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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Bilden eines solchen. Wer sich dem Lehrgrund einer solchen Gemeinschaft
ganz entfremdet fühlt, der muß allerdings dieselbe verlassen. Herr Hänel
sagte nun, wenn das Kirchenregiment der neuen Verfassung, an welchem der
evangelische Landesherr einen hervorragenden Antheil nimmt, das Bekennt¬
niß entwickeln wolle, so wäre damit ein Staatsdogma creirt. Damit sei aber
bewiesen, daß der Abg. Virchow mit Recht die bischöfliche Stellung des Lan¬
desherrn als Russicismus bezeichnet habe. Also, wenn die Generalsynode
unter Zustimmung des Landesherrn beschließt, daß ein Gottesbegriff, welcher
die Materie für das Absolute erklärt, von keinem Lehrer der evangelischen
Kirche in deren Namen vorgetragen werden darf, so ist dies nach Herrn
Hänel Russicismus. Wie sich doch in den Köpfen dieser Herren die Welt
malt. Sie können den Unterschied nicht begreifen zwischen der Ausschließung
einer Lehre, welche dem Neuen Testament als Grundlage der evangelischen
Kirche widerstrebt, aus dem Kreise des christlichen Lehrberufs -- nicht etwa
aus der Welt, nicht etwa aus der Literatur -- und zwischen der Anmaßung
der römisch-katholischen und griechisch-katholischen Kirche, gewissen kirchlichen
Obrigkeiten das unmittelbare Einwohner des heiligen Geistes zuzuschreiben.
Als ob die evangelische Kirche, weil sie ihre Geistlichen nicht zu ausschlie߬
lichen Trägern des heiligen Geistes macht, gezwungen sein müßte, die Anarchie
aller wüsten Einfälle in ihrer Lehre zuzulassen. Wenn ein Schulamtscandioat
behaupten wollte, die Gedichte des Horaz seien zur Zeit Luther's verfaßt
und untergeschoben, so würde man ihn nicht das Examen Passiren lassen und
ihm kein Schulamt anvertrauen. Aber deswegen nimmt die philologische
Examinationscommission weder die Allwissenheit noch die Unfehlbarkeit in
Anspruch. Nur hat jede Forschung, auch die freieste, eine Grenze, die sie vom
Unsinn trennt, eine Grenze der Logik und der Continuität. Und wer ist es
denn, in dessen Namen und Auftrag die Examinationseommissionen fungiren?
Doch der Landesherr. Warum sagt denn nun Herr Hänel nicht: Das ist
Staatsphilologie, jeder muß über Horaz behaupten können, was er will? So
sind diese Herren. Sie schreien jeder, wenn die evangelische Kirche die Grenze
gegen Unsinn und Willkür ziehen will, und sie behaupten, es würden für den
Landesherrn göttliche Ehren beansprucht, wenn in seinem Namen als Träger
des Kirchenregiments jene Grenze aufrecht gehalten wird.

Auf Herrn Hänel als Gegner der Vorlage folgte der Abg. Wehrenpfennig.
Er wollte die Vorlage annehmen, nur verlangte er stärkere Cautelen gegen
die Selbständigkeit der Kirche. Erstens will er das Selbstbesteuerungsrecht
der Kirche in jedem einzelnen Fall an die Zustimmung der Landesvertretung
binden. Er will also der evangelischen Kirche weniger Rechte geben, als jeder
Ressource, welche die Beitragspflicht ihrer Mitglieder feststellt, natürlich ohne
ihnen das Recht des Austritts zu verschränken. Der Wunsch des Abgeord-


Bilden eines solchen. Wer sich dem Lehrgrund einer solchen Gemeinschaft
ganz entfremdet fühlt, der muß allerdings dieselbe verlassen. Herr Hänel
sagte nun, wenn das Kirchenregiment der neuen Verfassung, an welchem der
evangelische Landesherr einen hervorragenden Antheil nimmt, das Bekennt¬
niß entwickeln wolle, so wäre damit ein Staatsdogma creirt. Damit sei aber
bewiesen, daß der Abg. Virchow mit Recht die bischöfliche Stellung des Lan¬
desherrn als Russicismus bezeichnet habe. Also, wenn die Generalsynode
unter Zustimmung des Landesherrn beschließt, daß ein Gottesbegriff, welcher
die Materie für das Absolute erklärt, von keinem Lehrer der evangelischen
Kirche in deren Namen vorgetragen werden darf, so ist dies nach Herrn
Hänel Russicismus. Wie sich doch in den Köpfen dieser Herren die Welt
malt. Sie können den Unterschied nicht begreifen zwischen der Ausschließung
einer Lehre, welche dem Neuen Testament als Grundlage der evangelischen
Kirche widerstrebt, aus dem Kreise des christlichen Lehrberufs — nicht etwa
aus der Welt, nicht etwa aus der Literatur — und zwischen der Anmaßung
der römisch-katholischen und griechisch-katholischen Kirche, gewissen kirchlichen
Obrigkeiten das unmittelbare Einwohner des heiligen Geistes zuzuschreiben.
Als ob die evangelische Kirche, weil sie ihre Geistlichen nicht zu ausschlie߬
lichen Trägern des heiligen Geistes macht, gezwungen sein müßte, die Anarchie
aller wüsten Einfälle in ihrer Lehre zuzulassen. Wenn ein Schulamtscandioat
behaupten wollte, die Gedichte des Horaz seien zur Zeit Luther's verfaßt
und untergeschoben, so würde man ihn nicht das Examen Passiren lassen und
ihm kein Schulamt anvertrauen. Aber deswegen nimmt die philologische
Examinationscommission weder die Allwissenheit noch die Unfehlbarkeit in
Anspruch. Nur hat jede Forschung, auch die freieste, eine Grenze, die sie vom
Unsinn trennt, eine Grenze der Logik und der Continuität. Und wer ist es
denn, in dessen Namen und Auftrag die Examinationseommissionen fungiren?
Doch der Landesherr. Warum sagt denn nun Herr Hänel nicht: Das ist
Staatsphilologie, jeder muß über Horaz behaupten können, was er will? So
sind diese Herren. Sie schreien jeder, wenn die evangelische Kirche die Grenze
gegen Unsinn und Willkür ziehen will, und sie behaupten, es würden für den
Landesherrn göttliche Ehren beansprucht, wenn in seinem Namen als Träger
des Kirchenregiments jene Grenze aufrecht gehalten wird.

