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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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stecken bis an den Rand voll Nahrungsstoff; alle medicinischen Bücher sagen
das. Iß nur 'mal vier bis sieben Rüben von gehöriger Größe auf eine
Mahlzeit, trink anderthalb Nösel bis eine Kanne Wasser dazu, und dann
bleib ein paar Stunden sitzen und laß sie gähren. Du wirst am nächsten
Tage ein Gefühl wie ein Kampfhahn haben."

Die Zunge des Obersten plappere nun noch eine geraume Weile fort.
Er hat verschiedene zukünftige Vermögen aus verschiedenen in den Anfängen
begriffenen "Operationen" aufgehäuft, die ihm in der letzten Woche von un¬
gefähr in den Kopf gekommen sind, und schwebt dann empor zu den glän¬
zenden Erwartungen, die neuerdings angestellte vielversprechende Experimente
in Bezug auf das noch mangelnde Ingredienz des wunderbaren Augenwassers
erzeugt haben. Washington sollte ihm dabei wie früher hingerissen und begeistert
zuhören, aber das ist nicht der Fall; denn zwei Dinge lenken seine Aufmerk¬
samkeit ab. "Das eine war, daß er zu seiner Verwirrung und Beschämung
entdeckte, daß er, indem er sich zum zweiten Male hatte von den Rüben
geben lassen, jene hungrigen Kinder beraubt hatte. Er hatte kein Verlangen
nach dem fürchterlichen "Obst" empfunden und es sich nicht erbeten, und als
er nun die lebhafte Betrübniß in ihren Gesichtern sah, als sie mehr verlangten
und es nichts mehr gab, machte er sich wegen seiner Dummheit Vorwürfe
und bemitleidete die von Hunger gequälten kleinen Krabben von ganzem
Herzen. Das Andere, was ihn beunruhigte, war die unheimliche Austreibung,
die in seinen Magen begonnen hatte. Sie wuchs und wuchs und wurde
immer unerträglicher. Augenscheinlich waren die Rüben im Gähren" u. s. w.

Wir dürfen nicht alles verrathen, was unser Humorist von seinem Helden
erzählt. Die Leser mögen selbst nachsehen, welche köstliche Rolle er im Bürger¬
kriege spielt, wie er, nach Washington und unter die Intriguanten des Kapi-
tols verschlagen, Politik machen hilft, wie er sich als Zeuge vor Gericht
benimmt, und wie er zuletzt zu der Ueberzeugung gelangt, daß er bisher
seinen Beruf verfehlt hat, und daß er eigentlich bestimmt ist, als Advocat
die oberste Stufe des amerikanischen Juristenstandes zu erklimmen. Nur die
Unternehmung, die ihm beinahe geglückt wäre, wollen wir noch mit ein paar
Auszügen schildern.

Tellers will in der Wildniß von Stores Landing eine Stadt anlegen
und zu dem Zwecke einestheils eine im Bau begriffne Eisenbahn dorthin
leiten, anderntheils einen dort vorüberfließenden schlammigen und seichten
Fluß, "Gänsepfuhl" geheißen, schiffbar machen. Die Vorbereitungen dazu
gelingen. Die Bahn wird dorthin vermessen, der Congreß durch Gaunereien
bewogen, für die Schiffbarmachung eine erhebliche Summe zu bewilligen, eine
Anzahl Arbeiter ist schon am Werke, es kommen Ansiedler, es werden einige
Bauplätze verkauft. Natürlich ist auch der Plan zur Stadt mit allerlei Pracht-


stecken bis an den Rand voll Nahrungsstoff; alle medicinischen Bücher sagen
das. Iß nur 'mal vier bis sieben Rüben von gehöriger Größe auf eine
Mahlzeit, trink anderthalb Nösel bis eine Kanne Wasser dazu, und dann
bleib ein paar Stunden sitzen und laß sie gähren. Du wirst am nächsten
Tage ein Gefühl wie ein Kampfhahn haben."

Die Zunge des Obersten plappere nun noch eine geraume Weile fort.
Er hat verschiedene zukünftige Vermögen aus verschiedenen in den Anfängen
begriffenen „Operationen" aufgehäuft, die ihm in der letzten Woche von un¬
gefähr in den Kopf gekommen sind, und schwebt dann empor zu den glän¬
zenden Erwartungen, die neuerdings angestellte vielversprechende Experimente
in Bezug auf das noch mangelnde Ingredienz des wunderbaren Augenwassers
erzeugt haben. Washington sollte ihm dabei wie früher hingerissen und begeistert
zuhören, aber das ist nicht der Fall; denn zwei Dinge lenken seine Aufmerk¬
samkeit ab. „Das eine war, daß er zu seiner Verwirrung und Beschämung
entdeckte, daß er, indem er sich zum zweiten Male hatte von den Rüben
geben lassen, jene hungrigen Kinder beraubt hatte. Er hatte kein Verlangen
nach dem fürchterlichen „Obst" empfunden und es sich nicht erbeten, und als
er nun die lebhafte Betrübniß in ihren Gesichtern sah, als sie mehr verlangten
und es nichts mehr gab, machte er sich wegen seiner Dummheit Vorwürfe
und bemitleidete die von Hunger gequälten kleinen Krabben von ganzem
Herzen. Das Andere, was ihn beunruhigte, war die unheimliche Austreibung,
die in seinen Magen begonnen hatte. Sie wuchs und wuchs und wurde
immer unerträglicher. Augenscheinlich waren die Rüben im Gähren" u. s. w.

Wir dürfen nicht alles verrathen, was unser Humorist von seinem Helden
erzählt. Die Leser mögen selbst nachsehen, welche köstliche Rolle er im Bürger¬
kriege spielt, wie er, nach Washington und unter die Intriguanten des Kapi-
tols verschlagen, Politik machen hilft, wie er sich als Zeuge vor Gericht
benimmt, und wie er zuletzt zu der Ueberzeugung gelangt, daß er bisher
seinen Beruf verfehlt hat, und daß er eigentlich bestimmt ist, als Advocat
die oberste Stufe des amerikanischen Juristenstandes zu erklimmen. Nur die
Unternehmung, die ihm beinahe geglückt wäre, wollen wir noch mit ein paar
Auszügen schildern.

Tellers will in der Wildniß von Stores Landing eine Stadt anlegen
und zu dem Zwecke einestheils eine im Bau begriffne Eisenbahn dorthin
leiten, anderntheils einen dort vorüberfließenden schlammigen und seichten
Fluß, „Gänsepfuhl" geheißen, schiffbar machen. Die Vorbereitungen dazu
gelingen. Die Bahn wird dorthin vermessen, der Congreß durch Gaunereien
bewogen, für die Schiffbarmachung eine erhebliche Summe zu bewilligen, eine
Anzahl Arbeiter ist schon am Werke, es kommen Ansiedler, es werden einige
Bauplätze verkauft. Natürlich ist auch der Plan zur Stadt mit allerlei Pracht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/351>, abgerufen am 22.07.2024.