Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

trauern um ihren treuergebener rastlosen Jünger mit verhülltem Haupte.
Ist er auch nicht gerade dem ausgesprochenen raffinirten Verrath zum Opfer
gefallen, so ist er doch mitten aus dem schönsten Lebenswege, aus einem
ergiebigen Erntewerk als noch nicht fertiger Schnitter hinweggerafft worden
von einem noch gewaltigeren Schnitter, der gern im Bollen seine Sense ansetzt.
Der Tod ist vor Kurzem auch an den zwei Jahre älteren Bruder des Ver¬
storbenen, einen auf seinem Gebiete gleichfalls rastlos thätigen Streiter, einen
ganzen Mann in jeglichem Sinne des Wortes, herangetreten --an Walther Mun-
zinger, den Rechtslehrer in Bern, der mit dem greisen Augustin Keller, Vor¬
kämpfer der altkatholischen Bewegung in der Schweiz, dessen meisterhaft ge¬
schriebenes "Lebensbild" (von der Hand seiner beiden Freunde O. Dietschi
und Leo Weber) vor kurzem uns dargeboten worden ist, und auf das wir an dieser
Stelle um so eher glauben unsere Leser aufmerksam machen zu dürfen, als
der eine der Verfasser, Dietschi, eine "Rede bei der Gedächtnißfeier von
Werner Munzinger - Pascha" so eben hat erscheinen lassen. Auch sie ist
ein, wenn auch gedrängteres und skizzenhaftes "Lebensbild" des Verstorbenen,
von kundiger und, für die persönlichen Verhältnisse desselben, durch directe
Familtenangaben unterstützter Hand entworfen. Eine ausführlichere Dar¬
stellung (wie sie etwa über Walther vorliegt) bleibt der Zukunft vorbehalten.
Bei verschiedenster Anlage, Lebensrichtung und Lebensführung haben beide
Brüder doch das eine gemeinsam, daß sie treue, echte, kernhafte, im Dienste
ihrer Pflicht beflissene und aufopfernde Schweizernaturen waren -- par mobile
tratrum im schönsten Sinne. Werner Munzinger - Papa war 1832 als
jüngster Sohn des unvergeßlichen Bundesraths Joseph Munzinger in Otter
geboren. Er besuchte das Gymnasium von Solothurn, und wie früh
schon sein jugendlicher Geist seine Schwingen entfaltete, zeigt sich in dem
Versuche, in Gesellschaft mit einem Freunde, als kaum Sechszehnjähriger, eine
Zeitschrift "Mereur des XIX. Jahrhunderts" zu gründen -- ein Versuch,
der freilich nach dem Erscheinen der ersten Nummer ins Stocken gerieth.
Hierauf lag er in Bern, wohin seine Familie übergesiedelt war, naturge¬
schichtlichen Studien ob, ohne sich indessen als prädesttnirten Jünger dieser
Wissenschaften zu betrachten; auch Sprachen, Literatur und Geschichte zogen
ihn an. Nach längerem Schwanken und Naschen entschloß er sich, besonders
auf das Drängen des Vaters, zur endlichen Entscheidung, das Sprachstudium
zu seiner Lebensaufgabe zu wählen und vertiefte sich in Paris und München
in die orientalischen Sprachen. Im Juli 1852 nahm er von seinem damals
gleichfalls in Paris studirenden Bruder Walther Abschied, um in Kairo
eine Zeitlang seinem Zwecke zu leben. Er wollte sich aber das Geld dazu
selbst verdienen und trat in ein Handlungshaus in Alexandria ein, das ihn
schon 18S3 als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere


trauern um ihren treuergebener rastlosen Jünger mit verhülltem Haupte.
Ist er auch nicht gerade dem ausgesprochenen raffinirten Verrath zum Opfer
gefallen, so ist er doch mitten aus dem schönsten Lebenswege, aus einem
ergiebigen Erntewerk als noch nicht fertiger Schnitter hinweggerafft worden
von einem noch gewaltigeren Schnitter, der gern im Bollen seine Sense ansetzt.
Der Tod ist vor Kurzem auch an den zwei Jahre älteren Bruder des Ver¬
storbenen, einen auf seinem Gebiete gleichfalls rastlos thätigen Streiter, einen
ganzen Mann in jeglichem Sinne des Wortes, herangetreten —an Walther Mun-
zinger, den Rechtslehrer in Bern, der mit dem greisen Augustin Keller, Vor¬
kämpfer der altkatholischen Bewegung in der Schweiz, dessen meisterhaft ge¬
schriebenes „Lebensbild" (von der Hand seiner beiden Freunde O. Dietschi
und Leo Weber) vor kurzem uns dargeboten worden ist, und auf das wir an dieser
Stelle um so eher glauben unsere Leser aufmerksam machen zu dürfen, als
der eine der Verfasser, Dietschi, eine „Rede bei der Gedächtnißfeier von
Werner Munzinger - Pascha" so eben hat erscheinen lassen. Auch sie ist
ein, wenn auch gedrängteres und skizzenhaftes „Lebensbild" des Verstorbenen,
von kundiger und, für die persönlichen Verhältnisse desselben, durch directe
Familtenangaben unterstützter Hand entworfen. Eine ausführlichere Dar¬
stellung (wie sie etwa über Walther vorliegt) bleibt der Zukunft vorbehalten.
