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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Im Lrinnerung an Heinrich Mckert.

Zu früh für die Wissenschaft, wie für das Leben, ist am 11. September
des vergangenen Jahres in Heinrich Rückert, dem Breslauer Professor der
deutschen Philologie und Literaturgeschichte, ein bedeutender Mann von uns
geschieden, welcher zugleich einer der ältesten und treuesten Mitarbeiter
der "Grenzboten", und ein standhafter Anhänger und Vertheidiger der
von ihnen vertretenen patriotischen Grundsätze war. Mitten in seiner un¬
ermüdlich thätigen Laufbahn hat ihn der Tod ereilt. Noch im vergangenen
Frühjahr, ein halbes Jahr vor seinem Tode, erschien die letzte Frucht seiner
schriftstellerischen Arbeit, seine Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache,
^s ist seine Arbeitskraft um so bewunderungswürdiger, je mehr er schon seit
Jahren mit störenden Körperleiden fortwährend zu kämpfen hatte.


Wortes ereaviur tortibus et bonis:

Dieser Horatianische Spruch trifft bei ihm zu. Er theilte diese schöpfe¬
rische Arbeitskraft, diese unerschöpfliche Lebendigkeit und Fülle zuströmender
Gedanken mit seinem Vater, dem Dichter Friedrich Rückert, nur daß seine
Gedankenströme nicht aus dichterischen, sondern aus geschichtlichen Quellen
sich ergossen. Er wurde dabei unterstützt durch ein auf dem treuesten Ge¬
dächtnisse beruhendes fast universelles Wissen, vermöge dessen er schon in frühen
wahren gern von seinen nahen Freunden als ein unschätzbares lebendiges
Eonversationslexicon benutzt wurde. Obgleich die dichterischen Arbeiten Fried¬
lich Rückert's.und die geschichtlichen Heinrich Rückert's verschieden genug an
Charakter sind, so ist doch von der anderen Seite ein gewisser Zusammenhang
beider unverkennbar. Nicht nur daß der Sohn seine sprachlichen Studien in
Betreff der Entwickelung und Gestaltung der germanischen Sprachstämme
ganz unter der Anleitung seines Vaters gemacht hatte: auch seine großartige
Ansicht von der Gesammtentwickelung der Menschheit in der Weltgeschichte
und der Stellung des deutschen Volkes innerhalb dieser Entwickelung ist der¬
jenigen sehr ähnlich, welche die auf eine Weltliteratur hinzielenden dichterischen
Arbeiten seines Vaters beseelte, 'und welche derselbe am deutlichsten in einem


Grenzboten I. 187". 26
Im Lrinnerung an Heinrich Mckert.

Zu früh für die Wissenschaft, wie für das Leben, ist am 11. September
des vergangenen Jahres in Heinrich Rückert, dem Breslauer Professor der
deutschen Philologie und Literaturgeschichte, ein bedeutender Mann von uns
geschieden, welcher zugleich einer der ältesten und treuesten Mitarbeiter
der „Grenzboten", und ein standhafter Anhänger und Vertheidiger der
von ihnen vertretenen patriotischen Grundsätze war. Mitten in seiner un¬
ermüdlich thätigen Laufbahn hat ihn der Tod ereilt. Noch im vergangenen
Frühjahr, ein halbes Jahr vor seinem Tode, erschien die letzte Frucht seiner
schriftstellerischen Arbeit, seine Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache,
^s ist seine Arbeitskraft um so bewunderungswürdiger, je mehr er schon seit
Jahren mit störenden Körperleiden fortwährend zu kämpfen hatte.


