Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

anständigen, aber dummen und schwachen Baronesse Keith und der unbe¬
deutenden Frau des Redacteur Wiepert, sind sie sammt und sonders liederliche
Dirnen und Gaunerinnen. Es könnte uns ganz gleichgültig sein, wo Herr
Sander-Masons die Modelle zu seinen Heldinnen aufgelesen hat. Aber da er
behauptet, er schildere "deutsches Leben und deutsche Verhältnisse einfach wahr",
so wagt er damit auch die Behauptung, daß seine Schilderungen deutsche
Frauen darstellen sollen. Sehen wir uns also diese angeblichen Lands¬
männinnen etwas näher an. Die erste, die uns vorgestellt wird, ist die
Gräfin Bärnburg. Sie sitzt in der Theaterconditorei des Opernhauses im
Glanz der Gasflammen inmitten "vornehmer Gesellschaft", "in reichen könig¬
lichen Winterhüllen, das eine Bein ssns göns über das andere heraufgezogen,
eine kleine Zigarette rauchend". Später heißt es von ihr: "Sie singt Chan¬
sonnetten trotz der Therese und Mannsfeld, sammelt an der Kirchenthüre für
den Papst, tanzt Cancan und pflegt die im Kriege verwundeten Soldaten."
"Die Damen der Iligli-Ins rivalistren mit der Halbwelt", heißt es später
ganz allgemein. Und: "man" (d. h. das Publikum) eilt "zu seiner Dame,
die, während man im Theater war, einen jungen Lieutenant empfangen hat."
"Eine Frau, die sich damit begnügt, uns lieb zu haben, uns das Haus
wohnlich zu machen und unsere Kinder an Leib und Seele gesund heran¬
zuziehen, wie langweilig, wie blöde, wie einschläfernd. Aber eine schöne
Dame, welche unser Geld mit Geschmack zu verschwenden versteht, die ist es
ohne Zweifel werth, daß wir für sie Opfer bringen, denn sie giebt unserem
Dasein die Würze, jenen pikanten Wildpretgeschmack. Wenn sie an unserer
Seite mit zehn Andern liebäugelt, um so besser, wenn sie uns betrügt und
unsere Eifersucht verlacht, noch besser, wenn sie uns überdies mit ihren kleinen
Füßen tritt, unbezahlbar! Wenn nur diese kleinen Füße in goldgestickten
Sammtpantöffelchen stecken und wenn sie es versteht, pikant mit feinem Ge¬
schmack zu treten." Hier spricht Herr Sander Masons im ?1urs>1iL ma^öswtis!
"Nur in der Welt und -- Halbwelt giebt es solche Frauen, was dazwischen
in der bürgerlichen Wüste (!) läßt uns vergebens nach Genuß schmachten,
nach Aufregung dürsten." Die "bürgerliche Wüste" ist aber in Marie Penecke
auch ziemlich genußreich geschildert. "Aus dem sanften Schatten ihrer Augen,
aus der flatternden Bewegung der Nasenflügel (!) athmete soviel Genu߬
sucht . . . Sie theilte Ohrfeigen aus wie eine echte (!) Dame" . . . "Das
moderne Weib hat nur ein Laster, das alle andern gebiert; eine einzige
Schauspielerin verführt mit ihrer Kleidertracht heutzutage mehr Frauen, als
alle Ehebruchsdramen und schlüpfrigen Romane zusammengenommen. Das
moderne Weib lechzt nach dem Luxus der Toilette, mag auch das warme
Herzblut ihres Gatten, ihres Liebhabers daran kleben. Der Toilette opfert
es ohne Bedenken alles Andere und nöthigenfalls sich selbst." In dieser


anständigen, aber dummen und schwachen Baronesse Keith und der unbe¬
deutenden Frau des Redacteur Wiepert, sind sie sammt und sonders liederliche
Dirnen und Gaunerinnen. Es könnte uns ganz gleichgültig sein, wo Herr
Sander-Masons die Modelle zu seinen Heldinnen aufgelesen hat. Aber da er
behauptet, er schildere „deutsches Leben und deutsche Verhältnisse einfach wahr",
so wagt er damit auch die Behauptung, daß seine Schilderungen deutsche
Frauen darstellen sollen. Sehen wir uns also diese angeblichen Lands¬
männinnen etwas näher an. Die erste, die uns vorgestellt wird, ist die
Gräfin Bärnburg. Sie sitzt in der Theaterconditorei des Opernhauses im
Glanz der Gasflammen inmitten „vornehmer Gesellschaft", „in reichen könig¬
lichen Winterhüllen, das eine Bein ssns göns über das andere heraufgezogen,
eine kleine Zigarette rauchend". Später heißt es von ihr: „Sie singt Chan¬
sonnetten trotz der Therese und Mannsfeld, sammelt an der Kirchenthüre für
den Papst, tanzt Cancan und pflegt die im Kriege verwundeten Soldaten."
„Die Damen der Iligli-Ins rivalistren mit der Halbwelt", heißt es später
ganz allgemein. Und: „man" (d. h. das Publikum) eilt „zu seiner Dame,
die, während man im Theater war, einen jungen Lieutenant empfangen hat."
