Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Oft hüllten dunkle Wolken, welche sich an den Abhängen und kuppen lagerten,
die ganze Colonne in dichten Nebel ein. durch dessen kalte durchdringende
Feuchtigkeit die Truppen vollständig durchnäßt wurden. Diese Nebelmassen
verwehrten jede Umsicht, man erkannte kaum seinen Vordermann. -- Schwanden
die Kräfte des Mannes, so hielt er an, einen Augenblick zu ruhen, um dann
wieder von Neuem zu klettern, -- doch Brodbeutel und Feldflasche waren
leer, eine Stärkung und Erquickung fehlte. Aber trotz der äußersten Er¬
schöpfung, halb barfuß und hungernd, verloren die Russen den Muth
nicht. --

Der Großfürst, gleich allen Uebrigen zu Fuß, war stets an der Spitze
der Avantgarde.

Schon war es spät am Nachmittag, als die Tute der Colonne die Pa߬
höhe erreichte. Das Hinabsteigen wurde jedoch nicht weniger schwierig, als
das Hinaufsteigen. -- Auf der Höhe fing es an zu schneien, etwas tiefer
regnete es, -- der Boden war dadurch so schlüpfrig geworden, daß man an
vielen Punkten die starken Böschungen hinabrutschen mußte.

Wer nur im Geringsten unvorsichtig ausglitt, stürzte rettungslos in die
Tiefe. Endlich mündet der Pfad in ein enges Defile'e ein, das sogenannte
Bisiloch und erreicht dann, allmälig breiter werdend, das Muotta Thal. Die
Spitzen der Avantgarde trafen daselbst nach einem 12 stündigen Marsch zwischen
5 und 6 Uhr Nachmittags ein. Im Dorfe Muotta befand sich ein kleiner
französischer Posten, der von Schwyz dorthin vorgeschoben war. Die Russen
nicht im Mindesten erwartend, wurde er vollständig überrascht und mußte die
Waffen strecken. -

Trotz der geringen Stärke der Avantgarde war dieselbe doch so aus¬
einandergezogen, daß sie sich erst 12 Uhr Nachts vollständig concentrirt hatte.
Längst hatte die Tete der Avantgarde schon Muotta erreicht, als sich die
Queue der Armee noch nicht einmal in Altdorf von der Stelle bewegte,
Der ganze Pfad bot eine ununterbrochene Reihe von Soldaten und Last¬
thieren dar. die einzeln hintereinander den furchtbaren Weg hinaufkletterten.
In dieser Lage wurden die Russen von der Nacht überfallen. Glücklich die¬
jenigen, welche den Kamm des Gebirges erreicht, sie hatten wenigstens, wenn
auch Schnee, doch sicheren Boden unter ihren Füßen. Beklagenswerth war
jedoch das Loos derer, welche die Nacht auf den steilen Abhängen und an
dem Rande der Abgründe ereilte. Viele, viele dieser Unglücklichen gingen
auf diesem Wege zu Grunde und wurden durch Hunger, Erschöpfung, Kälte
von ihrer Kraft verlassen. Eine Menge Leichen und Cadaver von Pferden
und Maulthieren, kennzeichnete den Weg, den die Armee genommen und
Hunderte von Gerippen bleichten noch viele Jahre, ja theilweise bis in


Oft hüllten dunkle Wolken, welche sich an den Abhängen und kuppen lagerten,
die ganze Colonne in dichten Nebel ein. durch dessen kalte durchdringende
Feuchtigkeit die Truppen vollständig durchnäßt wurden. Diese Nebelmassen
verwehrten jede Umsicht, man erkannte kaum seinen Vordermann. — Schwanden
die Kräfte des Mannes, so hielt er an, einen Augenblick zu ruhen, um dann
wieder von Neuem zu klettern, — doch Brodbeutel und Feldflasche waren
leer, eine Stärkung und Erquickung fehlte. Aber trotz der äußersten Er¬
schöpfung, halb barfuß und hungernd, verloren die Russen den Muth
nicht. —

Der Großfürst, gleich allen Uebrigen zu Fuß, war stets an der Spitze
der Avantgarde.

Schon war es spät am Nachmittag, als die Tute der Colonne die Pa߬
höhe erreichte. Das Hinabsteigen wurde jedoch nicht weniger schwierig, als
das Hinaufsteigen. — Auf der Höhe fing es an zu schneien, etwas tiefer
regnete es, — der Boden war dadurch so schlüpfrig geworden, daß man an
vielen Punkten die starken Böschungen hinabrutschen mußte.

