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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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also die damals sogenannte kleindeutsche oder erbkaiserliche Partei, aus welcher
später die der Nationalliberalen hervorgewachsen ist. Um sich besser in den
Zeitumständen, zu orientiren, reiste er sofort nach Berlin auf einige Tage,
und sodann nach Frankfurt, wo er mehrere Monate zubrachte, um den Gang
der Verhandlungen in der Nationalversammlung in der Nähe zu beobachten.
Hier traf er zusammen mit Michelsen, welcher als Abgeordneter den Schleswig-
Holsteinschen Kreis Hadersleben vertrat, so wie auch mit seinem väterlichen
Freunde, dem Freiherrn von Stockmar, diesem in aller Stille so bewunde¬
rungswürdig fein und wohlthätig agirenden Gehülfen und Beistand von Prinz
Albert, über dessen einflußreiche Thätigkeit wir durch die interessanten Denk¬
würdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn von Stockmar, zusammengestellt
von seinem Sohne Ernst von Stockmar (Braunschweig 1872) genauer unter¬
richtet sind. Weil Stockmar einer der genauesten Freunde seines Vaters war,
so hatte Rückert hierdurch das Glück, Blicke in manche politische Vorgänge
und Verbindungen werfen zu dürfen, welche den Augen gewöhnlicher Menschen
in unzugänglichem Dunkel verborgen lagen. Auch hat er es immer bekannt,
daß er diesem seinem väterlichen Freunde, welchen er seit lange von Koburg
her kannte, die Grundlage und Richtung seiner politischen Bildung verdankte.
Freiherr von Slockmar stand aber ganz entschieden auf Seiten der klein¬
deutschen Politik, und so blieb es nicht aus, daß Rückert in seinen Ansichten
über die Nothwendigkett von Preußens Hegemonie in Deutschland nur noch
mehr gestärkt und befestigt von Frankfurt zurückkehrte. Uebrigens war es
keinesweges etwa bloß aus Einfluß des väterlichen Hauses und seiner be¬
freundeten Staatsmänner, daß gerade Stockmar's Ansichten so gewaltig bei
ihm zündeten. Denn sobald er in jener Zeit nur das elterliche Haus in
Neuses betrat, wo der Vater Rückert einer bet seiner Berufung nach Berlin
eingegangenen Bedingung gemäß regelmäßig den Sommer zubrachte, so ver¬
fehlte er dort sicher nicht einen anderen eben so wohlbekannten und verdienten
Staatsmann von entgegengesetzten Gesinnungen, nämlich den Freiherrn von
Wangenheim, den Würtembergischen Exminister. Dieser, welcher als genauer
Freund des Rückert'schen Hauses beständig in diesem aus- und einging, ver¬
theidigte damals mit aller der jugendlichen sprudelnden Lebhaftigkeit, welche
ihm bis in sein hohes Alter eigen blieb, die großdeutsche Theorie. Sein Plan
für das deutsche Reich war die Trias, worunter er eine gleichschwebende con-
stitutionelle Einigung von Preußen, Oesterreich und einem Bunde der kleineren
Staaten zu einem organischen Ganzen verstand. Es erschienen freilich dem
Vater Rückert nicht minder, als dem Sohne, die praktischen und handgreif¬
lichen Gründe des schweigsamen Stockmar für eine preußische Hegemonie in
Deutschland immer viel einleuchtender, als die idealen und schwärmerischen
des beredten und enthusiastischen Wangenheim für seine ziemlich aussichtslose


