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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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tastischer Freund ihm schon bereitet hat, eine recht gründliche neue. Das
"reizendste Land" des Briefes ist in der Wirklichkeit eine Wildniß am obern
Mississippi, und der Oberst empfängt die Ankommenden in einem Oertchen
von zehn oder zwölf elenden Blockhütten mit einer trägen, zerlumpten,
schlotterigen Bevölkerung. Indeß was fehlt, wird durch die herzliche Freund¬
lichkeit und den beredten Redestrom des Obersten vorläufig ersetzt. "Zum
Henker mit dem Kerl!" sagt Frau Hawkins, als sie mit ihrem Manne die
Leiter in die Dachkammer im Seller'schen Hause hinaufsteigt, in der sie ihr
erstes Nachtquartier im Städtchen nehmen sollen. "Ich glaube wahrhaftig,
er ist toller wie je geworden, aber doch muß man ihm gut sein, man mag
wollen oder nicht -- und was noch mehr ist, man hat gar keine Lust, ihm
gram zu sein, wenn man seine Augen sieht und ihn reden hört."

Zunächst haben die Leute auch in Wirklichkeit nicht gerade zu bereuen,
dem Rufe des Obersten gefolgt zu sein. Die Spekulation, auf die er in
seinem Briefe hingedeutet, und die in der Zucht von Maulthieren für die
südlichen Märkte besteht, gelingt. Alles geht gut. Hawkins baut sich ein
zweistöckiges Haus, das sogar einen Blitzableiter bekommt und innen Teppiche
hat. Aber im Laufe der nächsten Jahre ändert sich das. Seilers speculirt
weiter, läßt Hawkins mit Freuden sich an allen seinen Unternehmungen
betheiligen, und verliert mit ihm zuletzt alles, was sie haben.

Der Oberst zieht nach der größeren Nachbarstadt Hawkeye. Hawkins
schickt ihm hier seinen Sohn Washington zu, damit er ihn in einem Geschäft
unterbringe. Seilers empfängt denselben mit gewohnter üverschwänglicher
Freundlichkeit, gewohnter phantasiereicher Großsprecherei und ebenfalls ge¬
wohntem Mangel an kleinem Gelde. "El der Tausend, Washington", be¬
grüßt er ihn, "erfreut, Dich zu sehen -- ganz entzückt, Dich zu sehen, mein
Junge! Bin auf dem Ausguck nach Dir gewesen. Hörte das Posthorn,
hatte aber jemand bei mir, den ich nicht abschütteln konnte -- einen, der
was ganz Enormes vorhat -- will, ich soll etwas Kapital mit hineinstecken --
und ich sage Dir. mein Junge, ich könnte es nicht besser anlegen. -- Nein,
laß das Gepäck zufrieden, ich werde das machen. Hierher, Jerry (ruft er
einem Negerbuben zu). Sacke diesen Plunder auf die Achsel und folge mir.
Komm, Washington. Herrgott, wie ich mich freue, Dich zu sehen. Meine
Frau und die Kinder brennen vor Begierde, Dich zu sehen. Wahrhaftig, sie
werden Dich gar nicht mehr kennen, so bist Du gewachsen. Die Leute zu
Hause doch alle hübsch wohl? -- Das ist gut, freut ^mich zu hören. Wir haben
immer schon daran gedacht, mal runter zu fahren und sie zu besuchen, aber
ich stecke in so vielen Unternehmungen, und es sind keine solchen Sachen, die
man andern Leuten anzuvertrauen Lust hätte, und so schoben wir's fort¬
während auf. Förmliche Vermögen stecken darin. Gnädiger Himmel, hier ist


tastischer Freund ihm schon bereitet hat, eine recht gründliche neue. Das
„reizendste Land" des Briefes ist in der Wirklichkeit eine Wildniß am obern
Mississippi, und der Oberst empfängt die Ankommenden in einem Oertchen
von zehn oder zwölf elenden Blockhütten mit einer trägen, zerlumpten,
schlotterigen Bevölkerung. Indeß was fehlt, wird durch die herzliche Freund¬
lichkeit und den beredten Redestrom des Obersten vorläufig ersetzt. „Zum
Henker mit dem Kerl!" sagt Frau Hawkins, als sie mit ihrem Manne die
Leiter in die Dachkammer im Seller'schen Hause hinaufsteigt, in der sie ihr
erstes Nachtquartier im Städtchen nehmen sollen. „Ich glaube wahrhaftig,
er ist toller wie je geworden, aber doch muß man ihm gut sein, man mag
wollen oder nicht — und was noch mehr ist, man hat gar keine Lust, ihm
gram zu sein, wenn man seine Augen sieht und ihn reden hört."

Zunächst haben die Leute auch in Wirklichkeit nicht gerade zu bereuen,
dem Rufe des Obersten gefolgt zu sein. Die Spekulation, auf die er in
seinem Briefe hingedeutet, und die in der Zucht von Maulthieren für die
südlichen Märkte besteht, gelingt. Alles geht gut. Hawkins baut sich ein
zweistöckiges Haus, das sogar einen Blitzableiter bekommt und innen Teppiche
hat. Aber im Laufe der nächsten Jahre ändert sich das. Seilers speculirt
weiter, läßt Hawkins mit Freuden sich an allen seinen Unternehmungen
betheiligen, und verliert mit ihm zuletzt alles, was sie haben.

Der Oberst zieht nach der größeren Nachbarstadt Hawkeye. Hawkins
schickt ihm hier seinen Sohn Washington zu, damit er ihn in einem Geschäft
unterbringe. Seilers empfängt denselben mit gewohnter üverschwänglicher
Freundlichkeit, gewohnter phantasiereicher Großsprecherei und ebenfalls ge¬
wohntem Mangel an kleinem Gelde. „El der Tausend, Washington", be¬
grüßt er ihn, „erfreut, Dich zu sehen — ganz entzückt, Dich zu sehen, mein
Junge! Bin auf dem Ausguck nach Dir gewesen. Hörte das Posthorn,
hatte aber jemand bei mir, den ich nicht abschütteln konnte — einen, der
was ganz Enormes vorhat — will, ich soll etwas Kapital mit hineinstecken —
und ich sage Dir. mein Junge, ich könnte es nicht besser anlegen. — Nein,
laß das Gepäck zufrieden, ich werde das machen. Hierher, Jerry (ruft er
einem Negerbuben zu). Sacke diesen Plunder auf die Achsel und folge mir.
Komm, Washington. Herrgott, wie ich mich freue, Dich zu sehen. Meine
Frau und die Kinder brennen vor Begierde, Dich zu sehen. Wahrhaftig, sie
werden Dich gar nicht mehr kennen, so bist Du gewachsen. Die Leute zu
Hause doch alle hübsch wohl? — Das ist gut, freut ^mich zu hören. Wir haben
immer schon daran gedacht, mal runter zu fahren und sie zu besuchen, aber
ich stecke in so vielen Unternehmungen, und es sind keine solchen Sachen, die
man andern Leuten anzuvertrauen Lust hätte, und so schoben wir's fort¬
während auf. Förmliche Vermögen stecken darin. Gnädiger Himmel, hier ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/341>, abgerufen am 25.08.2024.