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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ist plötzlich die Gegend steil und hoch, ein Zug von Romantik blickt uns ent¬
gegen. Wir sind im Moselthale, schroffe Höhen treten nahe ans Ufer heran,
das in malerischer Krümmung eine Bucht des Stromes bildet: dort liegt
die schmucke Stadt, von der wir sprechen, und die Schiffe, die in dem kleinen
Hafen ankern, das bunte Völklein, das sich auf dem steinernen Quai umher¬
treibt, giebt ihr ein viel lebendigeres Ansehen, als es die größere Nachbar¬
stadt besitzt. Dazu die trotzigen Ruinen des alten Schlosses, die von der
Höhe herniederschauen und dem landschaftlichen Reiz eine gewisse historische
Bedeutung beifügen!

Es ist ein seltsamer Name Sierck und man findet ihn denn auch in der
That in den verschiedensten Formen: Siut, Sirek, Cierque u. s. w. Daß der
Ursprung der Stadt bis auf die Römerzeit zurückreicht, ist wohl zu vermuthen,
wenn auch die Meinung irrig ist, daß sie zu Caesar's Zeiten schon eine Militär¬
station zwischen Metz und Trier gewesen sei. In den Bereich der Geschichte
jedoch tritt Sierck erst ein unter den Königen von Austrasien, bis dann die
Bischöfe von Trier und Metz seine Herren wurden; nach seinem Namen war
noch im 15. Jahrhundert ein vornehmes Geschlecht benannt.

In der ferneren Reihe der Besitzer stehen dann die Herzoge von Loth¬
ringen, die wiederholt ihren Aufenthalt in dem alten hochgebauten Schlosse
nahmen und die mehr als einen Todten aus ihrem Stamme in der Kirche
von Sierck zur Ruhe trugen. Der Bedeutung, welche das stattliche Schloß
für sie besaß, waren sie sich schon damals bewußt, denn es beherrschte nicht
nur den Lauf des Stromes, sondern in gleicher Weise die nahen Grenzen von
Trier und Luxemburg. Die Erinnerung jener Zeit ist noch in Münzen auf¬
bewahrt, welche die Herzoge Johann und Carl von Lothringen und Sierck
geprägt, die Münzstätte selbst mit den dazu gehörigen Gerathen fand man
vor etwa hundert Jahren beim Graben eines Gewölbes. Wie bei so vielen
älteren Häusern in Thionville und Sierck die Handwerkszeichen der Erbauer
über der Thüre gemeißelt stehen, so fand man auch hier eine steinerne Waage,
auf den Münzen selbst steht: Nvrnzta, in LiereK.

Die verlockende Lage und noch mehr die strategische Bedeutung des
Platzes forderten natürlich auch manchen Neider und Feind heraus; vor
allem aber waren es die Franzosen, die nach dem Besitze desselben strebten.
Acht Tage lang belagerte Ludwig XIII. das Schloß, bevor er es (im Jahre
1633) nahm und nur ein Decennium verstrich, dann lag der Herzog von
Enghien feindlich vor den Thoren, bis endlich (1661) Frankreich den dauern¬
den Besitz gewann. Aber welche Leiden, welche Zerstörung und Verödung
ging diesem Wechsel vorher, welche Verluste heischte dies Gewinnen!

Im spanischen Erbfolgekrieg, der dem Beginn des XVIII. Jahrhunderts
ein blutiges Gepräge gab, war Sierck von den Engländern bedrängt und


ist plötzlich die Gegend steil und hoch, ein Zug von Romantik blickt uns ent¬
gegen. Wir sind im Moselthale, schroffe Höhen treten nahe ans Ufer heran,
das in malerischer Krümmung eine Bucht des Stromes bildet: dort liegt
die schmucke Stadt, von der wir sprechen, und die Schiffe, die in dem kleinen
Hafen ankern, das bunte Völklein, das sich auf dem steinernen Quai umher¬
treibt, giebt ihr ein viel lebendigeres Ansehen, als es die größere Nachbar¬
stadt besitzt. Dazu die trotzigen Ruinen des alten Schlosses, die von der
Höhe herniederschauen und dem landschaftlichen Reiz eine gewisse historische
Bedeutung beifügen!

Es ist ein seltsamer Name Sierck und man findet ihn denn auch in der
That in den verschiedensten Formen: Siut, Sirek, Cierque u. s. w. Daß der
Ursprung der Stadt bis auf die Römerzeit zurückreicht, ist wohl zu vermuthen,
wenn auch die Meinung irrig ist, daß sie zu Caesar's Zeiten schon eine Militär¬
station zwischen Metz und Trier gewesen sei. In den Bereich der Geschichte
jedoch tritt Sierck erst ein unter den Königen von Austrasien, bis dann die
Bischöfe von Trier und Metz seine Herren wurden; nach seinem Namen war
noch im 15. Jahrhundert ein vornehmes Geschlecht benannt.

