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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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besondere, von den Kreisausschüssen zu wählende Landarmenbehörden besorgt
werden soll. Ein gemischtes System wird damit beabsichtigt, das mit den
Grundsätzen der Verwaltungsgesetzgebung von 1873 schwerlich im Einklange
steht. Diese Gesetzgebung ruht auf der strengen Sonderung der höheren und
niederen Verwaltung, sie beruht auf der Theilung der Verwaltungsbefugnifse
zwischen der Unter- und Mittelinstanz. Der sächsische Gesetzverfasser will da¬
gegen das Landarmenwesen den beiden Verwaltungen zusammen aufbürden,
das Wechselverhältniß von Recht und Pflicht, worauf die Verwaltungsein¬
richtungen der Neuzeit gegründet, soll aufhören. Welchen Eindruck müßte es
aber doch machen, die Landarmcnlast, wäre sie nun groß oder klein, den Be¬
zirken durch -- Kreisausschußbeschluß auflegen zu sehen? oder daß die Land¬
armenbehörden die Beiträge der Bezirke verausgabten, ohne ihnen darüber Re¬
chenschaft abstatten zu müssen? Die vorgeschlagene Regelung deS sächsischen
Landarmenwesens trägt das Wesen des Nothbehelfs an sich, während ein
solcher Nothbehelf nichts weniger als geboten erscheint. Warum den Bezir¬
ken nicht auch die Landarmenverwaltung übertragen, da sie doch die Land¬
armenlast übernehmen sollen? warum die Bezirke nicht einfach ohne Weiteres
und unmittelbar zu Landarmenverbänden erklären? Der sächsische Entwurf ge¬
steht selbst zu, daß die Landarmenangelegenheiten eine größere Individuali-
sirung verlangen, als ihnen gegenwärtig, wo der Staat Landarmenverband,
zu Theil wird.

Zu große Individualisirung wäre von den Bezirksorganen nicht zu be¬
sorgen. Ihrem ganzen Geschäftskreise nach eignen sich diese Organe, die
Amtshauptmannschaften, vorzüglich zur Besorgung der Landarmenangelegen¬
heiten. Welcher Art sollte überhaupt die Zusammensetzung der Landarmen¬
behörde sein, die der Entwurf in Aussicht nehmen will? Schwebt da etwa
eine provinzliche Entwickelung der Kreise vor, wie sie dem Gesetzgeber von
1873 wohl nicht in den Sinn kam? Oder hätte dem Gesetzgeber die Kreise
nicht doch bloß zu Regierungsbezirken bestimmen wollen? Diese Frage muß
sorgfältig geprüft werden, ihre Beantwortung entscheidet voraussichtlich über
die Regelung des sächsischen Landarmenwesens. Selbst wenn die Frage zu
bejahen wäre, ergiebt sich daraus nicht schon nothwendig die Subsistenz des
in dem sächsischen Entwürfe vorgeschlagenen Systems. Der eigentliche staats¬
männische Griff ist bei Ueberführung der sächsischen Bezirksarmenvereine in
das Verwaltungssystem von 1873 zu thun. Der Entwurf spricht von Kreis¬
anstalten, die es auch schon giebt. Weist die Gesammtentwickelung des höhe¬
ren Armenwesens in Sachsen aber nicht auf Bezirksanstalten, allenfalls auf
gemeinsame Anstalten von Bezirken hin? In beiden verbinden sich Bezirke
("Kreise") mit bestem Erfolg zur Schaffung gemeinschaftlicher Anstalten. Die
Verwaltung solcher Anstalten bietet auch keine besondern Schwierigkeiten, ver-


besondere, von den Kreisausschüssen zu wählende Landarmenbehörden besorgt
werden soll. Ein gemischtes System wird damit beabsichtigt, das mit den
Grundsätzen der Verwaltungsgesetzgebung von 1873 schwerlich im Einklange
steht. Diese Gesetzgebung ruht auf der strengen Sonderung der höheren und
niederen Verwaltung, sie beruht auf der Theilung der Verwaltungsbefugnifse
zwischen der Unter- und Mittelinstanz. Der sächsische Gesetzverfasser will da¬
gegen das Landarmenwesen den beiden Verwaltungen zusammen aufbürden,
das Wechselverhältniß von Recht und Pflicht, worauf die Verwaltungsein¬
richtungen der Neuzeit gegründet, soll aufhören. Welchen Eindruck müßte es
aber doch machen, die Landarmcnlast, wäre sie nun groß oder klein, den Be¬
zirken durch — Kreisausschußbeschluß auflegen zu sehen? oder daß die Land¬
armenbehörden die Beiträge der Bezirke verausgabten, ohne ihnen darüber Re¬
chenschaft abstatten zu müssen? Die vorgeschlagene Regelung deS sächsischen
Landarmenwesens trägt das Wesen des Nothbehelfs an sich, während ein
solcher Nothbehelf nichts weniger als geboten erscheint. Warum den Bezir¬
ken nicht auch die Landarmenverwaltung übertragen, da sie doch die Land¬
armenlast übernehmen sollen? warum die Bezirke nicht einfach ohne Weiteres
und unmittelbar zu Landarmenverbänden erklären? Der sächsische Entwurf ge¬
steht selbst zu, daß die Landarmenangelegenheiten eine größere Individuali-
sirung verlangen, als ihnen gegenwärtig, wo der Staat Landarmenverband,
zu Theil wird.

