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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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der Straße ganz und gar frei für den Lauf der Pferde bleibt. Unter sich hat
man das straffgespannte Thau, vor welches unmittelbar, nachdem das zur
Befreyung der Straße von Menschen bestimmte Cavallerie-Piket zurückgallopirt
kommt, die Pferde geführt werden. Diese sind zuweilen so unbändig, daß
mehrere Männer, sie von vorn und hinten festhaltend, nur schwer beherrschen
können; eines Abends riß sich auch wirklich eines davon vor der Zeit los,
ein anderes stürzte, im Begriff über die Corte zu setzen, dergestalt hin, daß
es auf dem Rücken unter derselben lag, wo ich die Stärke eines der Kerle be¬
wunderte, der es nicht von der Halfter los ließ, und in der unbequemsten
Lage des Armes über die gespannte Corte herüber noch festhielt. Es gehört
wirklich eine ganz eigene Geschicklichkeit dazu, dieser Thiere, die auf alle mög¬
liche Arten gereizt werden, ihren Lauf mit der größten Schnelligkeit zu be¬
ginnen, so Meister zu werden, daß mit dem gegebenen Signal, bey welchem
plötzlich die Corte niederfällt, sie Alle a tempo losgelaßen werden. Der letzte
Abend wurde besonders noch durch ein schönes Wetter begünstigt. Die Zahl
der Menschen war außerordentlich. Ich kann nicht sagen welchen Eindruck ich
oben auf dem Gerüste empfand, als ich still mitten unter der lebenden Menge
saß, die wie das Brausen des Meeres von Ferne und Nahem herschallt und
bald nach dem einzig schönen blauen Himmel, der gleich dem prächtigsten Zelt
das ganze Theater überspannte, bald vor mir hin zwischen den beiden ge¬
drängten Menschen-Reihen den Corso hinabschaute, wo sich Menschen und
Gebäude allmählig in einander verloren. O wie innig fühlte ich wieder die
Sehnsucht nach dem Mitgenuß meiner besten Geschwister und Freunde. Eben¬
so überraschte mich das Getöse, das der Spaß mit den Moccoli nachdem
eigentlich alles beendet war, ganz unvermuthet am Palazzo Ruspolt erzeugte.
Es war nach und nach ganz dunkel geworden, und ein einziger Genuß.
Mehrere der schönsten Mädchen und Weiber, im Wagen ganz erleuchtet von
den Moccoli die sie in ihren Händen hielten, und ringsum in dem Wagen
aufgeklebt hatten, noch zu beäugeln. Von da gieng ich nach Hause mich zum
Festino zu bereiten, und davon das nächstemal.

Rom, 28. April 1310.


Theuere Hochgeschätzte Freundinn.

Zwey Ihrer lieben Briefe liegen vor mir und geben mir erneuert den
schönsten Genuß, den ich mir noch durch meine schriftliche Unterhaltung mit
Ihnen erhöhen will. Lassen Sie mir daher in dem vollen Zutrauen das ich
zu Ihrer freundschaftlg. Nachsicht habe, Beruhigung über mein langes
Stillschweigen finden, und nehmen Sie nun meinen innigen Dank für die
frohen Empfindungen, die mir ihre schriftlichen Mittheilungen geben, gütig
auf, unter welchen besonders die Würdigung mich auch in der Ferne an


der Straße ganz und gar frei für den Lauf der Pferde bleibt. Unter sich hat
man das straffgespannte Thau, vor welches unmittelbar, nachdem das zur
Befreyung der Straße von Menschen bestimmte Cavallerie-Piket zurückgallopirt
kommt, die Pferde geführt werden. Diese sind zuweilen so unbändig, daß
mehrere Männer, sie von vorn und hinten festhaltend, nur schwer beherrschen
können; eines Abends riß sich auch wirklich eines davon vor der Zeit los,
ein anderes stürzte, im Begriff über die Corte zu setzen, dergestalt hin, daß
es auf dem Rücken unter derselben lag, wo ich die Stärke eines der Kerle be¬
wunderte, der es nicht von der Halfter los ließ, und in der unbequemsten
Lage des Armes über die gespannte Corte herüber noch festhielt. Es gehört
wirklich eine ganz eigene Geschicklichkeit dazu, dieser Thiere, die auf alle mög¬
liche Arten gereizt werden, ihren Lauf mit der größten Schnelligkeit zu be¬
ginnen, so Meister zu werden, daß mit dem gegebenen Signal, bey welchem
plötzlich die Corte niederfällt, sie Alle a tempo losgelaßen werden. Der letzte
Abend wurde besonders noch durch ein schönes Wetter begünstigt. Die Zahl
der Menschen war außerordentlich. Ich kann nicht sagen welchen Eindruck ich
oben auf dem Gerüste empfand, als ich still mitten unter der lebenden Menge
saß, die wie das Brausen des Meeres von Ferne und Nahem herschallt und
bald nach dem einzig schönen blauen Himmel, der gleich dem prächtigsten Zelt
das ganze Theater überspannte, bald vor mir hin zwischen den beiden ge¬
drängten Menschen-Reihen den Corso hinabschaute, wo sich Menschen und
Gebäude allmählig in einander verloren. O wie innig fühlte ich wieder die
Sehnsucht nach dem Mitgenuß meiner besten Geschwister und Freunde. Eben¬
so überraschte mich das Getöse, das der Spaß mit den Moccoli nachdem
eigentlich alles beendet war, ganz unvermuthet am Palazzo Ruspolt erzeugte.
Es war nach und nach ganz dunkel geworden, und ein einziger Genuß.
Mehrere der schönsten Mädchen und Weiber, im Wagen ganz erleuchtet von
den Moccoli die sie in ihren Händen hielten, und ringsum in dem Wagen
aufgeklebt hatten, noch zu beäugeln. Von da gieng ich nach Hause mich zum
Festino zu bereiten, und davon das nächstemal.

