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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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bei ihm lernen konnte; und so unterschieden sich seine mehr im Conversations-
tvn gehaltenen Vorlesungen vielleicht nur wenig von seinen sonstigen Gesprä¬
chen. Doch merkten die Studirenden bald genug, was sie an ihm hatten,
und sammelten sich immer in erheblicher Anzahl um seinen Lehrstuhl. Eben
so wurde er bald einer von den beseelenden Mittelpunkten im Kreise der gleich¬
altrigen Genossen, welche theils schon im Universitätslehramte standen, theils
sich auf ein solches erst vorbereiteten. Er gab vermöge der hohen Bildung,
durch welche er sowohl in Ansehung ihres so früh erworbenen Reichthums,
als ihrer durch so viele glückliche Umstände begünstigten Vielseitigkeit die mei¬
sten seiner Altersgenossen weit überragte, den Ton an sür ein geistig ange¬
regtes Jugendleben, welches eben so sehr von der harmlosesten Heiterkeit durch¬
drungen, als von den tiefsten und ernstesten Interessen der Wissenschaft,
Religion und Politik bewegt war. Zu seinen jüngeren Freunden und Ge¬
nossen gehörten namentlich Hermann Schulze, Constantin Nößler. Stop,
Hilgenfeld, Domrich und andere. Nicht minder aber suchten auch ältere Ge¬
lehrte gern seinen näheren Umgang. So z. B. knüpfte sich durch die Inter¬
essen der schönen Literatur ein enges Band zwischen ihm und dem damals
auf der Höhe seiner ausgebreiteten literarischen Wirksamkeit stehenden Pro¬
fessor der Literaturgeschichte O> L. B. Wolff. So verkehrte er im Interesse
der Politik und des Völkerrechts mit dem diese Disciplinen damals in Jena
vertretenden Geh. Justizrath Michelsen, wie welchem im Verein er auch den
Jenaischen Verein für Thüringische Alterthumskunde begründen half, welcher
seit der Zeit in jährlichen Veröffentlichungen die Früchte seiner Thätigkeit an
den Tag gegeben hat.

Unterdessen trat das Revolutionsjahr 1848 ein, welches in Jena manche
Unruhe und manchen Zwiespalt in die geselligen Verhältnisse brachte. Die
Besorgniß vor Ueberfällen wild erregter Bolkshaufen vom Lande her rief
schleunig eine improvisirte Bürgerwehr unter die Waffen. Die bald darauf
nöthig werdenden Parlamentswahlen drängten zu politischen Verbänden, den
rudimentären Anfängen der heutigen Reichsparteien. In dem überhand¬
nehmenden Gefühle allgemeiner Unsicherheit in den schwankenden öffentlichen
Zuständen sah sich jedermann veranlaßt und verpflichtet, entschieden Partei
zu ergreifen für die Sache, welche er für die dem Vaterlande am meisten
Heil und Rettung verheißende hielt. In Folge dessen standen sich u"ver¬
muthet einerseits innig verbunden gewesene Freunde in feindlichen Lagern
gegenüber, während sich andererseits Männer durch politische Interessen plötzlich
an einander gekettet sahen, welche außerdem sich vielleicht niemals nähet Fe-
treten wären. Rückert schloß sich mit Entschiede^! An die"PMteiMr
Constituttonell-Liberalen an, und zröar an diejenigen MW ihn^ii/'welche
Preußen an die Spitze der deutsches Ängeleginheitei' zu stellen wünschten


bei ihm lernen konnte; und so unterschieden sich seine mehr im Conversations-
tvn gehaltenen Vorlesungen vielleicht nur wenig von seinen sonstigen Gesprä¬
chen. Doch merkten die Studirenden bald genug, was sie an ihm hatten,
und sammelten sich immer in erheblicher Anzahl um seinen Lehrstuhl. Eben
so wurde er bald einer von den beseelenden Mittelpunkten im Kreise der gleich¬
altrigen Genossen, welche theils schon im Universitätslehramte standen, theils
sich auf ein solches erst vorbereiteten. Er gab vermöge der hohen Bildung,
durch welche er sowohl in Ansehung ihres so früh erworbenen Reichthums,
als ihrer durch so viele glückliche Umstände begünstigten Vielseitigkeit die mei¬
sten seiner Altersgenossen weit überragte, den Ton an sür ein geistig ange¬
regtes Jugendleben, welches eben so sehr von der harmlosesten Heiterkeit durch¬
drungen, als von den tiefsten und ernstesten Interessen der Wissenschaft,
Religion und Politik bewegt war. Zu seinen jüngeren Freunden und Ge¬
nossen gehörten namentlich Hermann Schulze, Constantin Nößler. Stop,
Hilgenfeld, Domrich und andere. Nicht minder aber suchten auch ältere Ge¬
lehrte gern seinen näheren Umgang. So z. B. knüpfte sich durch die Inter¬
essen der schönen Literatur ein enges Band zwischen ihm und dem damals
auf der Höhe seiner ausgebreiteten literarischen Wirksamkeit stehenden Pro¬
fessor der Literaturgeschichte O> L. B. Wolff. So verkehrte er im Interesse
der Politik und des Völkerrechts mit dem diese Disciplinen damals in Jena
vertretenden Geh. Justizrath Michelsen, wie welchem im Verein er auch den
Jenaischen Verein für Thüringische Alterthumskunde begründen half, welcher
seit der Zeit in jährlichen Veröffentlichungen die Früchte seiner Thätigkeit an
den Tag gegeben hat.

Unterdessen trat das Revolutionsjahr 1848 ein, welches in Jena manche
Unruhe und manchen Zwiespalt in die geselligen Verhältnisse brachte. Die
Besorgniß vor Ueberfällen wild erregter Bolkshaufen vom Lande her rief
schleunig eine improvisirte Bürgerwehr unter die Waffen. Die bald darauf
nöthig werdenden Parlamentswahlen drängten zu politischen Verbänden, den
rudimentären Anfängen der heutigen Reichsparteien. In dem überhand¬
nehmenden Gefühle allgemeiner Unsicherheit in den schwankenden öffentlichen
Zuständen sah sich jedermann veranlaßt und verpflichtet, entschieden Partei
zu ergreifen für die Sache, welche er für die dem Vaterlande am meisten
Heil und Rettung verheißende hielt. In Folge dessen standen sich u»ver¬
muthet einerseits innig verbunden gewesene Freunde in feindlichen Lagern
gegenüber, während sich andererseits Männer durch politische Interessen plötzlich
an einander gekettet sahen, welche außerdem sich vielleicht niemals nähet Fe-
treten wären. Rückert schloß sich mit Entschiede^! An die"PMteiMr
Constituttonell-Liberalen an, und zröar an diejenigen MW ihn^ii/'welche
Preußen an die Spitze der deutsches Ängeleginheitei' zu stellen wünschten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/213>, abgerufen am 02.10.2024.