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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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militärischen Systems aus. Es gehörte in der That ein eiserner Wille dazu
mit einer Armee von Altdorf nach Schwyz zu marschiren, -- es war ein un¬
begrenztes Vertrauen zu den Truppen nothwendig, um einen solchen Weg
wählen zu können. Suworow ließ sich selbst durch den zerrütteten Zustand
in welchem sich seine Armee befand, nicht abschrecken; nach einem siebentägigen
schweren Marsch waren die Truppen erschöpft, die Fußbekleidungen vielfach
zerrissen, die Uniformen zerfetzt, der Proviant völlig aufgezehrt. Die Zeit
war aber zu kostbar, den Truppen auch nur einen einzigen Ruhetag zu gönnen,
denn jeder Tag der Verzögerung konnte für die übrigen Theile der verbün¬
deten Armeen höchst verderblich werden.

Unverzüglich wurden die Anordnungen zum Weitermarsch getroffen.

Bagration sollte die Avantgarde führen, ihm hatte Derselben mit der
östreichischen Brigade Auffenberg zu folgen. Rosenberg deckte die Bewegung
gegen Lecourbe. Die Arriöregarde sollte so lange Altdorf halten, bis sämmt¬
liche Lastthiere durchpassirt. Die feindlichen Truppen in Flüelen, Sectors
und am linken Ufer der Reuß wurden von Suworow um Kräfte und Zeit
zu sparen nicht angegriffen. --

Am 27. September Morgens 5 Uhr brach die Avantgarde auf. Der
Weg überschreitet den Schächenbach und steigt dann sofort ziemlich steil
gegen die Gebirgswand des Rostock an. Wie damals, so auch heute ist der¬
selbe wenig markirt. Vielleicht eine Stunde lang geht er über Alpweiden,
dann durchirrt er nur Felsenlabyrinthe bis zur Einmündung in das Muotta-
thal; die Steigung bis zur Paßhöhe (6372 Fuß) ist fortwährend bedeutend;
sich in der Mitte eines steilen Felsabhanges hinziehend, wechselt seine Breite
von 2 bis 4 Fuß. Auf der einen Seite eine senkrecht aufsteigende Felswand,
auf der andern ein Abgrund, dessen Tiefe das Auge kaum ermessen kann. Es
ist nur möglich, daß Einer hinter dem Andern marschirt. Das schiefrige Ge-
füge des Felsens giebt dem Fuße wenig sicheren Halt; da wo das Gestein
verwittert, bildet es eine glatte lehmige Masse. Auf dem Kamm des Gebirges
ist die zu passirende Stelle vielleicht 2 -- 3 Stunden breit, sie bildet jedoch
keine ebene Fläche, sondern ein mit riesigen Felsblöcken bedecktes wildes Chaos.
Hier lag tiefer Schnee. Wenn schon die Ersteigung dieser Höhen für jeden
einzelnen Jnfanteristen, der schwer mit Gepäck beladen und mit schlechtem
Schuhwerk versehen, außerordentliche Schwierigkeiten machte, -- welche Mühe
mußte es erst kosten, die mit Geschützen, Ausrüstungsgegenständen und Muni¬
tion beladenen Maulthiere und Pferde hier fortzubringen? Die armen Thiere,
fast ohne Futter, konnten sich kaum mehr fortschleppen, die Hufe waren zum
Theil ganz abgelaufen, da an einen Ersatz der Hufeisen nicht zu denken. --
Jeder falsche Schritt, jedes Straucheln kostete für Mann und Pferd das Leben.

Hunderte liegen in den wilden Schluchten des Gebirges begraben. --


militärischen Systems aus. Es gehörte in der That ein eiserner Wille dazu
mit einer Armee von Altdorf nach Schwyz zu marschiren, — es war ein un¬
begrenztes Vertrauen zu den Truppen nothwendig, um einen solchen Weg
wählen zu können. Suworow ließ sich selbst durch den zerrütteten Zustand
in welchem sich seine Armee befand, nicht abschrecken; nach einem siebentägigen
schweren Marsch waren die Truppen erschöpft, die Fußbekleidungen vielfach
zerrissen, die Uniformen zerfetzt, der Proviant völlig aufgezehrt. Die Zeit
war aber zu kostbar, den Truppen auch nur einen einzigen Ruhetag zu gönnen,
denn jeder Tag der Verzögerung konnte für die übrigen Theile der verbün¬
deten Armeen höchst verderblich werden.

Unverzüglich wurden die Anordnungen zum Weitermarsch getroffen.

Bagration sollte die Avantgarde führen, ihm hatte Derselben mit der
östreichischen Brigade Auffenberg zu folgen. Rosenberg deckte die Bewegung
gegen Lecourbe. Die Arriöregarde sollte so lange Altdorf halten, bis sämmt¬
liche Lastthiere durchpassirt. Die feindlichen Truppen in Flüelen, Sectors
und am linken Ufer der Reuß wurden von Suworow um Kräfte und Zeit
zu sparen nicht angegriffen. —

