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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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denen im indischen Epos Wischnu's Vogel kämpft, und von den Einfüßlern,
welche "sehr schnelle" Pferde als Tribut bringen, sowie mehrere ähnliche
Sächelchen im Wesentlichen unsern Lalengeschichten.

Unter den Griechen der Zeit Lukian's standen die Bewohner des äto-
lischen Kyme, des böotischen Haliartos und vor Allem die des thrakischen
Abdera, der Heimat Demokrit's, des "lachenden Philosophen", im Gerüche der
Gimpelhaftigkeit. Und was sagten nicht die spottsüchtigen Athener allen,
nicht blos den genannten, Böotiern nach, die sie bald "Schafe", bald "Schweine"
titulirten. Ferner besaß die hellenische Nation in den Arkadiern einen ganzen
Stamm von Tröpfen und Querköpfen. Ein Mensch schwer von Begriffen,
ein Schnelldenker, ein Confusionsrath wurde in den Tagen des Aristophanes
ein "arkadisches Vieh" genannt. Am meisten hatten die Griechen die Kreter
auf dem Strich, die ihr eigner Landsmann Epimenides als "Lügner, böse
Thiere und faule Bäuche von jeher", bezeichnet, und von deren Namen man
sogar ein eignes Verbum gebildet hatte (x^r^-co), welches Hallunkenhaft han¬
deln bedeutete. Die Römer wurden von den Griechen nach Plinius "Opiker"
genannt, worüber der alte Cato sehr böse gewesen sein soll. Denn wenn
das auch nur wie die Uebertragung des Namens der italischen Völkerschaft,
mit welcher die Griechen zuerst in Berührung gekommen waren, auf alle
Jtalier aussah, so konnte man (und sollte man ohne Zweifel) dabei an die
Bedeutung des griechischen Wortes o?r/ denken, welches philosophisch ausge¬
drückt die "partielle Negation einer relativen Totalität" ausdrückt. Die Römer
ihrerseits schalten die Halbhellenen im südlichen Italien Weichlinge und Wind¬
beutel. Unter sich aber hatten sie im etrurischen Fescennium, im campanischen
Atella und eine Zeitlang auch in Capua Orte, welche für Narrenstädte wie
Abdera galten.

Die alten Juden verspotteten gewisse Nachbarvölker als aus Blut¬
schande oder andern fleischlichen Vergehen entsprossen, sie führten eine Nieder¬
lage der Moabiter auf eine ähnliche Neckmäre zurück, wie die, in welcher die
sieben Schwaben sich über die Natur eines Flachsfeldes täuschen, und sie
hielten den Philistern die Streiche vor, die Simson ihnen angeblich gespielt
hatte. Später galten ihnen die Galiläer für einfältig, und es sieht fast aus,
als habe Nazareth in Jerusalem als eine Art Lalenburg figurirt.

Begehen wir uns in die Gegenwart zurück, so finden wir, daß die Dänen
ihre Mitbürger in Jütland für naiver als billig halten, worüber wir in
Holberg's Lustspielen und anderwärts eine Menge artiger und unartiger
Histörchen lesen können. Die Dänen als Gesammtheit wurden von ihren
südlichen Nachbarn in der Zeit der deutschen Befreiungskriege mit den Spitz¬
namen "Grüttsack" (Grützesack) und "Schuckelmeier" beehrt, und man sang
damals in Hamburg:


denen im indischen Epos Wischnu's Vogel kämpft, und von den Einfüßlern,
welche „sehr schnelle" Pferde als Tribut bringen, sowie mehrere ähnliche
Sächelchen im Wesentlichen unsern Lalengeschichten.

Unter den Griechen der Zeit Lukian's standen die Bewohner des äto-
lischen Kyme, des böotischen Haliartos und vor Allem die des thrakischen
Abdera, der Heimat Demokrit's, des „lachenden Philosophen", im Gerüche der
Gimpelhaftigkeit. Und was sagten nicht die spottsüchtigen Athener allen,
nicht blos den genannten, Böotiern nach, die sie bald „Schafe", bald „Schweine"
titulirten. Ferner besaß die hellenische Nation in den Arkadiern einen ganzen
Stamm von Tröpfen und Querköpfen. Ein Mensch schwer von Begriffen,
ein Schnelldenker, ein Confusionsrath wurde in den Tagen des Aristophanes
ein „arkadisches Vieh" genannt. Am meisten hatten die Griechen die Kreter
auf dem Strich, die ihr eigner Landsmann Epimenides als „Lügner, böse
Thiere und faule Bäuche von jeher", bezeichnet, und von deren Namen man
sogar ein eignes Verbum gebildet hatte (x^r^-co), welches Hallunkenhaft han¬
deln bedeutete. Die Römer wurden von den Griechen nach Plinius „Opiker"
genannt, worüber der alte Cato sehr böse gewesen sein soll. Denn wenn
das auch nur wie die Uebertragung des Namens der italischen Völkerschaft,
mit welcher die Griechen zuerst in Berührung gekommen waren, auf alle
Jtalier aussah, so konnte man (und sollte man ohne Zweifel) dabei an die
Bedeutung des griechischen Wortes o?r/ denken, welches philosophisch ausge¬
drückt die „partielle Negation einer relativen Totalität" ausdrückt. Die Römer
ihrerseits schalten die Halbhellenen im südlichen Italien Weichlinge und Wind¬
beutel. Unter sich aber hatten sie im etrurischen Fescennium, im campanischen
Atella und eine Zeitlang auch in Capua Orte, welche für Narrenstädte wie
Abdera galten.

Die alten Juden verspotteten gewisse Nachbarvölker als aus Blut¬
schande oder andern fleischlichen Vergehen entsprossen, sie führten eine Nieder¬
lage der Moabiter auf eine ähnliche Neckmäre zurück, wie die, in welcher die
sieben Schwaben sich über die Natur eines Flachsfeldes täuschen, und sie
hielten den Philistern die Streiche vor, die Simson ihnen angeblich gespielt
hatte. Später galten ihnen die Galiläer für einfältig, und es sieht fast aus,
als habe Nazareth in Jerusalem als eine Art Lalenburg figurirt.

Begehen wir uns in die Gegenwart zurück, so finden wir, daß die Dänen
ihre Mitbürger in Jütland für naiver als billig halten, worüber wir in
Holberg's Lustspielen und anderwärts eine Menge artiger und unartiger
Histörchen lesen können. Die Dänen als Gesammtheit wurden von ihren
südlichen Nachbarn in der Zeit der deutschen Befreiungskriege mit den Spitz¬
namen „Grüttsack" (Grützesack) und „Schuckelmeier" beehrt, und man sang
damals in Hamburg:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/387>, abgerufen am 01.07.2024.