Auf Herrn Hänel als Gegner der Vorlage folgte der Abg. Wehrenpfennig.
Er wollte die Vorlage annehmen, nur verlangte er stärkere Cautelen gegen
die Selbständigkeit der Kirche. Erstens will er das Selbstbesteuerungsrecht
der Kirche in jedem einzelnen Fall an die Zustimmung der Landesvertretung
binden. Er will also der evangelischen Kirche weniger Rechte geben, als jeder
Ressource, welche die Beitragspflicht ihrer Mitglieder feststellt, natürlich ohne
ihnen das Recht des Austritts zu verschränken. Der Wunsch des Abgeord-


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[0439] Bilden eines solchen. Wer sich dem Lehrgrund einer solchen Gemeinschaft ganz entfremdet fühlt, der muß allerdings dieselbe verlassen. Herr Hänel sagte nun, wenn das Kirchenregiment der neuen Verfassung, an welchem der evangelische Landesherr einen hervorragenden Antheil nimmt, das Bekennt¬ niß entwickeln wolle, so wäre damit ein Staatsdogma creirt. Damit sei aber bewiesen, daß der Abg. Virchow mit Recht die bischöfliche Stellung des Lan¬ desherrn als Russicismus bezeichnet habe. Also, wenn die Generalsynode unter Zustimmung des Landesherrn beschließt, daß ein Gottesbegriff, welcher die Materie für das Absolute erklärt, von keinem Lehrer der evangelischen Kirche in deren Namen vorgetragen werden darf, so ist dies nach Herrn Hänel Russicismus. Wie sich doch in den Köpfen dieser Herren die Welt malt. Sie können den Unterschied nicht begreifen zwischen der Ausschließung einer Lehre, welche dem Neuen Testament als Grundlage der evangelischen Kirche widerstrebt, aus dem Kreise des christlichen Lehrberufs — nicht etwa aus der Welt, nicht etwa aus der Literatur — und zwischen der Anmaßung der römisch-katholischen und griechisch-katholischen Kirche, gewissen kirchlichen Obrigkeiten das unmittelbare Einwohner des heiligen Geistes zuzuschreiben. Als ob die evangelische Kirche, weil sie ihre Geistlichen nicht zu ausschlie߬ lichen Trägern des heiligen Geistes macht, gezwungen sein müßte, die Anarchie aller wüsten Einfälle in ihrer Lehre zuzulassen. Wenn ein Schulamtscandioat behaupten wollte, die Gedichte des Horaz seien zur Zeit Luther's verfaßt und untergeschoben, so würde man ihn nicht das Examen Passiren lassen und ihm kein Schulamt anvertrauen. Aber deswegen nimmt die philologische Examinationscommission weder die Allwissenheit noch die Unfehlbarkeit in Anspruch. Nur hat jede Forschung, auch die freieste, eine Grenze, die sie vom Unsinn trennt, eine Grenze der Logik und der Continuität. Und wer ist es denn, in dessen Namen und Auftrag die Examinationseommissionen fungiren? Doch der Landesherr. Warum sagt denn nun Herr Hänel nicht: Das ist Staatsphilologie, jeder muß über Horaz behaupten können, was er will? So sind diese Herren. Sie schreien jeder, wenn die evangelische Kirche die Grenze gegen Unsinn und Willkür ziehen will, und sie behaupten, es würden für den Landesherrn göttliche Ehren beansprucht, wenn in seinem Namen als Träger des Kirchenregiments jene Grenze aufrecht gehalten wird. Auf Herrn Hänel als Gegner der Vorlage folgte der Abg. Wehrenpfennig. Er wollte die Vorlage annehmen, nur verlangte er stärkere Cautelen gegen die Selbständigkeit der Kirche. Erstens will er das Selbstbesteuerungsrecht der Kirche in jedem einzelnen Fall an die Zustimmung der Landesvertretung binden. Er will also der evangelischen Kirche weniger Rechte geben, als jeder Ressource, welche die Beitragspflicht ihrer Mitglieder feststellt, natürlich ohne ihnen das Recht des Austritts zu verschränken. Der Wunsch des Abgeord-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/439>, abgerufen am 22.07.2024.