„Eine Frau, die sich damit begnügt, uns lieb zu haben, uns das Haus
wohnlich zu machen und unsere Kinder an Leib und Seele gesund heran¬
zuziehen, wie langweilig, wie blöde, wie einschläfernd. Aber eine schöne
Dame, welche unser Geld mit Geschmack zu verschwenden versteht, die ist es
ohne Zweifel werth, daß wir für sie Opfer bringen, denn sie giebt unserem
Dasein die Würze, jenen pikanten Wildpretgeschmack. Wenn sie an unserer
Seite mit zehn Andern liebäugelt, um so besser, wenn sie uns betrügt und
unsere Eifersucht verlacht, noch besser, wenn sie uns überdies mit ihren kleinen
Füßen tritt, unbezahlbar! Wenn nur diese kleinen Füße in goldgestickten
Sammtpantöffelchen stecken und wenn sie es versteht, pikant mit feinem Ge¬
schmack zu treten." Hier spricht Herr Sander Masons im ?1urs>1iL ma^öswtis!
„Nur in der Welt und — Halbwelt giebt es solche Frauen, was dazwischen
in der bürgerlichen Wüste (!) läßt uns vergebens nach Genuß schmachten,
nach Aufregung dürsten." Die „bürgerliche Wüste" ist aber in Marie Penecke
auch ziemlich genußreich geschildert. „Aus dem sanften Schatten ihrer Augen,
aus der flatternden Bewegung der Nasenflügel (!) athmete soviel Genu߬
sucht . . . Sie theilte Ohrfeigen aus wie eine echte (!) Dame" . . . „Das
moderne Weib hat nur ein Laster, das alle andern gebiert; eine einzige
Schauspielerin verführt mit ihrer Kleidertracht heutzutage mehr Frauen, als
alle Ehebruchsdramen und schlüpfrigen Romane zusammengenommen. Das
moderne Weib lechzt nach dem Luxus der Toilette, mag auch das warme
Herzblut ihres Gatten, ihres Liebhabers daran kleben. Der Toilette opfert
es ohne Bedenken alles Andere und nöthigenfalls sich selbst." In dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135512"/>
          <p xml:id="ID_1398" prev="#ID_1397" next="#ID_1399"> anständigen, aber dummen und schwachen Baronesse Keith und der unbe¬<lb/>
deutenden Frau des Redacteur Wiepert, sind sie sammt und sonders liederliche<lb/>
Dirnen und Gaunerinnen. Es könnte uns ganz gleichgültig sein, wo Herr<lb/>
Sander-Masons die Modelle zu seinen Heldinnen aufgelesen hat. Aber da er<lb/>
behauptet, er schildere &#x201E;deutsches Leben und deutsche Verhältnisse einfach wahr",<lb/>
so wagt er damit auch die Behauptung, daß seine Schilderungen deutsche<lb/>
Frauen darstellen sollen. Sehen wir uns also diese angeblichen Lands¬<lb/>
männinnen etwas näher an. Die erste, die uns vorgestellt wird, ist die<lb/>
Gräfin Bärnburg. Sie sitzt in der Theaterconditorei des Opernhauses im<lb/>
Glanz der Gasflammen inmitten &#x201E;vornehmer Gesellschaft", &#x201E;in reichen könig¬<lb/>
lichen Winterhüllen, das eine Bein ssns göns über das andere heraufgezogen,<lb/>
eine kleine Zigarette rauchend". Später heißt es von ihr: &#x201E;Sie singt Chan¬<lb/>
sonnetten trotz der Therese und Mannsfeld, sammelt an der Kirchenthüre für<lb/>
den Papst, tanzt Cancan und pflegt die im Kriege verwundeten Soldaten."<lb/>
&#x201E;Die Damen der Iligli-Ins rivalistren mit der Halbwelt", heißt es später<lb/>
ganz allgemein. Und: &#x201E;man" (d. h. das Publikum) eilt &#x201E;zu seiner Dame,<lb/>
die, während man im Theater war, einen jungen Lieutenant empfangen hat."<lb/>
&#x201E;Eine Frau, die sich damit begnügt, uns lieb zu haben, uns das Haus<lb/>
wohnlich zu machen und unsere Kinder an Leib und Seele gesund heran¬<lb/>
zuziehen, wie langweilig, wie blöde, wie einschläfernd. Aber eine schöne<lb/>
Dame, welche unser Geld mit Geschmack zu verschwenden versteht, die ist es<lb/>
ohne Zweifel werth, daß wir für sie Opfer bringen, denn sie giebt unserem<lb/>
Dasein die Würze, jenen pikanten Wildpretgeschmack. Wenn sie an unserer<lb/>
Seite mit zehn Andern liebäugelt, um so besser, wenn sie uns betrügt und<lb/>
unsere Eifersucht verlacht, noch besser, wenn sie uns überdies mit ihren kleinen<lb/>
Füßen tritt, unbezahlbar! Wenn nur diese kleinen Füße in goldgestickten<lb/>
Sammtpantöffelchen stecken und wenn sie es versteht, pikant mit feinem Ge¬<lb/>
schmack zu treten." Hier spricht Herr Sander Masons im ?1urs&gt;1iL ma^öswtis!<lb/>
