Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.noch dunkle Tiefen liegen, in welche die Forschung vielleicht nie eindringen noch dunkle Tiefen liegen, in welche die Forschung vielleicht nie eindringen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135300"/> <p xml:id="ID_670" prev="#ID_669" next="#ID_671"> noch dunkle Tiefen liegen, in welche die Forschung vielleicht nie eindringen<lb/> wird. Bet dieser Ungewißheit wird jeder Versuch, die Frage zu lösen, der<lb/> ste auf eine neue Art angreift, auf Theilnahme rechnen können, und so darf<lb/> es nicht Wunder nehmen, wenn die hier vorliegende Schrift in ihrem Vater¬<lb/> lande in kurzer Zeit sechs Auflagen erlebt hat und vor der deutschen Ueber¬<lb/> setzung schon ins Englische übertragen worden ist. Denn dieselbe betritt<lb/> wirklich einen neuen Weg; indem der Versass er zwischen dem Unsterblichkeits¬<lb/> glauben und der neueren Naturwissenschaft, deren Entdeckungen ihm ziemlich<lb/> geläufig sind, eine Art Mittelstraße einschlägt und insbesondere auf die Trans¬<lb/> mutationstheorie Rücksicht nimmr, die er vom Stofflichen auf das Geistige<lb/> überträgt. Nach ihm wäre das Leben der Seele ein Kreislauf. Sie beginnt<lb/> als Keim in einem Sonnenstrahl, der auf die Erde fällt und hier in einer<lb/> Pflanze oder einem Pflanzenthiere sich einen Körper bildet, in welchem er sich<lb/> veredelt, um dann in höheren Thieren diesen Selbstveredelungsproceß, diese<lb/> Verfeinerung, Kräftigung und Bereicherung seiner Fähigkeiten fortzusetzen.<lb/> Vom Pflanzenthiere wandert die wachsende, immer voller und Heller werdende<lb/> Seele die Stufenleiter der Thiere aufwärts bis zum Menschen. Dabei ent¬<lb/> wickelt sich in ihr allmälig ein gewisses Gefühlsvermögen, ein auf jeder<lb/> Stufe kräftiger und klarer werdender Wille, und die Basis vernünftigen<lb/> Denkens. Im Menschen erwirbt sie neue Fähigkeiten und läutern sich die<lb/> alten. Geschieht dieß während des Lebens eines Menschen nicht genügend,<lb/> so muß er ein zweites durchmachen, aber ohne Erinnerung an das erste.<lb/> Die hinreichend veredelte Seele dagegen erhebt sich sterbend in den Aether,<lb/> um dort mit der Erinnerung an ihr Erdendasein und dem Bewußtsein, daß<lb/> ihr jetziger Zustand eine Fortsetzung desselben ist, zunächst ein Leben mit<lb/> höheren geistigen Kräften und edlerer Leiblichkeit zu führen und dann durch<lb/> einen zweiten, dritten und vierten Tod in noch höhere Zustände einzugehen,<lb/> bis die ganz verklärte Seele zuletzt in die Sonne zurückgelangt, aus deren<lb/> Flammenborn sie gekommen ist. Die Schlüsse, durch welche der Verfasser zu<lb/> diesem Ergebniß kommt, sind nicht immer der Art, daß sie vor der Logik be¬<lb/> stehen. Häufig tritt das Gefühl für den Verstand ein und ebenso oft die<lb/> Phantasie. Auch ist manche naturwissenschaftliche Thatsache, auf die er sich<lb/> stützt, noch nicht hinreichend festgestellt oder von ihm nicht richtig verstanden.<lb/> Wenn er auch alte Beweise für die Unsterblichkeit, z. B. den, daß das Gute<lb/> auf Erden nicht immer, ja selten belohnt werde und doch belohnt werden<lb/> müsse, nicht verschmäht, so hat dies schon der Uebersetzer in Anmerkungen<lb/> rectificirt. Nicht selten widerspricht der Verfasser sich, und mit seinem Re¬<lb/> sultate werden Wenige befriedigt sein. Dennoch ist die Schrift kein bloßes<lb/> Curiosum. Sie irrt, sie fußt vielfach auf falschen Voraussetzungen, und sie<lb/> kommt zu einem grotesken Endergebnisse. Aber der Weg, den sie einschlägt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
