Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sie wenige Steuerpflichtige, so müssen diese höhere Steuersätze übernehmen;
je größer die Zahl der Steuerpflichtigen, desto mehr können die Sätze er¬
niedrigt werden, desto mehr können auf Grund individueller Verhältnisse Be-
freiungen eintreten. Aber die Verwaltung hat offenbar nicht das Recht, Be-
Völkerungselemente, die nach dem Gesetz zur Klassensteuer heranzuziehen sind,
nach ihrem Ermessen frei zu lassen. Damit würde sie die herangezogenen
Pflichtigen beschädigen. -- Was nun die Einkommensteuer betrifft, so wäre
es ebenso ungerecht, Personen in der Klassensteuer zu belassen, deren Ein¬
kommen die Stufe der Einkommensteuerpfltchtigkeit erreicht. Hier könnte man
ja allerdings ein Interesse der Verwaltung vermuthen, den Ertrag der Ein¬
kommensteuer so hoch als möglich zu bringen. Da aber die Einschätzung
nicht durch Beamte, sondern durch gewählte Commissionen vollzogen wird,
so hat auch dieser Argwohn keinen Platz. Ganz besonderes Unglück hatte der
Abg. v. Kardorff, indem er die Gelegenheit benutzte, wiederum seine Lieb-
lingsidee vorzutragen, daß alle directen Steuern den Gemeinden zu über¬
lassen , die Bedürfnisse des Staats lediglich durch indirecte Steuern zu be¬
friedigen seien. Da unser Staat eine zweifache Gliederung hat, Einzelstaat
und Reich, so ist die Kardorff'sche Idee undurchführbar. Indireete Steuern,
als Hauptfinanzquelle der Einzelstaaten, würden geradezu die deutsche Nation
verderben. Die indirecte Besteuerung darf in den Einzelstaaten nicht weiter
ausgebildet werden, die bestehenden indirecten Particularsteuern müssen sogar
aufgegeben werden, zu Gunsten des Reichs, weil nur das Reich die indirecte
Besteuerung gleichmäßig gestalten kann, d. h. so gestalten kann, daß der deut¬
schen Volkswirthschaft nicht die Adern unterbunden werden und ihre Lebenskraft
zerrissen wird. Wenn Herr v. Kardorff die Budgets der Einzelstaaten aus
indirecten Steuern bestreiten will, so muß er auch so weit gehen, die Be¬
dürfnisse der Etnzelstaaten aus der Reichskasse decken zu lassen, welche diese
Einnahmequellen allein ohne Schaden für das Ganze benutzen kann. Da
an einen solchen Plan Niemand denken kann, so sollte man mit Einfällen zu
Haus bleiben, deren Consequenzen unausführbar sind. Herr v. Kardorff hatte
aber noch in ein anderes Wespennest gestochen, indem er als bekannter
Schutzzöllner sich den Vorwurf gefallen lassen mußte, mit seinen indirecten
Steuern auf den Schutzzoll hinaus und überdies die ärmere Klasse, auf welche
die indirecten Steuern bei großer Ausdehnung hauptsächlich fallen, drücken
gewollt zu haben. Dies war am 17. Februar. Am 18. Februar kam Herr
v. Kardorff auf die am Vortag gegen ihn gerichteten Angriffe zurück. Einer
seiner Gegner Herr Eugen Richter, hatte als das einzige AbHülfsmittel gegen
die Klagen über den Druck der Einkommensteuer der letzteren Contingentirung
befürwortet. Dies benutzte Herr v. Kardorff zu der wiederum wenig glück¬
lichen Fechterwendung, diese Contingentirung sei eine Sicherung der Reichen


sie wenige Steuerpflichtige, so müssen diese höhere Steuersätze übernehmen;
je größer die Zahl der Steuerpflichtigen, desto mehr können die Sätze er¬
niedrigt werden, desto mehr können auf Grund individueller Verhältnisse Be-
freiungen eintreten. Aber die Verwaltung hat offenbar nicht das Recht, Be-
Völkerungselemente, die nach dem Gesetz zur Klassensteuer heranzuziehen sind,
nach ihrem Ermessen frei zu lassen. Damit würde sie die herangezogenen
Pflichtigen beschädigen. — Was nun die Einkommensteuer betrifft, so wäre
es ebenso ungerecht, Personen in der Klassensteuer zu belassen, deren Ein¬
kommen die Stufe der Einkommensteuerpfltchtigkeit erreicht. Hier könnte man
ja allerdings ein Interesse der Verwaltung vermuthen, den Ertrag der Ein¬
kommensteuer so hoch als möglich zu bringen. Da aber die Einschätzung
nicht durch Beamte, sondern durch gewählte Commissionen vollzogen wird,
so hat auch dieser Argwohn keinen Platz. Ganz besonderes Unglück hatte der
Abg. v. Kardorff, indem er die Gelegenheit benutzte, wiederum seine Lieb-
lingsidee vorzutragen, daß alle directen Steuern den Gemeinden zu über¬
