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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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zu den Majestäten, welche von Sander-Masons's Gnaden die Krone tragen.
Der alte König, der den Bildhauer Wolfgang begünstigt, spricht die wahrhaft
königlichen Worte: "Höre, daß er eine Büste von mir begonnen hat, junger
Mann . . . Herzeigen also". Jede der vorgezeigten Arbeiten "belohnt ein
landesväterliches "Hin!" "Endlich steht der König auf und nimmt den Bild¬
hauer beim Ohrläppchen." Die künftige Königin, die sich allerdings damit
entschuldigen kann, daß ihr das slavische Blut des Herrn Sander-Masons in
den Adern rollt, schlägt den Bildhauer Wolfgang mit der Reitpeitsche kreuz¬
weise über das Gesicht. Der junge König, ihr Gemahl, erscheint selbst hinter
den Coulissen, um eine gemeine Dirne, die Schauspielerin Valeria, zu
beglückwünschen. Ja, mehr als das: er ist sein eigener Generalindentant,
"er zieht den Entwurf eines Kontrakts aus der Brust hervor" u. s. w. Das
ist aber noch gar nichts gegen die Leistungen der Majestäten in den folgenden
Bänden. Der König taumelt von einer schönen Frau zur andern, seine ganze
Regierungskunst besteht in Verführung; ungeheure Summen opfert er seinen
Liebeslaunen. Aber warum auch nicht? "Der König wurde etwas verlegen,
wie sollte er diese Summen vor seinem Landtage rechtfertigen und unter
welchem Titel sollten sie in das Budget eingestellt werden, aber er kannte
seine getreue Opposition zur Genüge, er wußte, daß ein deutscher Liberaler
von einem loyalen Unterthanen des großen Czaren um nicht viel mehr als
jene Nüance entfernt ist, die den Carlisten vom Briganten der Abruzzen
unterscheidet und bei dem väterlichen Gedanken an die freisinnigen Führer
seines guten Volkes beruhigte er sich bald vollends." O Spiegel deutscher
Zustände, wie wahr bist Du!

Noch toller treibt es inzwischen die Königin. Sie richtet sich ein ver¬
wunschenes Schloß ein für ihre Verhältnisse zu jedem beliebigen männlichen
Besucher. Ein blöder deutscher Bauer entflieht, als er zwei Damen im Schlo߬
teich baden sieht, die ihn freundlich zu sich winken. Aber ein Amerikaner und
-- natürlich -- ein Pole erfreuen sich der Gunst der Königin. Alles das
passirt nicht etwa in einem anonymen Jahrhundert, sondern in den letztver¬
flossenen Jahren. Ganz genau kann man dem Verfasser Monat und Tag
allerdings nicht nachrechnen, da er die Trauermäntel im Borfrühjahr fliegen
läßt, und seine Personen neueste und etwas ferner liegende Ereignisse durch¬
einander mengen. Aber keinesfalls beginnt seine Geschichte vor 1871. Ereig¬
nisse dieses Jahres führen seine Helden schon in den ersten Kapiteln im Munde.
Weshalb diese Verdunkelung der Zeit des Schauplatzes? Weshalb vermeidet
der wahrheitsliebende Galizier, genau zu sagen: an diesem deutschen Hofe
sind solche Verbrechen geschehn; hier wuchern die Majestäten mit Staatsge¬
heimnissen an der Börse? Die Antwort auf diese Fragen ist einfach. Dem
Autor ist etwas bange geworden, wegen Majestätsbeleidigung mit dem


Grenzboten I. 1876. 57

zu den Majestäten, welche von Sander-Masons's Gnaden die Krone tragen.
Der alte König, der den Bildhauer Wolfgang begünstigt, spricht die wahrhaft
königlichen Worte: „Höre, daß er eine Büste von mir begonnen hat, junger
Mann . . . Herzeigen also". Jede der vorgezeigten Arbeiten „belohnt ein
landesväterliches „Hin!" „Endlich steht der König auf und nimmt den Bild¬
hauer beim Ohrläppchen." Die künftige Königin, die sich allerdings damit
entschuldigen kann, daß ihr das slavische Blut des Herrn Sander-Masons in
den Adern rollt, schlägt den Bildhauer Wolfgang mit der Reitpeitsche kreuz¬
weise über das Gesicht. Der junge König, ihr Gemahl, erscheint selbst hinter
den Coulissen, um eine gemeine Dirne, die Schauspielerin Valeria, zu
beglückwünschen. Ja, mehr als das: er ist sein eigener Generalindentant,
„er zieht den Entwurf eines Kontrakts aus der Brust hervor" u. s. w. Das
ist aber noch gar nichts gegen die Leistungen der Majestäten in den folgenden
Bänden. Der König taumelt von einer schönen Frau zur andern, seine ganze
Regierungskunst besteht in Verführung; ungeheure Summen opfert er seinen
Liebeslaunen. Aber warum auch nicht? „Der König wurde etwas verlegen,
wie sollte er diese Summen vor seinem Landtage rechtfertigen und unter
welchem Titel sollten sie in das Budget eingestellt werden, aber er kannte
seine getreue Opposition zur Genüge, er wußte, daß ein deutscher Liberaler
von einem loyalen Unterthanen des großen Czaren um nicht viel mehr als
jene Nüance entfernt ist, die den Carlisten vom Briganten der Abruzzen
unterscheidet und bei dem väterlichen Gedanken an die freisinnigen Führer
seines guten Volkes beruhigte er sich bald vollends." O Spiegel deutscher
Zustände, wie wahr bist Du!

Noch toller treibt es inzwischen die Königin. Sie richtet sich ein ver¬
wunschenes Schloß ein für ihre Verhältnisse zu jedem beliebigen männlichen
Besucher. Ein blöder deutscher Bauer entflieht, als er zwei Damen im Schlo߬
teich baden sieht, die ihn freundlich zu sich winken. Aber ein Amerikaner und
— natürlich — ein Pole erfreuen sich der Gunst der Königin. Alles das
passirt nicht etwa in einem anonymen Jahrhundert, sondern in den letztver¬
flossenen Jahren. Ganz genau kann man dem Verfasser Monat und Tag
allerdings nicht nachrechnen, da er die Trauermäntel im Borfrühjahr fliegen
läßt, und seine Personen neueste und etwas ferner liegende Ereignisse durch¬
einander mengen. Aber keinesfalls beginnt seine Geschichte vor 1871. Ereig¬
nisse dieses Jahres führen seine Helden schon in den ersten Kapiteln im Munde.
Weshalb diese Verdunkelung der Zeit des Schauplatzes? Weshalb vermeidet
der wahrheitsliebende Galizier, genau zu sagen: an diesem deutschen Hofe
sind solche Verbrechen geschehn; hier wuchern die Majestäten mit Staatsge¬
heimnissen an der Börse? Die Antwort auf diese Fragen ist einfach. Dem
Autor ist etwas bange geworden, wegen Majestätsbeleidigung mit dem


Grenzboten I. 1876. 57
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/457>, abgerufen am 24.08.2024.