noch dunkle Tiefen liegen, in welche die Forschung vielleicht nie eindringen
wird. Bet dieser Ungewißheit wird jeder Versuch, die Frage zu lösen, der
ste auf eine neue Art angreift, auf Theilnahme rechnen können, und so darf
es nicht Wunder nehmen, wenn die hier vorliegende Schrift in ihrem Vater¬
lande in kurzer Zeit sechs Auflagen erlebt hat und vor der deutschen Ueber¬
setzung schon ins Englische übertragen worden ist. Denn dieselbe betritt
wirklich einen neuen Weg; indem der Versass er zwischen dem Unsterblichkeits¬
glauben und der neueren Naturwissenschaft, deren Entdeckungen ihm ziemlich
geläufig sind, eine Art Mittelstraße einschlägt und insbesondere auf die Trans¬
mutationstheorie Rücksicht nimmr, die er vom Stofflichen auf das Geistige
überträgt. Nach ihm wäre das Leben der Seele ein Kreislauf. Sie beginnt
als Keim in einem Sonnenstrahl, der auf die Erde fällt und hier in einer
Pflanze oder einem Pflanzenthiere sich einen Körper bildet, in welchem er sich
veredelt, um dann in höheren Thieren diesen Selbstveredelungsproceß, diese
Verfeinerung, Kräftigung und Bereicherung seiner Fähigkeiten fortzusetzen.
Vom Pflanzenthiere wandert die wachsende, immer voller und Heller werdende
Seele die Stufenleiter der Thiere aufwärts bis zum Menschen. Dabei ent¬
wickelt sich in ihr allmälig ein gewisses Gefühlsvermögen, ein auf jeder
Stufe kräftiger und klarer werdender Wille, und die Basis vernünftigen
Denkens. Im Menschen erwirbt sie neue Fähigkeiten und läutern sich die
alten. Geschieht dieß während des Lebens eines Menschen nicht genügend,
so muß er ein zweites durchmachen, aber ohne Erinnerung an das erste.
Die hinreichend veredelte Seele dagegen erhebt sich sterbend in den Aether,
um dort mit der Erinnerung an ihr Erdendasein und dem Bewußtsein, daß
ihr jetziger Zustand eine Fortsetzung desselben ist, zunächst ein Leben mit
höheren geistigen Kräften und edlerer Leiblichkeit zu führen und dann durch
einen zweiten, dritten und vierten Tod in noch höhere Zustände einzugehen,
bis die ganz verklärte Seele zuletzt in die Sonne zurückgelangt, aus deren
Flammenborn sie gekommen ist. Die Schlüsse, durch welche der Verfasser zu
diesem Ergebniß kommt, sind nicht immer der Art, daß sie vor der Logik be¬
stehen. Häufig tritt das Gefühl für den Verstand ein und ebenso oft die
Phantasie. Auch ist manche naturwissenschaftliche Thatsache, auf die er sich
stützt, noch nicht hinreichend festgestellt oder von ihm nicht richtig verstanden.
Wenn er auch alte Beweise für die Unsterblichkeit, z. B. den, daß das Gute
auf Erden nicht immer, ja selten belohnt werde und doch belohnt werden
müsse, nicht verschmäht, so hat dies schon der Uebersetzer in Anmerkungen
rectificirt. Nicht selten widerspricht der Verfasser sich, und mit seinem Re¬
sultate werden Wenige befriedigt sein. Dennoch ist die Schrift kein bloßes
Curiosum. Sie irrt, sie fußt vielfach auf falschen Voraussetzungen, und sie
kommt zu einem grotesken Endergebnisse. Aber der Weg, den sie einschlägt,
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