lassen , die Bedürfnisse des Staats lediglich durch indirecte Steuern zu be¬
friedigen seien. Da unser Staat eine zweifache Gliederung hat, Einzelstaat
und Reich, so ist die Kardorff'sche Idee undurchführbar. Indireete Steuern,
als Hauptfinanzquelle der Einzelstaaten, würden geradezu die deutsche Nation
verderben. Die indirecte Besteuerung darf in den Einzelstaaten nicht weiter
ausgebildet werden, die bestehenden indirecten Particularsteuern müssen sogar
aufgegeben werden, zu Gunsten des Reichs, weil nur das Reich die indirecte
Besteuerung gleichmäßig gestalten kann, d. h. so gestalten kann, daß der deut¬
schen Volkswirthschaft nicht die Adern unterbunden werden und ihre Lebenskraft
zerrissen wird. Wenn Herr v. Kardorff die Budgets der Einzelstaaten aus
indirecten Steuern bestreiten will, so muß er auch so weit gehen, die Be¬
dürfnisse der Etnzelstaaten aus der Reichskasse decken zu lassen, welche diese
Einnahmequellen allein ohne Schaden für das Ganze benutzen kann. Da
an einen solchen Plan Niemand denken kann, so sollte man mit Einfällen zu
Haus bleiben, deren Consequenzen unausführbar sind. Herr v. Kardorff hatte
aber noch in ein anderes Wespennest gestochen, indem er als bekannter
Schutzzöllner sich den Vorwurf gefallen lassen mußte, mit seinen indirecten
Steuern auf den Schutzzoll hinaus und überdies die ärmere Klasse, auf welche
die indirecten Steuern bei großer Ausdehnung hauptsächlich fallen, drücken
gewollt zu haben. Dies war am 17. Februar. Am 18. Februar kam Herr
v. Kardorff auf die am Vortag gegen ihn gerichteten Angriffe zurück. Einer
seiner Gegner Herr Eugen Richter, hatte als das einzige AbHülfsmittel gegen
die Klagen über den Druck der Einkommensteuer der letzteren Contingentirung
befürwortet. Dies benutzte Herr v. Kardorff zu der wiederum wenig glück¬
lichen Fechterwendung, diese Contingentirung sei eine Sicherung der Reichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135415"/>
          <p xml:id="ID_1036" prev="#ID_1035" next="#ID_1037"> sie wenige Steuerpflichtige, so müssen diese höhere Steuersätze übernehmen;<lb/>
je größer die Zahl der Steuerpflichtigen, desto mehr können die Sätze er¬<lb/>
niedrigt werden, desto mehr können auf Grund individueller Verhältnisse Be-<lb/>
freiungen eintreten. Aber die Verwaltung hat offenbar nicht das Recht, Be-<lb/>
Völkerungselemente, die nach dem Gesetz zur Klassensteuer heranzuziehen sind,<lb/>
nach ihrem Ermessen frei zu lassen. Damit würde sie die herangezogenen<lb/>
Pflichtigen beschädigen. &#x2014; Was nun die Einkommensteuer betrifft, so wäre<lb/>
es ebenso ungerecht, Personen in der Klassensteuer zu belassen, deren Ein¬<lb/>
kommen die Stufe der Einkommensteuerpfltchtigkeit erreicht. Hier könnte man<lb/>
ja allerdings ein Interesse der Verwaltung vermuthen, den Ertrag der Ein¬<lb/>
kommensteuer so hoch als möglich zu bringen. Da aber die Einschätzung<lb/>
nicht durch Beamte, sondern durch gewählte Commissionen vollzogen wird,<lb/>
so hat auch dieser Argwohn keinen Platz. Ganz besonderes Unglück hatte der<lb/>
Abg. v. Kardorff, indem er die Gelegenheit benutzte, wiederum seine Lieb-<lb/>
lingsidee vorzutragen, daß alle directen Steuern den Gemeinden zu über¬<lb/>
lassen , die Bedürfnisse des Staats lediglich durch indirecte Steuern zu be¬<lb/>
friedigen seien. Da unser Staat eine zweifache Gliederung hat, Einzelstaat<lb/>
und Reich, so ist die Kardorff'sche Idee undurchführbar. Indireete Steuern,<lb/>
als Hauptfinanzquelle der Einzelstaaten, würden geradezu die deutsche Nation<lb/>
verderben. Die indirecte Besteuerung darf in den Einzelstaaten nicht weiter<lb/>
ausgebildet werden, die bestehenden indirecten Particularsteuern müssen sogar<lb/>
aufgegeben werden, zu Gunsten des Reichs, weil nur das Reich die indirecte<lb/>
Besteuerung gleichmäßig gestalten kann, d. h. so gestalten kann, daß der deut¬<lb/>
schen Volkswirthschaft nicht die Adern unterbunden werden und ihre Lebenskraft<lb/>
zerrissen wird. Wenn Herr v. Kardorff die Budgets der Einzelstaaten aus<lb/>
indirecten Steuern bestreiten will, so muß er auch so weit gehen, die Be¬<lb/>
dürfnisse der Etnzelstaaten aus der Reichskasse decken zu lassen, welche diese<lb/>
