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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Der Artilleriekampf wurde sofort eröffnet; zum eigentlichen Angriff dachte
Herder jedoch nicht früher vorzugehn, als bis der Zuzug der Berner in Sicht
sei. -- Der Heranmarsch dieser etwas abseits gelagerten Schaar hatte durch
einen sumpfigen Wald zu geschehn; er führte sie unvermuthet in die linke
Flanke des Feindes und wirkte somit vollkommen wie eine Umgehung. Schar¬
nachthal erkannte das Günstige dieser Situation auf den ersten Blick und
ariff sofort in das Gefecht ein.*) Durch diesen ungestümen, mit furchtbarem
Geschrei eröffneten Angriff überrascht und verwirrt, war der Feind in wenig
Augenblicken zersprengt. Mehr als 1600 Burgundische bedeckten die Wahl¬
statt. Die Schweizer, welche nur 70 Mann verloren haben sollen, thaten
sich durch rasche und rastlose Verfolgung hervor und zuweilen soll dabei ihr
Fußvolk den schweren österreichischen Reitern sogar voraus gekommen sein.

Dies Treffen war für den ganzen Krieg maßgebend und entscheidend.
Nach drei Tagen wurde Hiricourt übergeben und vom Erzherzoge besetzt. Nur
der vorgerückten Jahreszeit, welche Krankheiten im eidgenössischen Heere er¬
zeugten, hatte es Karl der Kühne zu danken, daß nicht schon jetzt das
Stammland seines Hauses erobert ward.

Ludwig XI. sprach den Eidgenossen freudigen Dank aus, und nach einer
allerdings ziemlich langwierigen und schwierigen Verhandlung öffnete er auch
seine Geldkasten und zahlte die versprochenen Summen. Sie waren beträcht¬
lich genug, um nicht nur die Häupter seiner Partei: die Diesbach, Bubenberg,
Scharnachthal, Silinen und A. zu belohnen, sondern auch den Gemeinen, die
des Tages Last und Hitze getragen, reichlichen Sold zu zahlen. Zu Bern
ward "über die öffentliche und geheime Vertheilung der versprochenen Gelder
ein Plan verabredet. Einem jeden Mann von Einfluß wurde nach dessen
Maß mehr oder weniger verordnet." Damit aber hatte Frankreich den Weg
entdeckt, der zu den Alpenbewohnern führte; es war der Anfang jenes gro߬
artigen "Neislaufens". das seitdem wie ein Gift in die Adern der Schweizer
eindrang und das gesunde Lebensblut zersetzte.**) -- Der Krieg nahm indessen
seinen Fortgang.

Im Frühjahr 1475, das einem ungewöhnlich langen und harten Winter
folgte, faßte man zu Bern den verständigen Entschluß, sich der Jura-Pässe
zu bemächtigen, welche voraussichtlich die Eingangsthore des burgundischen
Herzogs in die Schweiz werden mußten. Solothurn, Luzern und Basel
sandten Zuzüge. Anfangs April nistete sich eine Freischaar von 1300 Bernern
in Pontarlier ein und wurde hier von einem burgundischen Corps unter dem
Grafen v. Roussy blokirt. Zum Entsatz rückte Nikolas von Diesbach mit
2S00 Bernern heran. Als er zur Stelle kam, hatten jedoch "die Freiheits-




") Schilling, a. a O.
") G. Weber: Geschichte des Mittelalters. 4. Thl.

Der Artilleriekampf wurde sofort eröffnet; zum eigentlichen Angriff dachte
Herder jedoch nicht früher vorzugehn, als bis der Zuzug der Berner in Sicht
sei. — Der Heranmarsch dieser etwas abseits gelagerten Schaar hatte durch
einen sumpfigen Wald zu geschehn; er führte sie unvermuthet in die linke
Flanke des Feindes und wirkte somit vollkommen wie eine Umgehung. Schar¬
nachthal erkannte das Günstige dieser Situation auf den ersten Blick und
ariff sofort in das Gefecht ein.*) Durch diesen ungestümen, mit furchtbarem
Geschrei eröffneten Angriff überrascht und verwirrt, war der Feind in wenig
Augenblicken zersprengt. Mehr als 1600 Burgundische bedeckten die Wahl¬
statt. Die Schweizer, welche nur 70 Mann verloren haben sollen, thaten
sich durch rasche und rastlose Verfolgung hervor und zuweilen soll dabei ihr
Fußvolk den schweren österreichischen Reitern sogar voraus gekommen sein.

Dies Treffen war für den ganzen Krieg maßgebend und entscheidend.
Nach drei Tagen wurde Hiricourt übergeben und vom Erzherzoge besetzt. Nur
der vorgerückten Jahreszeit, welche Krankheiten im eidgenössischen Heere er¬
zeugten, hatte es Karl der Kühne zu danken, daß nicht schon jetzt das
Stammland seines Hauses erobert ward.