Wortes ereaviur tortibus et bonis:

Dieser Horatianische Spruch trifft bei ihm zu. Er theilte diese schöpfe¬
rische Arbeitskraft, diese unerschöpfliche Lebendigkeit und Fülle zuströmender
Gedanken mit seinem Vater, dem Dichter Friedrich Rückert, nur daß seine
Gedankenströme nicht aus dichterischen, sondern aus geschichtlichen Quellen
sich ergossen. Er wurde dabei unterstützt durch ein auf dem treuesten Ge¬
dächtnisse beruhendes fast universelles Wissen, vermöge dessen er schon in frühen
wahren gern von seinen nahen Freunden als ein unschätzbares lebendiges
Eonversationslexicon benutzt wurde. Obgleich die dichterischen Arbeiten Fried¬
lich Rückert's.und die geschichtlichen Heinrich Rückert's verschieden genug an
Charakter sind, so ist doch von der anderen Seite ein gewisser Zusammenhang
beider unverkennbar. Nicht nur daß der Sohn seine sprachlichen Studien in
Betreff der Entwickelung und Gestaltung der germanischen Sprachstämme
ganz unter der Anleitung seines Vaters gemacht hatte: auch seine großartige
Ansicht von der Gesammtentwickelung der Menschheit in der Weltgeschichte
und der Stellung des deutschen Volkes innerhalb dieser Entwickelung ist der¬
jenigen sehr ähnlich, welche die auf eine Weltliteratur hinzielenden dichterischen
Arbeiten seines Vaters beseelte, 'und welche derselbe am deutlichsten in einem


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[0209] Im Lrinnerung an Heinrich Mckert. Zu früh für die Wissenschaft, wie für das Leben, ist am 11. September des vergangenen Jahres in Heinrich Rückert, dem Breslauer Professor der deutschen Philologie und Literaturgeschichte, ein bedeutender Mann von uns geschieden, welcher zugleich einer der ältesten und treuesten Mitarbeiter der „Grenzboten", und ein standhafter Anhänger und Vertheidiger der von ihnen vertretenen patriotischen Grundsätze war. Mitten in seiner un¬ ermüdlich thätigen Laufbahn hat ihn der Tod ereilt. Noch im vergangenen Frühjahr, ein halbes Jahr vor seinem Tode, erschien die letzte Frucht seiner schriftstellerischen Arbeit, seine Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache, ^s ist seine Arbeitskraft um so bewunderungswürdiger, je mehr er schon seit Jahren mit störenden Körperleiden fortwährend zu kämpfen hatte. Wortes ereaviur tortibus et bonis: Dieser Horatianische Spruch trifft bei ihm zu. Er theilte diese schöpfe¬ rische Arbeitskraft, diese unerschöpfliche Lebendigkeit und Fülle zuströmender Gedanken mit seinem Vater, dem Dichter Friedrich Rückert, nur daß seine Gedankenströme nicht aus dichterischen, sondern aus geschichtlichen Quellen sich ergossen. Er wurde dabei unterstützt durch ein auf dem treuesten Ge¬ dächtnisse beruhendes fast universelles Wissen, vermöge dessen er schon in frühen wahren gern von seinen nahen Freunden als ein unschätzbares lebendiges Eonversationslexicon benutzt wurde. Obgleich die dichterischen Arbeiten Fried¬ lich Rückert's.und die geschichtlichen Heinrich Rückert's verschieden genug an Charakter sind, so ist doch von der anderen Seite ein gewisser Zusammenhang beider unverkennbar. Nicht nur daß der Sohn seine sprachlichen Studien in Betreff der Entwickelung und Gestaltung der germanischen Sprachstämme ganz unter der Anleitung seines Vaters gemacht hatte: auch seine großartige Ansicht von der Gesammtentwickelung der Menschheit in der Weltgeschichte und der Stellung des deutschen Volkes innerhalb dieser Entwickelung ist der¬ jenigen sehr ähnlich, welche die auf eine Weltliteratur hinzielenden dichterischen Arbeiten seines Vaters beseelte, 'und welche derselbe am deutlichsten in einem Grenzboten I. 187«. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/209>, abgerufen am 22.07.2024.