Zu große Individualisirung wäre von den Bezirksorganen nicht zu be¬
sorgen. Ihrem ganzen Geschäftskreise nach eignen sich diese Organe, die
Amtshauptmannschaften, vorzüglich zur Besorgung der Landarmenangelegen¬
heiten. Welcher Art sollte überhaupt die Zusammensetzung der Landarmen¬
behörde sein, die der Entwurf in Aussicht nehmen will? Schwebt da etwa
eine provinzliche Entwickelung der Kreise vor, wie sie dem Gesetzgeber von
1873 wohl nicht in den Sinn kam? Oder hätte dem Gesetzgeber die Kreise
nicht doch bloß zu Regierungsbezirken bestimmen wollen? Diese Frage muß
sorgfältig geprüft werden, ihre Beantwortung entscheidet voraussichtlich über
die Regelung des sächsischen Landarmenwesens. Selbst wenn die Frage zu
bejahen wäre, ergiebt sich daraus nicht schon nothwendig die Subsistenz des
in dem sächsischen Entwürfe vorgeschlagenen Systems. Der eigentliche staats¬
männische Griff ist bei Ueberführung der sächsischen Bezirksarmenvereine in
das Verwaltungssystem von 1873 zu thun. Der Entwurf spricht von Kreis¬
anstalten, die es auch schon giebt. Weist die Gesammtentwickelung des höhe¬
ren Armenwesens in Sachsen aber nicht auf Bezirksanstalten, allenfalls auf
gemeinsame Anstalten von Bezirken hin? In beiden verbinden sich Bezirke
(„Kreise") mit bestem Erfolg zur Schaffung gemeinschaftlicher Anstalten. Die
Verwaltung solcher Anstalten bietet auch keine besondern Schwierigkeiten, ver-


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[0206] besondere, von den Kreisausschüssen zu wählende Landarmenbehörden besorgt werden soll. Ein gemischtes System wird damit beabsichtigt, das mit den Grundsätzen der Verwaltungsgesetzgebung von 1873 schwerlich im Einklange steht. Diese Gesetzgebung ruht auf der strengen Sonderung der höheren und niederen Verwaltung, sie beruht auf der Theilung der Verwaltungsbefugnifse zwischen der Unter- und Mittelinstanz. Der sächsische Gesetzverfasser will da¬ gegen das Landarmenwesen den beiden Verwaltungen zusammen aufbürden, das Wechselverhältniß von Recht und Pflicht, worauf die Verwaltungsein¬ richtungen der Neuzeit gegründet, soll aufhören. Welchen Eindruck müßte es aber doch machen, die Landarmcnlast, wäre sie nun groß oder klein, den Be¬ zirken durch — Kreisausschußbeschluß auflegen zu sehen? oder daß die Land¬ armenbehörden die Beiträge der Bezirke verausgabten, ohne ihnen darüber Re¬ chenschaft abstatten zu müssen? Die vorgeschlagene Regelung deS sächsischen Landarmenwesens trägt das Wesen des Nothbehelfs an sich, während ein solcher Nothbehelf nichts weniger als geboten erscheint. Warum den Bezir¬ ken nicht auch die Landarmenverwaltung übertragen, da sie doch die Land¬ armenlast übernehmen sollen? warum die Bezirke nicht einfach ohne Weiteres und unmittelbar zu Landarmenverbänden erklären? Der sächsische Entwurf ge¬ steht selbst zu, daß die Landarmenangelegenheiten eine größere Individuali- sirung verlangen, als ihnen gegenwärtig, wo der Staat Landarmenverband, zu Theil wird. Zu große Individualisirung wäre von den Bezirksorganen nicht zu be¬ sorgen. Ihrem ganzen Geschäftskreise nach eignen sich diese Organe, die Amtshauptmannschaften, vorzüglich zur Besorgung der Landarmenangelegen¬ heiten. Welcher Art sollte überhaupt die Zusammensetzung der Landarmen¬ behörde sein, die der Entwurf in Aussicht nehmen will? Schwebt da etwa eine provinzliche Entwickelung der Kreise vor, wie sie dem Gesetzgeber von 1873 wohl nicht in den Sinn kam? Oder hätte dem Gesetzgeber die Kreise nicht doch bloß zu Regierungsbezirken bestimmen wollen? Diese Frage muß sorgfältig geprüft werden, ihre Beantwortung entscheidet voraussichtlich über die Regelung des sächsischen Landarmenwesens. Selbst wenn die Frage zu bejahen wäre, ergiebt sich daraus nicht schon nothwendig die Subsistenz des in dem sächsischen Entwürfe vorgeschlagenen Systems. Der eigentliche staats¬ männische Griff ist bei Ueberführung der sächsischen Bezirksarmenvereine in das Verwaltungssystem von 1873 zu thun. Der Entwurf spricht von Kreis¬ anstalten, die es auch schon giebt. Weist die Gesammtentwickelung des höhe¬ ren Armenwesens in Sachsen aber nicht auf Bezirksanstalten, allenfalls auf gemeinsame Anstalten von Bezirken hin? In beiden verbinden sich Bezirke („Kreise") mit bestem Erfolg zur Schaffung gemeinschaftlicher Anstalten. Die Verwaltung solcher Anstalten bietet auch keine besondern Schwierigkeiten, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/206>, abgerufen am 22.07.2024.