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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Er hatte im Gesichte die edlen Züge seines Vaters, aber seine ebenfalls hohe
Gestalt war schmaler, schmächtiger und etwas vorübergebeugt. Langes und
dunkles Haar umgab sein Gesicht, das trotz der vielen Leiden, welche es in
späterer Zeit zu erdulden hatte, auch in seinen letzten Lebensjahren immer noch
so ansprechend blieb, wie in seiner Jugendzeit, wo der Ernst des Ausdrucks
ihn älter erscheinen ließ, als er war. Eine besonders hervorragende Eigenschaft
ihm war sein geselliges Talent. Seine Rede quoll über auf die ansprechendste
und lehrreichste Weise von geistvollen Auffassungen und Mittheilungen über
alle Gegenstände, auf welche sich zufällig das Gespräch richten mochte. Er
Machte durchaus den Eindruck, überall zu Hause zu sein. Es war dieses eine
Folge seines erstaunlichen Gedächtnisses, verbunden mit eben so vielem Scharf¬
sinn und der Gewohnheit, Alles niemals von einseitigen Gesichtspunkten aus
anzusehen, sondern immer die verschiedenen Beurtheilungsweisen einer Sache
unparteiisch gegen einander zu wägen. Oft konnte dieses sogar als eine über¬
mäßige Hinneigung zur skeptischen Suspension des Urtheils aussehen, immer
aber bekam durch diesen Umstand seine Urtheilsweise den Charakter der Ge¬
rechtigkeit und Gründlichkeit. Dabei gehörte er keinesweges zu denjenigen
geselligen Rednern, welche eine Gesellschaft mit ihrer Rede zudecken, so daß
ein anderer nicht gut dabei zu Worte kommt. Im Gegentheil hörte er eben
so ausgezeichnet, als er sprach, und wußte am liebsten ein Wechselgespräch so
on führen und einzuleiten, daß man sich eben so angenehm zum Entwickeln
ver eigenen Gedanken, als zum Erfahren der seinigen angeregt fühlte. Es
fand das wahre Wort Fichte's auf ihn seine volle Anwendung, daß man den
freien Mann daran erkenne, daß sich in seiner Nähe Jedermann zu freier
Thätigkeit angeregt fühle. Die Folge dieser geselligen Eigenschaft war, daß
schon von sehr früh an sowohl jüngere, als ältere Männer ein besonderes Ver¬
engen zeigten, sich durch seinen Umgang in ihren eigenen besten Bestrebungen
ermuntert und gefördert zu sehen. Denn auch was ihm an sich serner lag,
Kies er niemals ab, sondern suchte ihm immer gern eine befreundete Seite
abzugewinnen, sobald er seine Freunde sich dafür interessiren sah. Kam er
Hingegen auf seine eigenen Lieblingsgegenstände zu reden, so theilte sich seine
Begeisterung für die Sache auch dem Zuhörer leicht mit wie eine milde Seelen-
gluth, welche wegen der Gründlichkeit des Räsonnements, womit sie befestigt
und motivirt wurde, im Stande war, nachhaltig fortzuglühen und zu leuchten.
Ein solches bei ihm vorzüglich beliebtes Thema in seinen Gesprächen war
Z- B. die nordische Heimskringla-Sage. So wenig gut er auf die Poesie der
Eddalieder zu sprechen war, welchen er eigentlichen dichterischen Werth ab¬
sprach, so sehr war er ein Bewunderer der prosaischen Sagen und Geschichten
des Nordlandes, in denen er das Urmetall des germanischen Charakters in
seinen rohen aber ächten Erzstufen erkannte. Und weil er das Germanenthum


Er hatte im Gesichte die edlen Züge seines Vaters, aber seine ebenfalls hohe
Gestalt war schmaler, schmächtiger und etwas vorübergebeugt. Langes und
dunkles Haar umgab sein Gesicht, das trotz der vielen Leiden, welche es in
späterer Zeit zu erdulden hatte, auch in seinen letzten Lebensjahren immer noch
so ansprechend blieb, wie in seiner Jugendzeit, wo der Ernst des Ausdrucks
ihn älter erscheinen ließ, als er war. Eine besonders hervorragende Eigenschaft
ihm war sein geselliges Talent. Seine Rede quoll über auf die ansprechendste
und lehrreichste Weise von geistvollen Auffassungen und Mittheilungen über
alle Gegenstände, auf welche sich zufällig das Gespräch richten mochte. Er
Machte durchaus den Eindruck, überall zu Hause zu sein. Es war dieses eine
Folge seines erstaunlichen Gedächtnisses, verbunden mit eben so vielem Scharf¬
sinn und der Gewohnheit, Alles niemals von einseitigen Gesichtspunkten aus
anzusehen, sondern immer die verschiedenen Beurtheilungsweisen einer Sache
unparteiisch gegen einander zu wägen. Oft konnte dieses sogar als eine über¬
mäßige Hinneigung zur skeptischen Suspension des Urtheils aussehen, immer
aber bekam durch diesen Umstand seine Urtheilsweise den Charakter der Ge¬
rechtigkeit und Gründlichkeit. Dabei gehörte er keinesweges zu denjenigen
geselligen Rednern, welche eine Gesellschaft mit ihrer Rede zudecken, so daß
ein anderer nicht gut dabei zu Worte kommt. Im Gegentheil hörte er eben
so ausgezeichnet, als er sprach, und wußte am liebsten ein Wechselgespräch so
on führen und einzuleiten, daß man sich eben so angenehm zum Entwickeln
ver eigenen Gedanken, als zum Erfahren der seinigen angeregt fühlte. Es
fand das wahre Wort Fichte's auf ihn seine volle Anwendung, daß man den
freien Mann daran erkenne, daß sich in seiner Nähe Jedermann zu freier
Thätigkeit angeregt fühle. Die Folge dieser geselligen Eigenschaft war, daß
schon von sehr früh an sowohl jüngere, als ältere Männer ein besonderes Ver¬
engen zeigten, sich durch seinen Umgang in ihren eigenen besten Bestrebungen
ermuntert und gefördert zu sehen. Denn auch was ihm an sich serner lag,
Kies er niemals ab, sondern suchte ihm immer gern eine befreundete Seite
abzugewinnen, sobald er seine Freunde sich dafür interessiren sah. Kam er
Hingegen auf seine eigenen Lieblingsgegenstände zu reden, so theilte sich seine
Begeisterung für die Sache auch dem Zuhörer leicht mit wie eine milde Seelen-
gluth, welche wegen der Gründlichkeit des Räsonnements, womit sie befestigt
und motivirt wurde, im Stande war, nachhaltig fortzuglühen und zu leuchten.
Ein solches bei ihm vorzüglich beliebtes Thema in seinen Gesprächen war
Z- B. die nordische Heimskringla-Sage. So wenig gut er auf die Poesie der
Eddalieder zu sprechen war, welchen er eigentlichen dichterischen Werth ab¬
sprach, so sehr war er ein Bewunderer der prosaischen Sagen und Geschichten
des Nordlandes, in denen er das Urmetall des germanischen Charakters in
seinen rohen aber ächten Erzstufen erkannte. Und weil er das Germanenthum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/221>, abgerufen am 19.10.2024.