer Königin, welche die moderne Messaline spielt und dabei bigott ist; einer
Valeria, die ihre Anbeter den Champagner austrinken läßt, in dem sie sich
gebadet hat; einer Hanna, die "halb in den Polstern des Sophas lag und den
einen Fuß über den andern heraufgezogen hatte, so daß ein kleiner Sammt¬
pantoffel unmittelbar vor Plant's Nase herumbalanzirte"; einer Gräfin Bärn-
burg, die denselben Plant, der ihr einen sehr leichten Roman vorliest "mit
ihren ruhigen Augen anlächelt" und lispelt: "Wie pikant! nicht? möchten Sie
nicht auch einmal so was erleben"? -- wenn das Typen des Durchschnitts¬
charakters deutscher Frauen sein sollen, dann kann der Autor in Deutschland
nur kennen gelernt haben die Bewohnerinnen öffentlicher Häuser, und Dirnen,
die mit ihnen in sittlicher Hinsicht auf gleicher Stufe stehen.

Für das ungewöhnliche Maß der Wahrheitsliebe und der Kenntniß
deutscher Zustände, welche Herrn Sander-Masons innewohnt, dürsten zum
Schlüsse einige Aussprüche lehrreich sein, durch welche uns der Autor "nur
wahr" zu schildern versichert. Da heißt es: "Die Großen plündern die
Kleinen, die Reichen die Armen, die ersteren mißbrauchen ihre Stellung, ihren
Einfluß, um die bescheidenen Leute, welche keine Verbindung bei Hofe (!),
keinen Einblick in die Depeschen (!) haben, schamlos ihres Eigenthums zu be¬
rauben. Wen kümmert der Ruin von Tausenden rechtlicher deutscher Familien,
die Großen bauen Paläste und mischen den Mörtel mit dem Blute ihrer
Opfer. Und dies alles mit einem Cynismus, einer Rohheit, die wir bei
anderen Nationen vergebens suchen, der Russe blieb unter ähnlichen Verhält-


Weise wird jeder Frauencharakter Masons's verallgemeinert, als deutscher Typus
ausgegeben. „Es war eine selige Stunde für Hanna und ein paar glückliche
folgten, dann war sie ihres Kindes müde. Eine Amme kam, diese genoß die
wahren Mutterfreuden, sie zog das Kind auf. Hanna durste selbstverständlich
ihre herrliche Büste nicht in Gefahr bringen, es ist doch viel wichtiger, auf
einem Balle seine Schultern zu zeigen, als dem Kinde die Mutterbrust zu geben.
Wie sollte es Hanna gelingen, ihre Pflicht als Gattin und Mutter zu erfüllen,
sie ist eine gebildete deutsche Frau, sie hat Wichtigeres zu thun
Stoffe zu wählen, neue Toiletten anzuordnen, sich anzukleiden, ihre Augen¬
brauen zu malen, falsches Haar auf ihrem Kopfe zu befestigen, das Theater
zu besuchen, in Soire'en zu glänzen, vielleicht auch zu liebeln. Wer könnte '
sie deshalb tadeln?"

Das sind einige der milderen Stellen, in denen der Autor nach seinen
angeblichen Erfahrungen über deutsche Frauen spricht. Andre sind so un-
fläthig, daß kein anständiges Blatt sie mittheilen kann. Jedes Wort der
Kritik ist überflüssig, wo die Worte des Verfassers selbst so deutlich den Werth
der Frauen, die er kennt, bezeichnen. Wenn die deutsche Frauenwelt ganz
im Allgemeinen an diesen Exemplaren von Weiblichkeit gemessen wird: an
einer Königin, welche die moderne Messaline spielt und dabei bigott ist; einer
Valeria, die ihre Anbeter den Champagner austrinken läßt, in dem sie sich
gebadet hat; einer Hanna, die „halb in den Polstern des Sophas lag und den
einen Fuß über den andern heraufgezogen hatte, so daß ein kleiner Sammt¬
pantoffel unmittelbar vor Plant's Nase herumbalanzirte"; einer Gräfin Bärn-
burg, die denselben Plant, der ihr einen sehr leichten Roman vorliest „mit
ihren ruhigen Augen anlächelt" und lispelt: „Wie pikant! nicht? möchten Sie
nicht auch einmal so was erleben"? — wenn das Typen des Durchschnitts¬
charakters deutscher Frauen sein sollen, dann kann der Autor in Deutschland
nur kennen gelernt haben die Bewohnerinnen öffentlicher Häuser, und Dirnen,
die mit ihnen in sittlicher Hinsicht auf gleicher Stufe stehen.

Für das ungewöhnliche Maß der Wahrheitsliebe und der Kenntniß
deutscher Zustände, welche Herrn Sander-Masons innewohnt, dürsten zum
Schlüsse einige Aussprüche lehrreich sein, durch welche uns der Autor „nur
wahr" zu schildern versichert. Da heißt es: „Die Großen plündern die
Kleinen, die Reichen die Armen, die ersteren mißbrauchen ihre Stellung, ihren
Einfluß, um die bescheidenen Leute, welche keine Verbindung bei Hofe (!),
keinen Einblick in die Depeschen (!) haben, schamlos ihres Eigenthums zu be¬
rauben. Wen kümmert der Ruin von Tausenden rechtlicher deutscher Familien,
die Großen bauen Paläste und mischen den Mörtel mit dem Blute ihrer
Opfer. Und dies alles mit einem Cynismus, einer Rohheit, die wir bei
anderen Nationen vergebens suchen, der Russe blieb unter ähnlichen Verhält-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/460>, abgerufen am 24.08.2024.