Einnahmequellen allein ohne Schaden für das Ganze benutzen kann. Da<lb/>
an einen solchen Plan Niemand denken kann, so sollte man mit Einfällen zu<lb/>
Haus bleiben, deren Consequenzen unausführbar sind. Herr v. Kardorff hatte<lb/>
aber noch in ein anderes Wespennest gestochen, indem er als bekannter<lb/>
Schutzzöllner sich den Vorwurf gefallen lassen mußte, mit seinen indirecten<lb/>
Steuern auf den Schutzzoll hinaus und überdies die ärmere Klasse, auf welche<lb/>
die indirecten Steuern bei großer Ausdehnung hauptsächlich fallen, drücken<lb/>
gewollt zu haben. Dies war am 17. Februar. Am 18. Februar kam Herr<lb/>
v. Kardorff auf die am Vortag gegen ihn gerichteten Angriffe zurück. Einer<lb/>
seiner Gegner Herr Eugen Richter, hatte als das einzige AbHülfsmittel gegen<lb/>
die Klagen über den Druck der Einkommensteuer der letzteren Contingentirung<lb/>
befürwortet. Dies benutzte Herr v. Kardorff zu der wiederum wenig glück¬<lb/>
lichen Fechterwendung, diese Contingentirung sei eine Sicherung der Reichen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] sie wenige Steuerpflichtige, so müssen diese höhere Steuersätze übernehmen; je größer die Zahl der Steuerpflichtigen, desto mehr können die Sätze er¬ niedrigt werden, desto mehr können auf Grund individueller Verhältnisse Be- freiungen eintreten. Aber die Verwaltung hat offenbar nicht das Recht, Be- Völkerungselemente, die nach dem Gesetz zur Klassensteuer heranzuziehen sind, nach ihrem Ermessen frei zu lassen. Damit würde sie die herangezogenen Pflichtigen beschädigen. — Was nun die Einkommensteuer betrifft, so wäre es ebenso ungerecht, Personen in der Klassensteuer zu belassen, deren Ein¬ kommen die Stufe der Einkommensteuerpfltchtigkeit erreicht. Hier könnte man ja allerdings ein Interesse der Verwaltung vermuthen, den Ertrag der Ein¬ kommensteuer so hoch als möglich zu bringen. Da aber die Einschätzung nicht durch Beamte, sondern durch gewählte Commissionen vollzogen wird, so hat auch dieser Argwohn keinen Platz. Ganz besonderes Unglück hatte der Abg. v. Kardorff, indem er die Gelegenheit benutzte, wiederum seine Lieb- lingsidee vorzutragen, daß alle directen Steuern den Gemeinden zu über¬ lassen , die Bedürfnisse des Staats lediglich durch indirecte Steuern zu be¬ friedigen seien. Da unser Staat eine zweifache Gliederung hat, Einzelstaat und Reich, so ist die Kardorff'sche Idee undurchführbar. Indireete Steuern, als Hauptfinanzquelle der Einzelstaaten, würden geradezu die deutsche Nation verderben. Die indirecte Besteuerung darf in den Einzelstaaten nicht weiter ausgebildet werden, die bestehenden indirecten Particularsteuern müssen sogar aufgegeben werden, zu Gunsten des Reichs, weil nur das Reich die indirecte Besteuerung gleichmäßig gestalten kann, d. h. so gestalten kann, daß der deut¬ schen Volkswirthschaft nicht die Adern unterbunden werden und ihre Lebenskraft zerrissen wird. Wenn Herr v. Kardorff die Budgets der Einzelstaaten aus indirecten Steuern bestreiten will, so muß er auch so weit gehen, die Be¬ dürfnisse der Etnzelstaaten aus der Reichskasse decken zu lassen, welche diese Einnahmequellen allein ohne Schaden für das Ganze benutzen kann. Da an einen solchen Plan Niemand denken kann, so sollte man mit Einfällen zu Haus bleiben, deren Consequenzen unausführbar sind. Herr v. Kardorff hatte aber noch in ein anderes Wespennest gestochen, indem er als bekannter Schutzzöllner sich den Vorwurf gefallen lassen mußte, mit seinen indirecten Steuern auf den Schutzzoll hinaus und überdies die ärmere Klasse, auf welche die indirecten Steuern bei großer Ausdehnung hauptsächlich fallen, drücken gewollt zu haben. Dies war am 17. Februar. Am 18. Februar kam Herr v. Kardorff auf die am Vortag gegen ihn gerichteten Angriffe zurück. Einer seiner Gegner Herr Eugen Richter, hatte als das einzige AbHülfsmittel gegen die Klagen über den Druck der Einkommensteuer der letzteren Contingentirung befürwortet. Dies benutzte Herr v. Kardorff zu der wiederum wenig glück¬ lichen Fechterwendung, diese Contingentirung sei eine Sicherung der Reichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/362>, abgerufen am 24.08.2024.