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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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hatte (NL. einen wegen Erbschleicherei verurtheilten Geistlichen), konnte nun
dieser Zuchtpoltzeisträfling öffentlich alle Schmähschriften verbreiten und die
elendesten Schmutzbilder ausstellen. So verhält sich also die Sache. Der El-
sässer, der sein ganzes Leben, einige Jahre ausgenommen, in Elsaß zugebracht,
der seine Staatsangehörigkeit nicht verloren hatte, wird verbannt, und der
Zuchtpolizeisträfling wird geschützt. Meine Herren glauben Sie denn, daß
das Volk aus solchen empörenden Ungerechtigkeiten nicht seine Schlußfolger¬
ungen zieht?" --

Die "Neue Müll). Zeit." hat sich nun kürzlich die Mühe nicht verdrießen
lassen, diesen und ähnlichen "elsässischen Erzählungen" des Hrn. Winterer vor
dem Reichstage etwas genauer auf den Grund zu gehen und dabei gefunden,
daß der klerikale Heißsporn dabei mors na^'orna durchschnittlich das Oberste
zu unterst gekehrt und selbstverständlich seiner Phantasie in der Ausmalung
seiner haarsträubenden Histörchen freien Lauf gelassen hat. So fragt sie bez.
jener Bilder: "Was kann dem Hrn. Winterer an diesen Bildern empörend
und schmutzig erscheinen? Doch nur die dargestellte Handlung! Also die Je¬
suiten! Aber warum nimmt er es übel, daß man so schmutzige Verbrecher im
Bilde dem Volke zeigt? Verlangt er, daß die Behörde solche Dinge, wo sie
erscheinen, verschleiern soll? Warum zeiht er einer empörenden Ungerechtigkeit
den Kreisdirector, der es duldet, daß Erbschleicher blosgestellt werden?" Der
Priester aber, den Winterer in seinen Schutz nehme, habe eben das gethan,
was auf den erwähnten Gemälden bildlich dargestellt war, indem er unter
Entweihung seines priesterlichen Amtes und grobem Mißbrauch des ihm als
Seelsorger geschenkten Vertrauens eine Erbschaft an sich zu bringen gesucht
habe. Was übrigens die von Hrn. Winterer triumphirend hervorgehobene
zweimalige Bestrafung des Er-Benedictiners Pierre des Pilliers (vor dem
Tribunal zu Bergerac und zu Montauban) anbelangt, so zeigt sich gerade
darin, daß derselbe ein Opfer klerikaler Verfolgungssucht ist, wie dies aus
der Darstellung der beiden Affairen in dem genannten Blatte aus den I. 1873
und 1874 bis zur Evidenz hervorgeht. --

Auf dem Straßburger Theater ist vor einigen Wochen ein fünsaktiges
Drama von Ludwig Schneegans mehrmals mit bedeutendem Erfolg in
Scene gegangen: "Maria, Königin von Schottland." Dieses Stück bildet
gewissermaßen das Präludium zu Schiller's "Maria Stuart" und mit diesem
und Laube's "Graf Esser" eine Art Trilogie. Alle Welt ist einig in den Lob¬
sprüchen und Auszeichnungen, welche dieser bedeutsamen Erscheinung der mo¬
dernen realistischen Schule und ihrem talentvollen Verfasser zu Theil werden.
Kenner erachten das Stück sogar als eine wesentliche Bereicherung unserer deutschen
dramatischen Literatur. Auf alle Fälle ist es äußerst erfreulich, schon nach so
kurzer Zeit aus dem Schooße des wiedergewonnenen Volksstammes eine streb-


hatte (NL. einen wegen Erbschleicherei verurtheilten Geistlichen), konnte nun
dieser Zuchtpoltzeisträfling öffentlich alle Schmähschriften verbreiten und die
elendesten Schmutzbilder ausstellen. So verhält sich also die Sache. Der El-
sässer, der sein ganzes Leben, einige Jahre ausgenommen, in Elsaß zugebracht,
der seine Staatsangehörigkeit nicht verloren hatte, wird verbannt, und der
Zuchtpolizeisträfling wird geschützt. Meine Herren glauben Sie denn, daß
das Volk aus solchen empörenden Ungerechtigkeiten nicht seine Schlußfolger¬
ungen zieht?" —

Die „Neue Müll). Zeit." hat sich nun kürzlich die Mühe nicht verdrießen
lassen, diesen und ähnlichen „elsässischen Erzählungen" des Hrn. Winterer vor
dem Reichstage etwas genauer auf den Grund zu gehen und dabei gefunden,
daß der klerikale Heißsporn dabei mors na^'orna durchschnittlich das Oberste
zu unterst gekehrt und selbstverständlich seiner Phantasie in der Ausmalung
seiner haarsträubenden Histörchen freien Lauf gelassen hat. So fragt sie bez.
jener Bilder: „Was kann dem Hrn. Winterer an diesen Bildern empörend
und schmutzig erscheinen? Doch nur die dargestellte Handlung! Also die Je¬
suiten! Aber warum nimmt er es übel, daß man so schmutzige Verbrecher im
Bilde dem Volke zeigt? Verlangt er, daß die Behörde solche Dinge, wo sie
erscheinen, verschleiern soll? Warum zeiht er einer empörenden Ungerechtigkeit
den Kreisdirector, der es duldet, daß Erbschleicher blosgestellt werden?" Der
Priester aber, den Winterer in seinen Schutz nehme, habe eben das gethan,
was auf den erwähnten Gemälden bildlich dargestellt war, indem er unter
Entweihung seines priesterlichen Amtes und grobem Mißbrauch des ihm als
Seelsorger geschenkten Vertrauens eine Erbschaft an sich zu bringen gesucht
habe. Was übrigens die von Hrn. Winterer triumphirend hervorgehobene
zweimalige Bestrafung des Er-Benedictiners Pierre des Pilliers (vor dem
Tribunal zu Bergerac und zu Montauban) anbelangt, so zeigt sich gerade
darin, daß derselbe ein Opfer klerikaler Verfolgungssucht ist, wie dies aus
der Darstellung der beiden Affairen in dem genannten Blatte aus den I. 1873
und 1874 bis zur Evidenz hervorgeht. —

Auf dem Straßburger Theater ist vor einigen Wochen ein fünsaktiges
Drama von Ludwig Schneegans mehrmals mit bedeutendem Erfolg in
Scene gegangen: „Maria, Königin von Schottland." Dieses Stück bildet
gewissermaßen das Präludium zu Schiller's „Maria Stuart" und mit diesem
und Laube's „Graf Esser" eine Art Trilogie. Alle Welt ist einig in den Lob¬
sprüchen und Auszeichnungen, welche dieser bedeutsamen Erscheinung der mo¬
dernen realistischen Schule und ihrem talentvollen Verfasser zu Theil werden.
Kenner erachten das Stück sogar als eine wesentliche Bereicherung unserer deutschen
dramatischen Literatur. Auf alle Fälle ist es äußerst erfreulich, schon nach so
kurzer Zeit aus dem Schooße des wiedergewonnenen Volksstammes eine streb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/244>, abgerufen am 22.07.2024.