Wer nur im Geringsten unvorsichtig ausglitt, stürzte rettungslos in die
Tiefe. Endlich mündet der Pfad in ein enges Defile'e ein, das sogenannte
Bisiloch und erreicht dann, allmälig breiter werdend, das Muotta Thal. Die
Spitzen der Avantgarde trafen daselbst nach einem 12 stündigen Marsch zwischen
5 und 6 Uhr Nachmittags ein. Im Dorfe Muotta befand sich ein kleiner
französischer Posten, der von Schwyz dorthin vorgeschoben war. Die Russen
nicht im Mindesten erwartend, wurde er vollständig überrascht und mußte die
Waffen strecken. -

Trotz der geringen Stärke der Avantgarde war dieselbe doch so aus¬
einandergezogen, daß sie sich erst 12 Uhr Nachts vollständig concentrirt hatte.
Längst hatte die Tete der Avantgarde schon Muotta erreicht, als sich die
Queue der Armee noch nicht einmal in Altdorf von der Stelle bewegte,
Der ganze Pfad bot eine ununterbrochene Reihe von Soldaten und Last¬
thieren dar. die einzeln hintereinander den furchtbaren Weg hinaufkletterten.
In dieser Lage wurden die Russen von der Nacht überfallen. Glücklich die¬
jenigen, welche den Kamm des Gebirges erreicht, sie hatten wenigstens, wenn
auch Schnee, doch sicheren Boden unter ihren Füßen. Beklagenswerth war
jedoch das Loos derer, welche die Nacht auf den steilen Abhängen und an
dem Rande der Abgründe ereilte. Viele, viele dieser Unglücklichen gingen
auf diesem Wege zu Grunde und wurden durch Hunger, Erschöpfung, Kälte
von ihrer Kraft verlassen. Eine Menge Leichen und Cadaver von Pferden
und Maulthieren, kennzeichnete den Weg, den die Armee genommen und
Hunderte von Gerippen bleichten noch viele Jahre, ja theilweise bis in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135465"/>
          <p xml:id="ID_1211" prev="#ID_1210"> Oft hüllten dunkle Wolken, welche sich an den Abhängen und kuppen lagerten,<lb/>
die ganze Colonne in dichten Nebel ein. durch dessen kalte durchdringende<lb/>
Feuchtigkeit die Truppen vollständig durchnäßt wurden. Diese Nebelmassen<lb/>
verwehrten jede Umsicht, man erkannte kaum seinen Vordermann. &#x2014; Schwanden<lb/>
die Kräfte des Mannes, so hielt er an, einen Augenblick zu ruhen, um dann<lb/>
wieder von Neuem zu klettern, &#x2014; doch Brodbeutel und Feldflasche waren<lb/>
leer, eine Stärkung und Erquickung fehlte. Aber trotz der äußersten Er¬<lb/>
schöpfung, halb barfuß und hungernd, verloren die Russen den Muth<lb/>
nicht. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1212"> Der Großfürst, gleich allen Uebrigen zu Fuß, war stets an der Spitze<lb/>
der Avantgarde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1213"> Schon war es spät am Nachmittag, als die Tute der Colonne die Pa߬<lb/>
höhe erreichte. Das Hinabsteigen wurde jedoch nicht weniger schwierig, als<lb/>
das Hinaufsteigen. &#x2014; Auf der Höhe fing es an zu schneien, etwas tiefer<lb/>
regnete es, &#x2014; der Boden war dadurch so schlüpfrig geworden, daß man an<lb/>
vielen Punkten die starken Böschungen hinabrutschen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1214"> Wer nur im Geringsten unvorsichtig ausglitt, stürzte rettungslos in die<lb/>
Tiefe. Endlich mündet der Pfad in ein enges Defile'e ein, das sogenannte<lb/>
Bisiloch und erreicht dann, allmälig breiter werdend, das Muotta Thal. Die<lb/>
Spitzen der Avantgarde trafen daselbst nach einem 12 stündigen Marsch zwischen<lb/>
5 und 6 Uhr Nachmittags ein. Im Dorfe Muotta befand sich ein kleiner<lb/>
französischer Posten, der von Schwyz dorthin vorgeschoben war. Die Russen<lb/>
nicht im Mindesten erwartend, wurde er vollständig überrascht und mußte die<lb/>
Waffen strecken. -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1215" next="#ID_1216"> Trotz der geringen Stärke der Avantgarde war dieselbe doch so aus¬<lb/>
einandergezogen, daß sie sich erst 12 Uhr Nachts vollständig concentrirt hatte.<lb/>
