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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Das Gebiet, das wir hier überschauen, wird das Bitscher Ländchen ge¬
nannt und die Rauhheit, die ihm selber eigen ist, überträgt sich in gewissem
Sinne auch auf die Bewohner. Etwas herbes und hartes, wie es ihr tägliches
Leben mit sich bringt, prägt sich in ihren Zügen aus, sie machen im Verkehr
einen fast stumpfen Eindruck, allein sobald nur der Wein oder irgend welcher
ungewöhnliche Anlaß wirkt, dann bricht das Ungestüm ihrer Natur mit
doppelter Wucht hervor. In solchen Fällen kann man wohl Zeuge der
heftigsten Streitigkeiten werden und einer Derbheit, die alle Ahnung übertrifft.

Was die Frauen anlangt, so besitzen dieselben zwar frische Farben und
kräftige Gestalt, aber der Ausdruck leidet auch hier an einer gewissen Stumpf¬
heit und das Kostüm, welches sie tragen, trägt nicht dazu bei, ihre Erscheinung
zu heben. Es fehlt auch hier jene frohe Beweglichkeit im geistigen und
körperlichen Sinne, welche das Vorrecht jener Völker ist, die das Glück erzog;
hier aber ist das Volk in rauher Natur, in karger Nahrung, in schwerem
Druck und Wechsel herangewachsen.

Für die verwilderte Einsamkeit, die in den nahen Thälern bestand, mag
der Umstand zeugen, daß noch vor hundert Jahren zahlreiche Zigeunerschaaren
das Land durchzogen, bis man dieselben zwang, sich an einzelnen Orten anzu¬
siedeln. Auch Sage und Aberglauben blüht unter dem Schutze der nahen
Wälder noch üppig empor, oder doch reicher als dort, wo kahle flache Erde
auch die gestaltende Phantasie des Volkes verflacht.

Hier soll auch noch der uralte Brauch der "Spinnstuben" lebendig sein
und "dort war ja von je die Lieblingsstätte der Sage; beim Schnurren der
Spindeln wandelte die heimische Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht".

So erzählt es uns Wilhelm Hertz, der gelehrte Poet in seiner bildschönen
Weise. Da sitzen in der Mitternacht die Weiber mit den Spinnrädern um
den Ofen, die Männer mit qualmenden Pfeifen liegen auf den Bänken an
der Wand, und in die Besprechung der Tagesereignisse mischen sich jene innigen
deutschen Volkslieder, von welchen vor hundert Jahren der Straßburger Stu¬
dent Goethe eine kleine Sammlung für Herder aufschrieb, die Sagen der Vor¬
zeit und die Märchen von der Frau Holle, von den Erdmänuchen, von
Hansel und Gretel, Kleinode deutscher Volksdichtung in treuherziger aleman¬
nischer Sprache. In früheren Wintern, so sagt man, kam wohl auch der
Hausgeist dazu, legte sich auf den großen Kachelofen und rauchte Tabak wie
K -- r. die andern.




Das Gebiet, das wir hier überschauen, wird das Bitscher Ländchen ge¬
nannt und die Rauhheit, die ihm selber eigen ist, überträgt sich in gewissem
Sinne auch auf die Bewohner. Etwas herbes und hartes, wie es ihr tägliches
Leben mit sich bringt, prägt sich in ihren Zügen aus, sie machen im Verkehr
einen fast stumpfen Eindruck, allein sobald nur der Wein oder irgend welcher
ungewöhnliche Anlaß wirkt, dann bricht das Ungestüm ihrer Natur mit
doppelter Wucht hervor. In solchen Fällen kann man wohl Zeuge der
heftigsten Streitigkeiten werden und einer Derbheit, die alle Ahnung übertrifft.

Was die Frauen anlangt, so besitzen dieselben zwar frische Farben und
kräftige Gestalt, aber der Ausdruck leidet auch hier an einer gewissen Stumpf¬
heit und das Kostüm, welches sie tragen, trägt nicht dazu bei, ihre Erscheinung
zu heben. Es fehlt auch hier jene frohe Beweglichkeit im geistigen und
körperlichen Sinne, welche das Vorrecht jener Völker ist, die das Glück erzog;
hier aber ist das Volk in rauher Natur, in karger Nahrung, in schwerem
Druck und Wechsel herangewachsen.

