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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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und übte hierdurch auf den höheren Lehrerstand Schlesiens einen bedeutenden
Einfluß aus, wie es von einem Manne bezeugt wird, welcher in Beziehung
auf seine Stellung an der Universität Breslau für den Bestunterrichteten ge¬
halten werden darf, von seinem Breslauer College" und alten Freunde von
Jena her. Herrn Geh. Justizrath Dr. Hermann Schulze in dessen trefflicher
Erinnerungsschrift (Heinrich Rückert und das Dichterhaus zu Neuses. Breslau
1875), aus welcher wir eben dieses letztere Zeugniß über ihn entnehmen. Auch
hat er sich dadurch dem Schlestschen Lehrerstande gefällig erwiesen, daß er zu¬
erst in einer Reihe >von Aufsätzen die Geschichte des Schlestschen Dialekts streng
wissenschaftlich behandelt hat, wozu ihm Hunderte von ungedruckten Hand¬
schriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert das Material lieferten (in der
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens, und in Zacher's
Zeitschrift für deutsche Philologie).

Als Schriftsteller war Heinrich Rückert sehr fruchtbar. Vom Anfange
seiner Jenaischen Laufbahn an begann seine unermüdliche Thätigkeit in dieser
Richtung. Er arbeitete schreibend, so wie lesend, mit einer bewunderungs¬
würdigen Gespanntheit der Aufmerksamkeit, Raschheit, Ununterbrochenhett und
Ausdauer. Er war ein Virtuose im Fassen, wie in der schnellen und über¬
sichtlichen Verwerthung des Gefaßten, ein durchaus historisch angelegter Kopf,
in dessen Gedankenkreisen der erstaunliche Reichthum des Gedächtnisses die
Unterlage bildete für einen feinen und nur ungern die Nähe des Thatsächlichen
verlassenden Verstand. Seine zahlreichen Schriften tragen den Charakter seiner
geistigen Arbeit an der Stirn. Der Reichthum seiner fast universal zu nen¬
nenden Kenntnisse und die Fülle seiner daraus hervorquellenden geistvollen An¬
sichten und Lichtblicke brachte es mit sich, daß es ihm immer allein um die
lückenlose Ausprägung des Inhalts, um die Sorge, daß nichts von dieser
Fülle verloren gehe, zu thun war, weniger um die Form der Rede, welche in
seinen Schriften daher manchmal vernachlässigt erscheint. Die Fülle der ihm
zuströmenden Gedanken und Thatsachen war immer so groß, daß er sich ge¬
nöthigt sah, jenes Moment darüber zurücktreten zu lassen. Das Schiff seiner
Gedanken ging immer auf hoher See; es war niemals der Mangel, immer
nur der Ueberfluß an Fahrwasser, was ihm hätte lästig werden können.

Außer den unzähligen werthvollen Beiträgen aus seiner Feder, womit er
unablässig kleinere und größere Zeitschriften, sowohl politische als literarische,
zu beschenken pflegte, zerfallen seine größeren Arbeiten in drei Classen:

Die erste bilden die kritischen Ausgaben und Bearbeitungen von Werken
aus der mittelhochdeutschen Literatur, durch die er sich als einen gründlichen
Kenner des deutschen Alterthums bewährt hat. Dahin gehört das Leben des
heil. Ludwig, Landgraf.in von Thüringen, des Gemahls der heil. Elisabeth,


Grenzboten I. 1876. 27

und übte hierdurch auf den höheren Lehrerstand Schlesiens einen bedeutenden
Einfluß aus, wie es von einem Manne bezeugt wird, welcher in Beziehung
auf seine Stellung an der Universität Breslau für den Bestunterrichteten ge¬
halten werden darf, von seinem Breslauer College« und alten Freunde von
Jena her. Herrn Geh. Justizrath Dr. Hermann Schulze in dessen trefflicher
Erinnerungsschrift (Heinrich Rückert und das Dichterhaus zu Neuses. Breslau
1875), aus welcher wir eben dieses letztere Zeugniß über ihn entnehmen. Auch
hat er sich dadurch dem Schlestschen Lehrerstande gefällig erwiesen, daß er zu¬
erst in einer Reihe >von Aufsätzen die Geschichte des Schlestschen Dialekts streng
wissenschaftlich behandelt hat, wozu ihm Hunderte von ungedruckten Hand¬
schriften aus dem 14. und 15. Jahrhundert das Material lieferten (in der
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens, und in Zacher's
Zeitschrift für deutsche Philologie).

Als Schriftsteller war Heinrich Rückert sehr fruchtbar. Vom Anfange
seiner Jenaischen Laufbahn an begann seine unermüdliche Thätigkeit in dieser
Richtung. Er arbeitete schreibend, so wie lesend, mit einer bewunderungs¬
würdigen Gespanntheit der Aufmerksamkeit, Raschheit, Ununterbrochenhett und
Ausdauer. Er war ein Virtuose im Fassen, wie in der schnellen und über¬
sichtlichen Verwerthung des Gefaßten, ein durchaus historisch angelegter Kopf,
in dessen Gedankenkreisen der erstaunliche Reichthum des Gedächtnisses die
Unterlage bildete für einen feinen und nur ungern die Nähe des Thatsächlichen
verlassenden Verstand. Seine zahlreichen Schriften tragen den Charakter seiner
geistigen Arbeit an der Stirn. Der Reichthum seiner fast universal zu nen¬
nenden Kenntnisse und die Fülle seiner daraus hervorquellenden geistvollen An¬
sichten und Lichtblicke brachte es mit sich, daß es ihm immer allein um die
lückenlose Ausprägung des Inhalts, um die Sorge, daß nichts von dieser
Fülle verloren gehe, zu thun war, weniger um die Form der Rede, welche in
seinen Schriften daher manchmal vernachlässigt erscheint. Die Fülle der ihm
zuströmenden Gedanken und Thatsachen war immer so groß, daß er sich ge¬
nöthigt sah, jenes Moment darüber zurücktreten zu lassen. Das Schiff seiner
Gedanken ging immer auf hoher See; es war niemals der Mangel, immer
nur der Ueberfluß an Fahrwasser, was ihm hätte lästig werden können.

Außer den unzähligen werthvollen Beiträgen aus seiner Feder, womit er
unablässig kleinere und größere Zeitschriften, sowohl politische als literarische,
zu beschenken pflegte, zerfallen seine größeren Arbeiten in drei Classen:

Die erste bilden die kritischen Ausgaben und Bearbeitungen von Werken
aus der mittelhochdeutschen Literatur, durch die er sich als einen gründlichen
Kenner des deutschen Alterthums bewährt hat. Dahin gehört das Leben des
heil. Ludwig, Landgraf.in von Thüringen, des Gemahls der heil. Elisabeth,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/217>, abgerufen am 19.10.2024.