&#x201E;Nur in der Welt und &#x2014; Halbwelt giebt es solche Frauen, was dazwischen<lb/>
in der bürgerlichen Wüste (!) läßt uns vergebens nach Genuß schmachten,<lb/>
nach Aufregung dürsten." Die &#x201E;bürgerliche Wüste" ist aber in Marie Penecke<lb/>
auch ziemlich genußreich geschildert. &#x201E;Aus dem sanften Schatten ihrer Augen,<lb/>
aus der flatternden Bewegung der Nasenflügel (!) athmete soviel Genu߬<lb/>
sucht . . . Sie theilte Ohrfeigen aus wie eine echte (!) Dame" . . . &#x201E;Das<lb/>
moderne Weib hat nur ein Laster, das alle andern gebiert; eine einzige<lb/>
Schauspielerin verführt mit ihrer Kleidertracht heutzutage mehr Frauen, als<lb/>
alle Ehebruchsdramen und schlüpfrigen Romane zusammengenommen. Das<lb/>
moderne Weib lechzt nach dem Luxus der Toilette, mag auch das warme<lb/>
Herzblut ihres Gatten, ihres Liebhabers daran kleben. Der Toilette opfert<lb/>
es ohne Bedenken alles Andere und nöthigenfalls sich selbst."  In dieser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] anständigen, aber dummen und schwachen Baronesse Keith und der unbe¬ deutenden Frau des Redacteur Wiepert, sind sie sammt und sonders liederliche Dirnen und Gaunerinnen. Es könnte uns ganz gleichgültig sein, wo Herr Sander-Masons die Modelle zu seinen Heldinnen aufgelesen hat. Aber da er behauptet, er schildere „deutsches Leben und deutsche Verhältnisse einfach wahr", so wagt er damit auch die Behauptung, daß seine Schilderungen deutsche Frauen darstellen sollen. Sehen wir uns also diese angeblichen Lands¬ männinnen etwas näher an. Die erste, die uns vorgestellt wird, ist die Gräfin Bärnburg. Sie sitzt in der Theaterconditorei des Opernhauses im Glanz der Gasflammen inmitten „vornehmer Gesellschaft", „in reichen könig¬ lichen Winterhüllen, das eine Bein ssns göns über das andere heraufgezogen, eine kleine Zigarette rauchend". Später heißt es von ihr: „Sie singt Chan¬ sonnetten trotz der Therese und Mannsfeld, sammelt an der Kirchenthüre für den Papst, tanzt Cancan und pflegt die im Kriege verwundeten Soldaten." „Die Damen der Iligli-Ins rivalistren mit der Halbwelt", heißt es später ganz allgemein. Und: „man" (d. h. das Publikum) eilt „zu seiner Dame, die, während man im Theater war, einen jungen Lieutenant empfangen hat." „Eine Frau, die sich damit begnügt, uns lieb zu haben, uns das Haus wohnlich zu machen und unsere Kinder an Leib und Seele gesund heran¬ zuziehen, wie langweilig, wie blöde, wie einschläfernd. Aber eine schöne Dame, welche unser Geld mit Geschmack zu verschwenden versteht, die ist es ohne Zweifel werth, daß wir für sie Opfer bringen, denn sie giebt unserem Dasein die Würze, jenen pikanten Wildpretgeschmack. Wenn sie an unserer Seite mit zehn Andern liebäugelt, um so besser, wenn sie uns betrügt und unsere Eifersucht verlacht, noch besser, wenn sie uns überdies mit ihren kleinen Füßen tritt, unbezahlbar! Wenn nur diese kleinen Füße in goldgestickten Sammtpantöffelchen stecken und wenn sie es versteht, pikant mit feinem Ge¬ schmack zu treten." Hier spricht Herr Sander Masons im ?1urs>1iL ma^öswtis! „Nur in der Welt und — Halbwelt giebt es solche Frauen, was dazwischen in der bürgerlichen Wüste (!) läßt uns vergebens nach Genuß schmachten, nach Aufregung dürsten." Die „bürgerliche Wüste" ist aber in Marie Penecke auch ziemlich genußreich geschildert. „Aus dem sanften Schatten ihrer Augen, aus der flatternden Bewegung der Nasenflügel (!) athmete soviel Genu߬ sucht . . . Sie theilte Ohrfeigen aus wie eine echte (!) Dame" . . . „Das moderne Weib hat nur ein Laster, das alle andern gebiert; eine einzige Schauspielerin verführt mit ihrer Kleidertracht heutzutage mehr Frauen, als alle Ehebruchsdramen und schlüpfrigen Romane zusammengenommen. Das moderne Weib lechzt nach dem Luxus der Toilette, mag auch das warme Herzblut ihres Gatten, ihres Liebhabers daran kleben. Der Toilette opfert es ohne Bedenken alles Andere und nöthigenfalls sich selbst." In dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/459>, abgerufen am 24.08.2024.