Am 27. September Morgens 5 Uhr brach die Avantgarde auf. Der
Weg überschreitet den Schächenbach und steigt dann sofort ziemlich steil
gegen die Gebirgswand des Rostock an. Wie damals, so auch heute ist der¬
selbe wenig markirt. Vielleicht eine Stunde lang geht er über Alpweiden,
dann durchirrt er nur Felsenlabyrinthe bis zur Einmündung in das Muotta-
thal; die Steigung bis zur Paßhöhe (6372 Fuß) ist fortwährend bedeutend;
sich in der Mitte eines steilen Felsabhanges hinziehend, wechselt seine Breite
von 2 bis 4 Fuß. Auf der einen Seite eine senkrecht aufsteigende Felswand,
auf der andern ein Abgrund, dessen Tiefe das Auge kaum ermessen kann. Es
ist nur möglich, daß Einer hinter dem Andern marschirt. Das schiefrige Ge-
füge des Felsens giebt dem Fuße wenig sicheren Halt; da wo das Gestein
verwittert, bildet es eine glatte lehmige Masse. Auf dem Kamm des Gebirges
ist die zu passirende Stelle vielleicht 2 — 3 Stunden breit, sie bildet jedoch
keine ebene Fläche, sondern ein mit riesigen Felsblöcken bedecktes wildes Chaos.
Hier lag tiefer Schnee. Wenn schon die Ersteigung dieser Höhen für jeden
einzelnen Jnfanteristen, der schwer mit Gepäck beladen und mit schlechtem
Schuhwerk versehen, außerordentliche Schwierigkeiten machte, — welche Mühe
mußte es erst kosten, die mit Geschützen, Ausrüstungsgegenständen und Muni¬
tion beladenen Maulthiere und Pferde hier fortzubringen? Die armen Thiere,
fast ohne Futter, konnten sich kaum mehr fortschleppen, die Hufe waren zum
Theil ganz abgelaufen, da an einen Ersatz der Hufeisen nicht zu denken. —
Jeder falsche Schritt, jedes Straucheln kostete für Mann und Pferd das Leben.

Hunderte liegen in den wilden Schluchten des Gebirges begraben. —


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[0411] militärischen Systems aus. Es gehörte in der That ein eiserner Wille dazu mit einer Armee von Altdorf nach Schwyz zu marschiren, — es war ein un¬ begrenztes Vertrauen zu den Truppen nothwendig, um einen solchen Weg wählen zu können. Suworow ließ sich selbst durch den zerrütteten Zustand in welchem sich seine Armee befand, nicht abschrecken; nach einem siebentägigen schweren Marsch waren die Truppen erschöpft, die Fußbekleidungen vielfach zerrissen, die Uniformen zerfetzt, der Proviant völlig aufgezehrt. Die Zeit war aber zu kostbar, den Truppen auch nur einen einzigen Ruhetag zu gönnen, denn jeder Tag der Verzögerung konnte für die übrigen Theile der verbün¬ deten Armeen höchst verderblich werden. Unverzüglich wurden die Anordnungen zum Weitermarsch getroffen. Bagration sollte die Avantgarde führen, ihm hatte Derselben mit der östreichischen Brigade Auffenberg zu folgen. Rosenberg deckte die Bewegung gegen Lecourbe. Die Arriöregarde sollte so lange Altdorf halten, bis sämmt¬ liche Lastthiere durchpassirt. Die feindlichen Truppen in Flüelen, Sectors und am linken Ufer der Reuß wurden von Suworow um Kräfte und Zeit zu sparen nicht angegriffen. — Am 27. September Morgens 5 Uhr brach die Avantgarde auf. Der Weg überschreitet den Schächenbach und steigt dann sofort ziemlich steil gegen die Gebirgswand des Rostock an. Wie damals, so auch heute ist der¬ selbe wenig markirt. Vielleicht eine Stunde lang geht er über Alpweiden, dann durchirrt er nur Felsenlabyrinthe bis zur Einmündung in das Muotta- thal; die Steigung bis zur Paßhöhe (6372 Fuß) ist fortwährend bedeutend; sich in der Mitte eines steilen Felsabhanges hinziehend, wechselt seine Breite von 2 bis 4 Fuß. Auf der einen Seite eine senkrecht aufsteigende Felswand, auf der andern ein Abgrund, dessen Tiefe das Auge kaum ermessen kann. Es ist nur möglich, daß Einer hinter dem Andern marschirt. Das schiefrige Ge- füge des Felsens giebt dem Fuße wenig sicheren Halt; da wo das Gestein verwittert, bildet es eine glatte lehmige Masse. Auf dem Kamm des Gebirges ist die zu passirende Stelle vielleicht 2 — 3 Stunden breit, sie bildet jedoch keine ebene Fläche, sondern ein mit riesigen Felsblöcken bedecktes wildes Chaos. Hier lag tiefer Schnee. Wenn schon die Ersteigung dieser Höhen für jeden einzelnen Jnfanteristen, der schwer mit Gepäck beladen und mit schlechtem Schuhwerk versehen, außerordentliche Schwierigkeiten machte, — welche Mühe mußte es erst kosten, die mit Geschützen, Ausrüstungsgegenständen und Muni¬ tion beladenen Maulthiere und Pferde hier fortzubringen? Die armen Thiere, fast ohne Futter, konnten sich kaum mehr fortschleppen, die Hufe waren zum Theil ganz abgelaufen, da an einen Ersatz der Hufeisen nicht zu denken. — Jeder falsche Schritt, jedes Straucheln kostete für Mann und Pferd das Leben. Hunderte liegen in den wilden Schluchten des Gebirges begraben. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/411>, abgerufen am 20.10.2024.