also die damals sogenannte kleindeutsche oder erbkaiserliche Partei, aus welcher
später die der Nationalliberalen hervorgewachsen ist. Um sich besser in den
Zeitumständen, zu orientiren, reiste er sofort nach Berlin auf einige Tage,
und sodann nach Frankfurt, wo er mehrere Monate zubrachte, um den Gang
der Verhandlungen in der Nationalversammlung in der Nähe zu beobachten.
Hier traf er zusammen mit Michelsen, welcher als Abgeordneter den Schleswig-
Holsteinschen Kreis Hadersleben vertrat, so wie auch mit seinem väterlichen
Freunde, dem Freiherrn von Stockmar, diesem in aller Stille so bewunde¬
rungswürdig fein und wohlthätig agirenden Gehülfen und Beistand von Prinz
Albert, über dessen einflußreiche Thätigkeit wir durch die interessanten Denk¬
würdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn von Stockmar, zusammengestellt
von seinem Sohne Ernst von Stockmar (Braunschweig 1872) genauer unter¬
richtet sind. Weil Stockmar einer der genauesten Freunde seines Vaters war,
so hatte Rückert hierdurch das Glück, Blicke in manche politische Vorgänge
und Verbindungen werfen zu dürfen, welche den Augen gewöhnlicher Menschen
in unzugänglichem Dunkel verborgen lagen. Auch hat er es immer bekannt,
daß er diesem seinem väterlichen Freunde, welchen er seit lange von Koburg
her kannte, die Grundlage und Richtung seiner politischen Bildung verdankte.
Freiherr von Slockmar stand aber ganz entschieden auf Seiten der klein¬
deutschen Politik, und so blieb es nicht aus, daß Rückert in seinen Ansichten
über die Nothwendigkett von Preußens Hegemonie in Deutschland nur noch
mehr gestärkt und befestigt von Frankfurt zurückkehrte. Uebrigens war es
keinesweges etwa bloß aus Einfluß des väterlichen Hauses und seiner be¬
freundeten Staatsmänner, daß gerade Stockmar's Ansichten so gewaltig bei
ihm zündeten. Denn sobald er in jener Zeit nur das elterliche Haus in
Neuses betrat, wo der Vater Rückert einer bet seiner Berufung nach Berlin
eingegangenen Bedingung gemäß regelmäßig den Sommer zubrachte, so ver¬
fehlte er dort sicher nicht einen anderen eben so wohlbekannten und verdienten
Staatsmann von entgegengesetzten Gesinnungen, nämlich den Freiherrn von
Wangenheim, den Würtembergischen Exminister. Dieser, welcher als genauer
Freund des Rückert'schen Hauses beständig in diesem aus- und einging, ver¬
theidigte damals mit aller der jugendlichen sprudelnden Lebhaftigkeit, welche
ihm bis in sein hohes Alter eigen blieb, die großdeutsche Theorie. Sein Plan
für das deutsche Reich war die Trias, worunter er eine gleichschwebende con-
stitutionelle Einigung von Preußen, Oesterreich und einem Bunde der kleineren
Staaten zu einem organischen Ganzen verstand. Es erschienen freilich dem
Vater Rückert nicht minder, als dem Sohne, die praktischen und handgreif¬
lichen Gründe des schweigsamen Stockmar für eine preußische Hegemonie in
Deutschland immer viel einleuchtender, als die idealen und schwärmerischen
des beredten und enthusiastischen Wangenheim für seine ziemlich aussichtslose


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[0214] also die damals sogenannte kleindeutsche oder erbkaiserliche Partei, aus welcher später die der Nationalliberalen hervorgewachsen ist. Um sich besser in den Zeitumständen, zu orientiren, reiste er sofort nach Berlin auf einige Tage, und sodann nach Frankfurt, wo er mehrere Monate zubrachte, um den Gang der Verhandlungen in der Nationalversammlung in der Nähe zu beobachten. Hier traf er zusammen mit Michelsen, welcher als Abgeordneter den Schleswig- Holsteinschen Kreis Hadersleben vertrat, so wie auch mit seinem väterlichen Freunde, dem Freiherrn von Stockmar, diesem in aller Stille so bewunde¬ rungswürdig fein und wohlthätig agirenden Gehülfen und Beistand von Prinz Albert, über dessen einflußreiche Thätigkeit wir durch die interessanten Denk¬ würdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn von Stockmar, zusammengestellt von seinem Sohne Ernst von Stockmar (Braunschweig 1872) genauer unter¬ richtet sind. Weil Stockmar einer der genauesten Freunde seines Vaters war, so hatte Rückert hierdurch das Glück, Blicke in manche politische Vorgänge und Verbindungen werfen zu dürfen, welche den Augen gewöhnlicher Menschen in unzugänglichem Dunkel verborgen lagen. Auch hat er es immer bekannt, daß er diesem seinem väterlichen Freunde, welchen er seit lange von Koburg her kannte, die Grundlage und Richtung seiner politischen Bildung verdankte. Freiherr von Slockmar stand aber ganz entschieden auf Seiten der klein¬ deutschen Politik, und so blieb es nicht aus, daß Rückert in seinen Ansichten über die Nothwendigkett von Preußens Hegemonie in Deutschland nur noch mehr gestärkt und befestigt von Frankfurt zurückkehrte. Uebrigens war es keinesweges etwa bloß aus Einfluß des väterlichen Hauses und seiner be¬ freundeten Staatsmänner, daß gerade Stockmar's Ansichten so gewaltig bei ihm zündeten. Denn sobald er in jener Zeit nur das elterliche Haus in Neuses betrat, wo der Vater Rückert einer bet seiner Berufung nach Berlin eingegangenen Bedingung gemäß regelmäßig den Sommer zubrachte, so ver¬ fehlte er dort sicher nicht einen anderen eben so wohlbekannten und verdienten Staatsmann von entgegengesetzten Gesinnungen, nämlich den Freiherrn von Wangenheim, den Würtembergischen Exminister. Dieser, welcher als genauer Freund des Rückert'schen Hauses beständig in diesem aus- und einging, ver¬ theidigte damals mit aller der jugendlichen sprudelnden Lebhaftigkeit, welche ihm bis in sein hohes Alter eigen blieb, die großdeutsche Theorie. Sein Plan für das deutsche Reich war die Trias, worunter er eine gleichschwebende con- stitutionelle Einigung von Preußen, Oesterreich und einem Bunde der kleineren Staaten zu einem organischen Ganzen verstand. Es erschienen freilich dem Vater Rückert nicht minder, als dem Sohne, die praktischen und handgreif¬ lichen Gründe des schweigsamen Stockmar für eine preußische Hegemonie in Deutschland immer viel einleuchtender, als die idealen und schwärmerischen des beredten und enthusiastischen Wangenheim für seine ziemlich aussichtslose

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/214>, abgerufen am 27.09.2024.