Für die verwilderte Einsamkeit, die in den nahen Thälern bestand, mag
der Umstand zeugen, daß noch vor hundert Jahren zahlreiche Zigeunerschaaren
das Land durchzogen, bis man dieselben zwang, sich an einzelnen Orten anzu¬
siedeln. Auch Sage und Aberglauben blüht unter dem Schutze der nahen
Wälder noch üppig empor, oder doch reicher als dort, wo kahle flache Erde
auch die gestaltende Phantasie des Volkes verflacht.

Hier soll auch noch der uralte Brauch der „Spinnstuben" lebendig sein
und „dort war ja von je die Lieblingsstätte der Sage; beim Schnurren der
Spindeln wandelte die heimische Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht".

So erzählt es uns Wilhelm Hertz, der gelehrte Poet in seiner bildschönen
Weise. Da sitzen in der Mitternacht die Weiber mit den Spinnrädern um
den Ofen, die Männer mit qualmenden Pfeifen liegen auf den Bänken an
der Wand, und in die Besprechung der Tagesereignisse mischen sich jene innigen
deutschen Volkslieder, von welchen vor hundert Jahren der Straßburger Stu¬
dent Goethe eine kleine Sammlung für Herder aufschrieb, die Sagen der Vor¬
zeit und die Märchen von der Frau Holle, von den Erdmänuchen, von
Hansel und Gretel, Kleinode deutscher Volksdichtung in treuherziger aleman¬
nischer Sprache. In früheren Wintern, so sagt man, kam wohl auch der
Hausgeist dazu, legte sich auf den großen Kachelofen und rauchte Tabak wie
K — r. die andern.




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[0397] Das Gebiet, das wir hier überschauen, wird das Bitscher Ländchen ge¬ nannt und die Rauhheit, die ihm selber eigen ist, überträgt sich in gewissem Sinne auch auf die Bewohner. Etwas herbes und hartes, wie es ihr tägliches Leben mit sich bringt, prägt sich in ihren Zügen aus, sie machen im Verkehr einen fast stumpfen Eindruck, allein sobald nur der Wein oder irgend welcher ungewöhnliche Anlaß wirkt, dann bricht das Ungestüm ihrer Natur mit doppelter Wucht hervor. In solchen Fällen kann man wohl Zeuge der heftigsten Streitigkeiten werden und einer Derbheit, die alle Ahnung übertrifft. Was die Frauen anlangt, so besitzen dieselben zwar frische Farben und kräftige Gestalt, aber der Ausdruck leidet auch hier an einer gewissen Stumpf¬ heit und das Kostüm, welches sie tragen, trägt nicht dazu bei, ihre Erscheinung zu heben. Es fehlt auch hier jene frohe Beweglichkeit im geistigen und körperlichen Sinne, welche das Vorrecht jener Völker ist, die das Glück erzog; hier aber ist das Volk in rauher Natur, in karger Nahrung, in schwerem Druck und Wechsel herangewachsen. Für die verwilderte Einsamkeit, die in den nahen Thälern bestand, mag der Umstand zeugen, daß noch vor hundert Jahren zahlreiche Zigeunerschaaren das Land durchzogen, bis man dieselben zwang, sich an einzelnen Orten anzu¬ siedeln. Auch Sage und Aberglauben blüht unter dem Schutze der nahen Wälder noch üppig empor, oder doch reicher als dort, wo kahle flache Erde auch die gestaltende Phantasie des Volkes verflacht. Hier soll auch noch der uralte Brauch der „Spinnstuben" lebendig sein und „dort war ja von je die Lieblingsstätte der Sage; beim Schnurren der Spindeln wandelte die heimische Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht". So erzählt es uns Wilhelm Hertz, der gelehrte Poet in seiner bildschönen Weise. Da sitzen in der Mitternacht die Weiber mit den Spinnrädern um den Ofen, die Männer mit qualmenden Pfeifen liegen auf den Bänken an der Wand, und in die Besprechung der Tagesereignisse mischen sich jene innigen deutschen Volkslieder, von welchen vor hundert Jahren der Straßburger Stu¬ dent Goethe eine kleine Sammlung für Herder aufschrieb, die Sagen der Vor¬ zeit und die Märchen von der Frau Holle, von den Erdmänuchen, von Hansel und Gretel, Kleinode deutscher Volksdichtung in treuherziger aleman¬ nischer Sprache. In früheren Wintern, so sagt man, kam wohl auch der Hausgeist dazu, legte sich auf den großen Kachelofen und rauchte Tabak wie K — r. die andern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/397>, abgerufen am 28.09.2024.