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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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werden, wenn das Zeugniß des Verletzten sie nicht als strafbar qualificirt?
Zu dieser in der Sache liegenden Bedingung bedarf es keiner formellen Vor¬
schrift, welche den Antrag des Verletzten fordert. Die Qualifikation der
Strafbarkeit gegen das Zeugniß des Verletzten setzt in der That voraus, daß
derselbe reif ist, unter Vormundschaft gestellt zu werden. Den juristischen
Zerrereim über die Behandlung der einzelnen Antragsvergehen, welche sich
meist nach oberflächlichen Gesichtspunkten im Reichstag entspannen, folgen
wir nicht. Ebensowenig hat uns die gesetzgeberische Weisheit des Reichstags
bei dem sogenannten Duchesne-Paragraphen befriedigt. Zum Ueberdruß
wurde die Behauptung wiederholt, man dürfe keine Strafgesetze nach Gelegen¬
heit machen. Der Fall Duchesne hat aber in Wahrheit nur die Falschheit
des Grundsatzes ans Licht gebracht, die erfolglose Anstiftung nicht als Ver¬
brechen zu behandeln. Dieses Verbrechen führt, auch wenn es seinen unmittel¬
baren Zweck nicht erreicht, mittelbar herbei eine moralische Beschädigung der¬
jenigen Persönlichkeit, welche zu verführen gesucht wurde, und in vielen
Fällen eine moralische Beschädigung der Gesellschaft durch die offene Ver¬
höhnung des Rechts und der Moral, drittens aber auch eine Beschädigung
Einzelner oder der Gesellschaft durch das Gefühl der Unsicherheit. Die er¬
folglose Anstiftung muß daher überhaupt bestraft werden, wobei wiederum
das Ermessen der Staatsanwaltschaft, controlirt durch die Popular-
klage, die ungeeigneten Fälle von der Verfolgung auszunehmen hat. Der
Reichstag begnügte sich mit einer grundsatzloser Bestimmung, in dem über¬
wiegenden Bewußtsein, wie es scheint, daß es unumgänglich sei, der Regie¬
rung wenigstens einen halben Gefallen zu thun.

Am 2S. Januar sollten einige nachträgliche Ausgaben zum Reichshaus¬
halt bewilligt werden. Ein Zuschuß für die Botschaft in Rom gab dem
Centrum zu einem unnützen Geplänkel Anlaß, woraus Manche den Schluß
gezogen haben, daß wieder einmal ein Versuch gescheitert sei, einen Waffen¬
stillstand oder sonstiges Abkommen zwischen Rom und der deutschen Re¬
gierung zu Stande zu bringen.

Am 26. Januar wurde eine Petition des Journalistentages verhandelt,
bei Haftbarkeit des Redakteurs einer periodischen Druckschrift die weitere Er¬
mittelung der Schuld an einem Preßvergehen auszuschließen. Der Gegenstand
ist neuerdings viel in der deutschen Presse verhandelt worden, aber niemals
unter dem Gesichtspunkt, den ich für den einzig richtigen halte, wobei ich
mich aber nicht der Zustimmung der Redaction d. Bl. erfreue. Abgesehen
von Inseraten und Artikeln, die eine Namensunterschrift tragen, begeht die
Presse überhaupt keine persönlichen Vergehen. Deshalb dürfen auch niemals
irgend welche Personen, sondern nur die Institute mit Strafe, und zwar nur
mit Geldstrafen belegt werden. Will man den persönlich Schuldigen ermitteln,


werden, wenn das Zeugniß des Verletzten sie nicht als strafbar qualificirt?
Zu dieser in der Sache liegenden Bedingung bedarf es keiner formellen Vor¬
schrift, welche den Antrag des Verletzten fordert. Die Qualifikation der
Strafbarkeit gegen das Zeugniß des Verletzten setzt in der That voraus, daß
derselbe reif ist, unter Vormundschaft gestellt zu werden. Den juristischen
Zerrereim über die Behandlung der einzelnen Antragsvergehen, welche sich
meist nach oberflächlichen Gesichtspunkten im Reichstag entspannen, folgen
wir nicht. Ebensowenig hat uns die gesetzgeberische Weisheit des Reichstags
bei dem sogenannten Duchesne-Paragraphen befriedigt. Zum Ueberdruß
wurde die Behauptung wiederholt, man dürfe keine Strafgesetze nach Gelegen¬
heit machen. Der Fall Duchesne hat aber in Wahrheit nur die Falschheit
des Grundsatzes ans Licht gebracht, die erfolglose Anstiftung nicht als Ver¬
brechen zu behandeln. Dieses Verbrechen führt, auch wenn es seinen unmittel¬
baren Zweck nicht erreicht, mittelbar herbei eine moralische Beschädigung der¬
jenigen Persönlichkeit, welche zu verführen gesucht wurde, und in vielen
Fällen eine moralische Beschädigung der Gesellschaft durch die offene Ver¬
höhnung des Rechts und der Moral, drittens aber auch eine Beschädigung
Einzelner oder der Gesellschaft durch das Gefühl der Unsicherheit. Die er¬
folglose Anstiftung muß daher überhaupt bestraft werden, wobei wiederum
das Ermessen der Staatsanwaltschaft, controlirt durch die Popular-
klage, die ungeeigneten Fälle von der Verfolgung auszunehmen hat. Der
Reichstag begnügte sich mit einer grundsatzloser Bestimmung, in dem über¬
wiegenden Bewußtsein, wie es scheint, daß es unumgänglich sei, der Regie¬
rung wenigstens einen halben Gefallen zu thun.

Am 2S. Januar sollten einige nachträgliche Ausgaben zum Reichshaus¬
halt bewilligt werden. Ein Zuschuß für die Botschaft in Rom gab dem
Centrum zu einem unnützen Geplänkel Anlaß, woraus Manche den Schluß
gezogen haben, daß wieder einmal ein Versuch gescheitert sei, einen Waffen¬
stillstand oder sonstiges Abkommen zwischen Rom und der deutschen Re¬
gierung zu Stande zu bringen.

Am 26. Januar wurde eine Petition des Journalistentages verhandelt,
bei Haftbarkeit des Redakteurs einer periodischen Druckschrift die weitere Er¬
mittelung der Schuld an einem Preßvergehen auszuschließen. Der Gegenstand
ist neuerdings viel in der deutschen Presse verhandelt worden, aber niemals
unter dem Gesichtspunkt, den ich für den einzig richtigen halte, wobei ich
mich aber nicht der Zustimmung der Redaction d. Bl. erfreue. Abgesehen
von Inseraten und Artikeln, die eine Namensunterschrift tragen, begeht die
Presse überhaupt keine persönlichen Vergehen. Deshalb dürfen auch niemals
irgend welche Personen, sondern nur die Institute mit Strafe, und zwar nur
mit Geldstrafen belegt werden. Will man den persönlich Schuldigen ermitteln,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/242>, abgerufen am 02.07.2024.