Bei verschiedenster Anlage, Lebensrichtung und Lebensführung haben beide
Brüder doch das eine gemeinsam, daß sie treue, echte, kernhafte, im Dienste
ihrer Pflicht beflissene und aufopfernde Schweizernaturen waren — par mobile
tratrum im schönsten Sinne. Werner Munzinger - Papa war 1832 als
jüngster Sohn des unvergeßlichen Bundesraths Joseph Munzinger in Otter
geboren. Er besuchte das Gymnasium von Solothurn, und wie früh
schon sein jugendlicher Geist seine Schwingen entfaltete, zeigt sich in dem
Versuche, in Gesellschaft mit einem Freunde, als kaum Sechszehnjähriger, eine
Zeitschrift „Mereur des XIX. Jahrhunderts" zu gründen — ein Versuch,
der freilich nach dem Erscheinen der ersten Nummer ins Stocken gerieth.
Hierauf lag er in Bern, wohin seine Familie übergesiedelt war, naturge¬
schichtlichen Studien ob, ohne sich indessen als prädesttnirten Jünger dieser
Wissenschaften zu betrachten; auch Sprachen, Literatur und Geschichte zogen
ihn an. Nach längerem Schwanken und Naschen entschloß er sich, besonders
auf das Drängen des Vaters, zur endlichen Entscheidung, das Sprachstudium
zu seiner Lebensaufgabe zu wählen und vertiefte sich in Paris und München
in die orientalischen Sprachen. Im Juli 1852 nahm er von seinem damals
gleichfalls in Paris studirenden Bruder Walther Abschied, um in Kairo
eine Zeitlang seinem Zwecke zu leben. Er wollte sich aber das Geld dazu
selbst verdienen und trat in ein Handlungshaus in Alexandria ein, das ihn
schon 18S3 als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135453"/>
          <p xml:id="ID_1173" prev="#ID_1172" next="#ID_1174"> trauern um ihren treuergebener rastlosen Jünger mit verhülltem Haupte.<lb/>
Ist er auch nicht gerade dem ausgesprochenen raffinirten Verrath zum Opfer<lb/>
gefallen, so ist er doch mitten aus dem schönsten Lebenswege, aus einem<lb/>
ergiebigen Erntewerk als noch nicht fertiger Schnitter hinweggerafft worden<lb/>
von einem noch gewaltigeren Schnitter, der gern im Bollen seine Sense ansetzt.<lb/>
Der Tod ist vor Kurzem auch an den zwei Jahre älteren Bruder des Ver¬<lb/>
storbenen, einen auf seinem Gebiete gleichfalls rastlos thätigen Streiter, einen<lb/>
ganzen Mann in jeglichem Sinne des Wortes, herangetreten &#x2014;an Walther Mun-<lb/>
zinger, den Rechtslehrer in Bern, der mit dem greisen Augustin Keller, Vor¬<lb/>
kämpfer der altkatholischen Bewegung in der Schweiz, dessen meisterhaft ge¬<lb/>
schriebenes &#x201E;Lebensbild" (von der Hand seiner beiden Freunde O. Dietschi<lb/>
und Leo Weber) vor kurzem uns dargeboten worden ist, und auf das wir an dieser<lb/>
Stelle um so eher glauben unsere Leser aufmerksam machen zu dürfen, als<lb/>
der eine der Verfasser, Dietschi, eine &#x201E;Rede bei der Gedächtnißfeier von<lb/>
Werner Munzinger - Pascha" so eben hat erscheinen lassen. Auch sie ist<lb/>
ein, wenn auch gedrängteres und skizzenhaftes &#x201E;Lebensbild" des Verstorbenen,<lb/>
von kundiger und, für die persönlichen Verhältnisse desselben, durch directe<lb/>
Familtenangaben unterstützter Hand entworfen. Eine ausführlichere Dar¬<lb/>
stellung (wie sie etwa über Walther vorliegt) bleibt der Zukunft vorbehalten.<lb/>
Bei verschiedenster Anlage, Lebensrichtung und Lebensführung haben beide<lb/>
Brüder doch das eine gemeinsam, daß sie treue, echte, kernhafte, im Dienste<lb/>
ihrer Pflicht beflissene und aufopfernde Schweizernaturen waren &#x2014; par mobile<lb/>
tratrum im schönsten Sinne. Werner Munzinger - Papa war 1832 als<lb/>
jüngster Sohn des unvergeßlichen Bundesraths Joseph Munzinger in Otter<lb/>
geboren. Er besuchte das Gymnasium von Solothurn, und wie früh<lb/>
schon sein jugendlicher Geist seine Schwingen entfaltete, zeigt sich in dem<lb/>
Versuche, in Gesellschaft mit einem Freunde, als kaum Sechszehnjähriger, eine<lb/>
Zeitschrift &#x201E;Mereur des XIX. Jahrhunderts" zu gründen &#x2014; ein Versuch,<lb/>
der freilich nach dem Erscheinen der ersten Nummer ins Stocken gerieth.<lb/>