Längst hatte die Tete der Avantgarde schon Muotta erreicht, als sich die<lb/>
Queue der Armee noch nicht einmal in Altdorf von der Stelle bewegte,<lb/>
Der ganze Pfad bot eine ununterbrochene Reihe von Soldaten und Last¬<lb/>
thieren dar. die einzeln hintereinander den furchtbaren Weg hinaufkletterten.<lb/>
In dieser Lage wurden die Russen von der Nacht überfallen. Glücklich die¬<lb/>
jenigen, welche den Kamm des Gebirges erreicht, sie hatten wenigstens, wenn<lb/>
auch Schnee, doch sicheren Boden unter ihren Füßen. Beklagenswerth war<lb/>
jedoch das Loos derer, welche die Nacht auf den steilen Abhängen und an<lb/>
dem Rande der Abgründe ereilte. Viele, viele dieser Unglücklichen gingen<lb/>
auf diesem Wege zu Grunde und wurden durch Hunger, Erschöpfung, Kälte<lb/>
von ihrer Kraft verlassen. Eine Menge Leichen und Cadaver von Pferden<lb/>
und Maulthieren, kennzeichnete den Weg, den die Armee genommen und<lb/>
Hunderte von Gerippen bleichten noch viele Jahre, ja theilweise bis in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] Oft hüllten dunkle Wolken, welche sich an den Abhängen und kuppen lagerten, die ganze Colonne in dichten Nebel ein. durch dessen kalte durchdringende Feuchtigkeit die Truppen vollständig durchnäßt wurden. Diese Nebelmassen verwehrten jede Umsicht, man erkannte kaum seinen Vordermann. — Schwanden die Kräfte des Mannes, so hielt er an, einen Augenblick zu ruhen, um dann wieder von Neuem zu klettern, — doch Brodbeutel und Feldflasche waren leer, eine Stärkung und Erquickung fehlte. Aber trotz der äußersten Er¬ schöpfung, halb barfuß und hungernd, verloren die Russen den Muth nicht. — Der Großfürst, gleich allen Uebrigen zu Fuß, war stets an der Spitze der Avantgarde. Schon war es spät am Nachmittag, als die Tute der Colonne die Pa߬ höhe erreichte. Das Hinabsteigen wurde jedoch nicht weniger schwierig, als das Hinaufsteigen. — Auf der Höhe fing es an zu schneien, etwas tiefer regnete es, — der Boden war dadurch so schlüpfrig geworden, daß man an vielen Punkten die starken Böschungen hinabrutschen mußte. Wer nur im Geringsten unvorsichtig ausglitt, stürzte rettungslos in die Tiefe. Endlich mündet der Pfad in ein enges Defile'e ein, das sogenannte Bisiloch und erreicht dann, allmälig breiter werdend, das Muotta Thal. Die Spitzen der Avantgarde trafen daselbst nach einem 12 stündigen Marsch zwischen 5 und 6 Uhr Nachmittags ein. Im Dorfe Muotta befand sich ein kleiner französischer Posten, der von Schwyz dorthin vorgeschoben war. Die Russen nicht im Mindesten erwartend, wurde er vollständig überrascht und mußte die Waffen strecken. - Trotz der geringen Stärke der Avantgarde war dieselbe doch so aus¬ einandergezogen, daß sie sich erst 12 Uhr Nachts vollständig concentrirt hatte. Längst hatte die Tete der Avantgarde schon Muotta erreicht, als sich die Queue der Armee noch nicht einmal in Altdorf von der Stelle bewegte, Der ganze Pfad bot eine ununterbrochene Reihe von Soldaten und Last¬ thieren dar. die einzeln hintereinander den furchtbaren Weg hinaufkletterten. In dieser Lage wurden die Russen von der Nacht überfallen. Glücklich die¬ jenigen, welche den Kamm des Gebirges erreicht, sie hatten wenigstens, wenn auch Schnee, doch sicheren Boden unter ihren Füßen. Beklagenswerth war jedoch das Loos derer, welche die Nacht auf den steilen Abhängen und an dem Rande der Abgründe ereilte. Viele, viele dieser Unglücklichen gingen auf diesem Wege zu Grunde und wurden durch Hunger, Erschöpfung, Kälte von ihrer Kraft verlassen. Eine Menge Leichen und Cadaver von Pferden und Maulthieren, kennzeichnete den Weg, den die Armee genommen und Hunderte von Gerippen bleichten noch viele Jahre, ja theilweise bis in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/412>, abgerufen am 27.09.2024.