Rom, 28. April 1310.


Theuere Hochgeschätzte Freundinn.

Zwey Ihrer lieben Briefe liegen vor mir und geben mir erneuert den
schönsten Genuß, den ich mir noch durch meine schriftliche Unterhaltung mit
Ihnen erhöhen will. Lassen Sie mir daher in dem vollen Zutrauen das ich
zu Ihrer freundschaftlg. Nachsicht habe, Beruhigung über mein langes
Stillschweigen finden, und nehmen Sie nun meinen innigen Dank für die
frohen Empfindungen, die mir ihre schriftlichen Mittheilungen geben, gütig
auf, unter welchen besonders die Würdigung mich auch in der Ferne an


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[0253] der Straße ganz und gar frei für den Lauf der Pferde bleibt. Unter sich hat man das straffgespannte Thau, vor welches unmittelbar, nachdem das zur Befreyung der Straße von Menschen bestimmte Cavallerie-Piket zurückgallopirt kommt, die Pferde geführt werden. Diese sind zuweilen so unbändig, daß mehrere Männer, sie von vorn und hinten festhaltend, nur schwer beherrschen können; eines Abends riß sich auch wirklich eines davon vor der Zeit los, ein anderes stürzte, im Begriff über die Corte zu setzen, dergestalt hin, daß es auf dem Rücken unter derselben lag, wo ich die Stärke eines der Kerle be¬ wunderte, der es nicht von der Halfter los ließ, und in der unbequemsten Lage des Armes über die gespannte Corte herüber noch festhielt. Es gehört wirklich eine ganz eigene Geschicklichkeit dazu, dieser Thiere, die auf alle mög¬ liche Arten gereizt werden, ihren Lauf mit der größten Schnelligkeit zu be¬ ginnen, so Meister zu werden, daß mit dem gegebenen Signal, bey welchem plötzlich die Corte niederfällt, sie Alle a tempo losgelaßen werden. Der letzte Abend wurde besonders noch durch ein schönes Wetter begünstigt. Die Zahl der Menschen war außerordentlich. Ich kann nicht sagen welchen Eindruck ich oben auf dem Gerüste empfand, als ich still mitten unter der lebenden Menge saß, die wie das Brausen des Meeres von Ferne und Nahem herschallt und bald nach dem einzig schönen blauen Himmel, der gleich dem prächtigsten Zelt das ganze Theater überspannte, bald vor mir hin zwischen den beiden ge¬ drängten Menschen-Reihen den Corso hinabschaute, wo sich Menschen und Gebäude allmählig in einander verloren. O wie innig fühlte ich wieder die Sehnsucht nach dem Mitgenuß meiner besten Geschwister und Freunde. Eben¬ so überraschte mich das Getöse, das der Spaß mit den Moccoli nachdem eigentlich alles beendet war, ganz unvermuthet am Palazzo Ruspolt erzeugte. Es war nach und nach ganz dunkel geworden, und ein einziger Genuß. Mehrere der schönsten Mädchen und Weiber, im Wagen ganz erleuchtet von den Moccoli die sie in ihren Händen hielten, und ringsum in dem Wagen aufgeklebt hatten, noch zu beäugeln. Von da gieng ich nach Hause mich zum Festino zu bereiten, und davon das nächstemal. Rom, 28. April 1310. Theuere Hochgeschätzte Freundinn. Zwey Ihrer lieben Briefe liegen vor mir und geben mir erneuert den schönsten Genuß, den ich mir noch durch meine schriftliche Unterhaltung mit Ihnen erhöhen will. Lassen Sie mir daher in dem vollen Zutrauen das ich zu Ihrer freundschaftlg. Nachsicht habe, Beruhigung über mein langes Stillschweigen finden, und nehmen Sie nun meinen innigen Dank für die frohen Empfindungen, die mir ihre schriftlichen Mittheilungen geben, gütig auf, unter welchen besonders die Würdigung mich auch in der Ferne an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/253>, abgerufen am 24.08.2024.