Hierauf lag er in Bern, wohin seine Familie übergesiedelt war, naturge¬<lb/>
schichtlichen Studien ob, ohne sich indessen als prädesttnirten Jünger dieser<lb/>
Wissenschaften zu betrachten; auch Sprachen, Literatur und Geschichte zogen<lb/>
ihn an. Nach längerem Schwanken und Naschen entschloß er sich, besonders<lb/>
auf das Drängen des Vaters, zur endlichen Entscheidung, das Sprachstudium<lb/>
zu seiner Lebensaufgabe zu wählen und vertiefte sich in Paris und München<lb/>
in die orientalischen Sprachen. Im Juli 1852 nahm er von seinem damals<lb/>
gleichfalls in Paris studirenden Bruder Walther Abschied, um in Kairo<lb/>
eine Zeitlang seinem Zwecke zu leben. Er wollte sich aber das Geld dazu<lb/>
selbst verdienen und trat in ein Handlungshaus in Alexandria ein, das ihn<lb/>
schon 18S3 als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] trauern um ihren treuergebener rastlosen Jünger mit verhülltem Haupte. Ist er auch nicht gerade dem ausgesprochenen raffinirten Verrath zum Opfer gefallen, so ist er doch mitten aus dem schönsten Lebenswege, aus einem ergiebigen Erntewerk als noch nicht fertiger Schnitter hinweggerafft worden von einem noch gewaltigeren Schnitter, der gern im Bollen seine Sense ansetzt. Der Tod ist vor Kurzem auch an den zwei Jahre älteren Bruder des Ver¬ storbenen, einen auf seinem Gebiete gleichfalls rastlos thätigen Streiter, einen ganzen Mann in jeglichem Sinne des Wortes, herangetreten —an Walther Mun- zinger, den Rechtslehrer in Bern, der mit dem greisen Augustin Keller, Vor¬ kämpfer der altkatholischen Bewegung in der Schweiz, dessen meisterhaft ge¬ schriebenes „Lebensbild" (von der Hand seiner beiden Freunde O. Dietschi und Leo Weber) vor kurzem uns dargeboten worden ist, und auf das wir an dieser Stelle um so eher glauben unsere Leser aufmerksam machen zu dürfen, als der eine der Verfasser, Dietschi, eine „Rede bei der Gedächtnißfeier von Werner Munzinger - Pascha" so eben hat erscheinen lassen. Auch sie ist ein, wenn auch gedrängteres und skizzenhaftes „Lebensbild" des Verstorbenen, von kundiger und, für die persönlichen Verhältnisse desselben, durch directe Familtenangaben unterstützter Hand entworfen. Eine ausführlichere Dar¬ stellung (wie sie etwa über Walther vorliegt) bleibt der Zukunft vorbehalten. Bei verschiedenster Anlage, Lebensrichtung und Lebensführung haben beide Brüder doch das eine gemeinsam, daß sie treue, echte, kernhafte, im Dienste ihrer Pflicht beflissene und aufopfernde Schweizernaturen waren — par mobile tratrum im schönsten Sinne. Werner Munzinger - Papa war 1832 als jüngster Sohn des unvergeßlichen Bundesraths Joseph Munzinger in Otter geboren. Er besuchte das Gymnasium von Solothurn, und wie früh schon sein jugendlicher Geist seine Schwingen entfaltete, zeigt sich in dem Versuche, in Gesellschaft mit einem Freunde, als kaum Sechszehnjähriger, eine Zeitschrift „Mereur des XIX. Jahrhunderts" zu gründen — ein Versuch, der freilich nach dem Erscheinen der ersten Nummer ins Stocken gerieth. Hierauf lag er in Bern, wohin seine Familie übergesiedelt war, naturge¬ schichtlichen Studien ob, ohne sich indessen als prädesttnirten Jünger dieser Wissenschaften zu betrachten; auch Sprachen, Literatur und Geschichte zogen ihn an. Nach längerem Schwanken und Naschen entschloß er sich, besonders auf das Drängen des Vaters, zur endlichen Entscheidung, das Sprachstudium zu seiner Lebensaufgabe zu wählen und vertiefte sich in Paris und München in die orientalischen Sprachen. Im Juli 1852 nahm er von seinem damals gleichfalls in Paris studirenden Bruder Walther Abschied, um in Kairo eine Zeitlang seinem Zwecke zu leben. Er wollte sich aber das Geld dazu selbst verdienen und trat in ein Handlungshaus in Alexandria ein, das ihn schon 18S3 als zweiten Chef einer Handelsexpedition nach dem Rothen Meere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/400>, abgerufen am 19.10.2024.