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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Kegen angemessene Besteuerung, der Wunsch der Arbeiter gehe dagegen auf
eine progressive Einkommensteuer. Das Letztere mag thatsächlich richtig sein,
aber darum ist der bezügliche Wunsch noch lange nicht vernünftig. Bis zur
Sinnlosigkeit falsch ist die fernere Behauptung, die Contingentirung der Ein¬
kommensteuer bedeute die Bevorzugung der Reichen durch eine geringere
Steuer. Das hängt doch wohl davon ab, wie hoch das Contingent gegriffen
wird. Bei einem hohen Contingent und bei Einschätzungscommissionen, die
von der Gesammtheit der Pflichtigen eines Orts oder Kreises gewählt sind,
Würden diese Commissionen sicherlich die größten Einkommen sich nicht zur
entsprechenden Heranziehung entgehen lassen. Die Contingentirung ist es
sogar allein, die hierzu führen kann. Denn ihre unmittelbare Folge ist, daß,
was ein Reicher zu wenig zahlt, ein minder Bemittelter zu viel zahlt. Da¬
gegen werden die Letzteren schon lernen, sich zu schützen. So lange dagegen
die Einkommensteuer nicht eontingentirt ist, fällt jede genaue Heranziehung
in den Verdacht des willkürlichen Heraufschraubens der Staatseinnahme. Ein
interessanter Punkt, welchen diese Verhandlung zu Tage brachte, ist nun aber
der, daß nicht der Staat es ist, der die Einschätzung zur Einkommensteuer
heraufschraubt, sondern die Gemeinden, seitdem diese auf Zuschlage zur
Staatseinkommensteuer mehr und mehr angewiesen werden. Aus dieser
Praktischen Folge ergiebt sich recht deutlich die Verkehrtheit des Systems
solcher Zuschlage, eine Verkehrtheit, gegen die gewisse Leute blind sein wollten.
Staat und Gemeinde, besser ausgedrückt: Centralverwaltung und Localver¬
waltung müssen verschiedene Einnahmequellen haben: die Localverwaltung
die Grundsteuer, die Centralverwaltung die Einkommensteuer. Reicht aber
die Localverwaltung, zu der wir Ort, Kreis, Provinz rechnen, mit der Grund-
und Gebäudesteuer nicht aus, so muß die Localverwaltung eine eigenartige
Einkommensteuer zu Hülse nehmen, nicht aber Zuschlage zur Staatsein¬
kommensteuer.

Die alte Wahrheit, daß das tägliche Leben an Ueberraschungen uner¬
schöpflich ist, bereicherte am 18. Febr. der Abg. Laster mit seinem eigenen
Beispiel. Laster, wer sollte es für möglich halten, sprach wie ein eingefleisch¬
ter Bureaukrat. Auch er erklärte sich gegen die Contingentirung der Ein¬
kommensteuer, "denn dann würde der steigende Wohlstand nicht steuermäßig
ausgenutzt werden." Was in dem Manne nicht alles steckt, nun sogar noch
ein Oberfiscal! Es wurde uns ganz schwach und beklommen, als wir das
hörten. Jedes Bischen steigender Wohlstand, das Einem von uns liebende
Mächte bescheeren möchten, muß "steuermäßig ausgenutzt werden". Offen¬
bar ist diese Ausnutzung der Zweck des menschlichen Daseins und Fleißes.
Da möchte Mancher lieber seine Sparbüchse auf den Mond schicken, damit
doch etwas Weniges "nicht steuermäßig ausgenutzt wird". Wir unserseits


Kegen angemessene Besteuerung, der Wunsch der Arbeiter gehe dagegen auf
eine progressive Einkommensteuer. Das Letztere mag thatsächlich richtig sein,
aber darum ist der bezügliche Wunsch noch lange nicht vernünftig. Bis zur
Sinnlosigkeit falsch ist die fernere Behauptung, die Contingentirung der Ein¬
kommensteuer bedeute die Bevorzugung der Reichen durch eine geringere
Steuer. Das hängt doch wohl davon ab, wie hoch das Contingent gegriffen
wird. Bei einem hohen Contingent und bei Einschätzungscommissionen, die
von der Gesammtheit der Pflichtigen eines Orts oder Kreises gewählt sind,
Würden diese Commissionen sicherlich die größten Einkommen sich nicht zur
entsprechenden Heranziehung entgehen lassen. Die Contingentirung ist es
sogar allein, die hierzu führen kann. Denn ihre unmittelbare Folge ist, daß,
was ein Reicher zu wenig zahlt, ein minder Bemittelter zu viel zahlt. Da¬
gegen werden die Letzteren schon lernen, sich zu schützen. So lange dagegen
die Einkommensteuer nicht eontingentirt ist, fällt jede genaue Heranziehung
in den Verdacht des willkürlichen Heraufschraubens der Staatseinnahme. Ein
interessanter Punkt, welchen diese Verhandlung zu Tage brachte, ist nun aber
der, daß nicht der Staat es ist, der die Einschätzung zur Einkommensteuer
heraufschraubt, sondern die Gemeinden, seitdem diese auf Zuschlage zur
Staatseinkommensteuer mehr und mehr angewiesen werden. Aus dieser
Praktischen Folge ergiebt sich recht deutlich die Verkehrtheit des Systems
solcher Zuschlage, eine Verkehrtheit, gegen die gewisse Leute blind sein wollten.
Staat und Gemeinde, besser ausgedrückt: Centralverwaltung und Localver¬
waltung müssen verschiedene Einnahmequellen haben: die Localverwaltung
die Grundsteuer, die Centralverwaltung die Einkommensteuer. Reicht aber
die Localverwaltung, zu der wir Ort, Kreis, Provinz rechnen, mit der Grund-
und Gebäudesteuer nicht aus, so muß die Localverwaltung eine eigenartige
Einkommensteuer zu Hülse nehmen, nicht aber Zuschlage zur Staatsein¬
kommensteuer.