Ludwig XI. sprach den Eidgenossen freudigen Dank aus, und nach einer
allerdings ziemlich langwierigen und schwierigen Verhandlung öffnete er auch
seine Geldkasten und zahlte die versprochenen Summen. Sie waren beträcht¬
lich genug, um nicht nur die Häupter seiner Partei: die Diesbach, Bubenberg,
Scharnachthal, Silinen und A. zu belohnen, sondern auch den Gemeinen, die
des Tages Last und Hitze getragen, reichlichen Sold zu zahlen. Zu Bern
ward „über die öffentliche und geheime Vertheilung der versprochenen Gelder
ein Plan verabredet. Einem jeden Mann von Einfluß wurde nach dessen
Maß mehr oder weniger verordnet." Damit aber hatte Frankreich den Weg
entdeckt, der zu den Alpenbewohnern führte; es war der Anfang jenes gro߬
artigen „Neislaufens". das seitdem wie ein Gift in die Adern der Schweizer
eindrang und das gesunde Lebensblut zersetzte.**) — Der Krieg nahm indessen
seinen Fortgang.

Im Frühjahr 1475, das einem ungewöhnlich langen und harten Winter
folgte, faßte man zu Bern den verständigen Entschluß, sich der Jura-Pässe
zu bemächtigen, welche voraussichtlich die Eingangsthore des burgundischen
Herzogs in die Schweiz werden mußten. Solothurn, Luzern und Basel
sandten Zuzüge. Anfangs April nistete sich eine Freischaar von 1300 Bernern
in Pontarlier ein und wurde hier von einem burgundischen Corps unter dem
Grafen v. Roussy blokirt. Zum Entsatz rückte Nikolas von Diesbach mit
2S00 Bernern heran. Als er zur Stelle kam, hatten jedoch „die Freiheits-




") Schilling, a. a O.
") G. Weber: Geschichte des Mittelalters. 4. Thl.
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[0026] Der Artilleriekampf wurde sofort eröffnet; zum eigentlichen Angriff dachte Herder jedoch nicht früher vorzugehn, als bis der Zuzug der Berner in Sicht sei. — Der Heranmarsch dieser etwas abseits gelagerten Schaar hatte durch einen sumpfigen Wald zu geschehn; er führte sie unvermuthet in die linke Flanke des Feindes und wirkte somit vollkommen wie eine Umgehung. Schar¬ nachthal erkannte das Günstige dieser Situation auf den ersten Blick und ariff sofort in das Gefecht ein.*) Durch diesen ungestümen, mit furchtbarem Geschrei eröffneten Angriff überrascht und verwirrt, war der Feind in wenig Augenblicken zersprengt. Mehr als 1600 Burgundische bedeckten die Wahl¬ statt. Die Schweizer, welche nur 70 Mann verloren haben sollen, thaten sich durch rasche und rastlose Verfolgung hervor und zuweilen soll dabei ihr Fußvolk den schweren österreichischen Reitern sogar voraus gekommen sein. Dies Treffen war für den ganzen Krieg maßgebend und entscheidend. Nach drei Tagen wurde Hiricourt übergeben und vom Erzherzoge besetzt. Nur der vorgerückten Jahreszeit, welche Krankheiten im eidgenössischen Heere er¬ zeugten, hatte es Karl der Kühne zu danken, daß nicht schon jetzt das Stammland seines Hauses erobert ward. Ludwig XI. sprach den Eidgenossen freudigen Dank aus, und nach einer allerdings ziemlich langwierigen und schwierigen Verhandlung öffnete er auch seine Geldkasten und zahlte die versprochenen Summen. Sie waren beträcht¬ lich genug, um nicht nur die Häupter seiner Partei: die Diesbach, Bubenberg, Scharnachthal, Silinen und A. zu belohnen, sondern auch den Gemeinen, die des Tages Last und Hitze getragen, reichlichen Sold zu zahlen. Zu Bern ward „über die öffentliche und geheime Vertheilung der versprochenen Gelder ein Plan verabredet. Einem jeden Mann von Einfluß wurde nach dessen Maß mehr oder weniger verordnet." Damit aber hatte Frankreich den Weg entdeckt, der zu den Alpenbewohnern führte; es war der Anfang jenes gro߬ artigen „Neislaufens". das seitdem wie ein Gift in die Adern der Schweizer eindrang und das gesunde Lebensblut zersetzte.**) — Der Krieg nahm indessen seinen Fortgang. Im Frühjahr 1475, das einem ungewöhnlich langen und harten Winter folgte, faßte man zu Bern den verständigen Entschluß, sich der Jura-Pässe zu bemächtigen, welche voraussichtlich die Eingangsthore des burgundischen Herzogs in die Schweiz werden mußten. Solothurn, Luzern und Basel sandten Zuzüge. Anfangs April nistete sich eine Freischaar von 1300 Bernern in Pontarlier ein und wurde hier von einem burgundischen Corps unter dem Grafen v. Roussy blokirt. Zum Entsatz rückte Nikolas von Diesbach mit 2S00 Bernern heran. Als er zur Stelle kam, hatten jedoch „die Freiheits- ") Schilling, a. a O. ") G. Weber: Geschichte des Mittelalters. 4. Thl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/26>, abgerufen am 26.09.2024.