In der ferneren Reihe der Besitzer stehen dann die Herzoge von Loth¬
ringen, die wiederholt ihren Aufenthalt in dem alten hochgebauten Schlosse
nahmen und die mehr als einen Todten aus ihrem Stamme in der Kirche
von Sierck zur Ruhe trugen. Der Bedeutung, welche das stattliche Schloß
für sie besaß, waren sie sich schon damals bewußt, denn es beherrschte nicht
nur den Lauf des Stromes, sondern in gleicher Weise die nahen Grenzen von
Trier und Luxemburg. Die Erinnerung jener Zeit ist noch in Münzen auf¬
bewahrt, welche die Herzoge Johann und Carl von Lothringen und Sierck
geprägt, die Münzstätte selbst mit den dazu gehörigen Gerathen fand man
vor etwa hundert Jahren beim Graben eines Gewölbes. Wie bei so vielen
älteren Häusern in Thionville und Sierck die Handwerkszeichen der Erbauer
über der Thüre gemeißelt stehen, so fand man auch hier eine steinerne Waage,
auf den Münzen selbst steht: Nvrnzta, in LiereK.

Die verlockende Lage und noch mehr die strategische Bedeutung des
Platzes forderten natürlich auch manchen Neider und Feind heraus; vor
allem aber waren es die Franzosen, die nach dem Besitze desselben strebten.
Acht Tage lang belagerte Ludwig XIII. das Schloß, bevor er es (im Jahre
1633) nahm und nur ein Decennium verstrich, dann lag der Herzog von
Enghien feindlich vor den Thoren, bis endlich (1661) Frankreich den dauern¬
den Besitz gewann. Aber welche Leiden, welche Zerstörung und Verödung
ging diesem Wechsel vorher, welche Verluste heischte dies Gewinnen!

Im spanischen Erbfolgekrieg, der dem Beginn des XVIII. Jahrhunderts
ein blutiges Gepräge gab, war Sierck von den Engländern bedrängt und


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[0359] ist plötzlich die Gegend steil und hoch, ein Zug von Romantik blickt uns ent¬ gegen. Wir sind im Moselthale, schroffe Höhen treten nahe ans Ufer heran, das in malerischer Krümmung eine Bucht des Stromes bildet: dort liegt die schmucke Stadt, von der wir sprechen, und die Schiffe, die in dem kleinen Hafen ankern, das bunte Völklein, das sich auf dem steinernen Quai umher¬ treibt, giebt ihr ein viel lebendigeres Ansehen, als es die größere Nachbar¬ stadt besitzt. Dazu die trotzigen Ruinen des alten Schlosses, die von der Höhe herniederschauen und dem landschaftlichen Reiz eine gewisse historische Bedeutung beifügen! Es ist ein seltsamer Name Sierck und man findet ihn denn auch in der That in den verschiedensten Formen: Siut, Sirek, Cierque u. s. w. Daß der Ursprung der Stadt bis auf die Römerzeit zurückreicht, ist wohl zu vermuthen, wenn auch die Meinung irrig ist, daß sie zu Caesar's Zeiten schon eine Militär¬ station zwischen Metz und Trier gewesen sei. In den Bereich der Geschichte jedoch tritt Sierck erst ein unter den Königen von Austrasien, bis dann die Bischöfe von Trier und Metz seine Herren wurden; nach seinem Namen war noch im 15. Jahrhundert ein vornehmes Geschlecht benannt. In der ferneren Reihe der Besitzer stehen dann die Herzoge von Loth¬ ringen, die wiederholt ihren Aufenthalt in dem alten hochgebauten Schlosse nahmen und die mehr als einen Todten aus ihrem Stamme in der Kirche von Sierck zur Ruhe trugen. Der Bedeutung, welche das stattliche Schloß für sie besaß, waren sie sich schon damals bewußt, denn es beherrschte nicht nur den Lauf des Stromes, sondern in gleicher Weise die nahen Grenzen von Trier und Luxemburg. Die Erinnerung jener Zeit ist noch in Münzen auf¬ bewahrt, welche die Herzoge Johann und Carl von Lothringen und Sierck geprägt, die Münzstätte selbst mit den dazu gehörigen Gerathen fand man vor etwa hundert Jahren beim Graben eines Gewölbes. Wie bei so vielen älteren Häusern in Thionville und Sierck die Handwerkszeichen der Erbauer über der Thüre gemeißelt stehen, so fand man auch hier eine steinerne Waage, auf den Münzen selbst steht: Nvrnzta, in LiereK. Die verlockende Lage und noch mehr die strategische Bedeutung des Platzes forderten natürlich auch manchen Neider und Feind heraus; vor allem aber waren es die Franzosen, die nach dem Besitze desselben strebten. Acht Tage lang belagerte Ludwig XIII. das Schloß, bevor er es (im Jahre 1633) nahm und nur ein Decennium verstrich, dann lag der Herzog von Enghien feindlich vor den Thoren, bis endlich (1661) Frankreich den dauern¬ den Besitz gewann. Aber welche Leiden, welche Zerstörung und Verödung ging diesem Wechsel vorher, welche Verluste heischte dies Gewinnen! Im spanischen Erbfolgekrieg, der dem Beginn des XVIII. Jahrhunderts ein blutiges Gepräge gab, war Sierck von den Engländern bedrängt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/359>, abgerufen am 22.07.2024.