Die alte Wahrheit, daß das tägliche Leben an Ueberraschungen uner¬
schöpflich ist, bereicherte am 18. Febr. der Abg. Laster mit seinem eigenen
Beispiel. Laster, wer sollte es für möglich halten, sprach wie ein eingefleisch¬
ter Bureaukrat. Auch er erklärte sich gegen die Contingentirung der Ein¬
kommensteuer, „denn dann würde der steigende Wohlstand nicht steuermäßig
ausgenutzt werden." Was in dem Manne nicht alles steckt, nun sogar noch
ein Oberfiscal! Es wurde uns ganz schwach und beklommen, als wir das
hörten. Jedes Bischen steigender Wohlstand, das Einem von uns liebende
Mächte bescheeren möchten, muß „steuermäßig ausgenutzt werden". Offen¬
bar ist diese Ausnutzung der Zweck des menschlichen Daseins und Fleißes.
Da möchte Mancher lieber seine Sparbüchse auf den Mond schicken, damit
doch etwas Weniges „nicht steuermäßig ausgenutzt wird". Wir unserseits


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[0363] Kegen angemessene Besteuerung, der Wunsch der Arbeiter gehe dagegen auf eine progressive Einkommensteuer. Das Letztere mag thatsächlich richtig sein, aber darum ist der bezügliche Wunsch noch lange nicht vernünftig. Bis zur Sinnlosigkeit falsch ist die fernere Behauptung, die Contingentirung der Ein¬ kommensteuer bedeute die Bevorzugung der Reichen durch eine geringere Steuer. Das hängt doch wohl davon ab, wie hoch das Contingent gegriffen wird. Bei einem hohen Contingent und bei Einschätzungscommissionen, die von der Gesammtheit der Pflichtigen eines Orts oder Kreises gewählt sind, Würden diese Commissionen sicherlich die größten Einkommen sich nicht zur entsprechenden Heranziehung entgehen lassen. Die Contingentirung ist es sogar allein, die hierzu führen kann. Denn ihre unmittelbare Folge ist, daß, was ein Reicher zu wenig zahlt, ein minder Bemittelter zu viel zahlt. Da¬ gegen werden die Letzteren schon lernen, sich zu schützen. So lange dagegen die Einkommensteuer nicht eontingentirt ist, fällt jede genaue Heranziehung in den Verdacht des willkürlichen Heraufschraubens der Staatseinnahme. Ein interessanter Punkt, welchen diese Verhandlung zu Tage brachte, ist nun aber der, daß nicht der Staat es ist, der die Einschätzung zur Einkommensteuer heraufschraubt, sondern die Gemeinden, seitdem diese auf Zuschlage zur Staatseinkommensteuer mehr und mehr angewiesen werden. Aus dieser Praktischen Folge ergiebt sich recht deutlich die Verkehrtheit des Systems solcher Zuschlage, eine Verkehrtheit, gegen die gewisse Leute blind sein wollten. Staat und Gemeinde, besser ausgedrückt: Centralverwaltung und Localver¬ waltung müssen verschiedene Einnahmequellen haben: die Localverwaltung die Grundsteuer, die Centralverwaltung die Einkommensteuer. Reicht aber die Localverwaltung, zu der wir Ort, Kreis, Provinz rechnen, mit der Grund- und Gebäudesteuer nicht aus, so muß die Localverwaltung eine eigenartige Einkommensteuer zu Hülse nehmen, nicht aber Zuschlage zur Staatsein¬ kommensteuer. Die alte Wahrheit, daß das tägliche Leben an Ueberraschungen uner¬ schöpflich ist, bereicherte am 18. Febr. der Abg. Laster mit seinem eigenen Beispiel. Laster, wer sollte es für möglich halten, sprach wie ein eingefleisch¬ ter Bureaukrat. Auch er erklärte sich gegen die Contingentirung der Ein¬ kommensteuer, „denn dann würde der steigende Wohlstand nicht steuermäßig ausgenutzt werden." Was in dem Manne nicht alles steckt, nun sogar noch ein Oberfiscal! Es wurde uns ganz schwach und beklommen, als wir das hörten. Jedes Bischen steigender Wohlstand, das Einem von uns liebende Mächte bescheeren möchten, muß „steuermäßig ausgenutzt werden". Offen¬ bar ist diese Ausnutzung der Zweck des menschlichen Daseins und Fleißes. Da möchte Mancher lieber seine Sparbüchse auf den Mond schicken, damit doch etwas Weniges „nicht steuermäßig ausgenutzt wird". Wir unserseits

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/363>, abgerufen am 22.07.2024.