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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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geführten noch hinzu, daß § 4 der Generalsynodalordnung ausspricht: "Die
Generalsynode hat u. s. w. der Landeskirche auf dem Grund des evange¬
lischen Bekenntnisses zu dienen;" und, daß der Versuch mißlang, diese
Worte auf der Generalsynode zu verändern in: "der Landeskirche aus dem
Grund der evangelischen Bekenntnisse zu dienen." Singular und
Plural verhalten sich hier wie Geist und Buchstabe, und die Generalsynode
hat sich, wie zaghaft dies vielerseits geschehen sein mag, für den Geist
erklärt.

Will man nun sagen, daß der Einfluß der Geistlichen aus den Synoden,
daß die Ausbildung und Geistesrichtung der jetzigen Generation der evange¬
lischen Geistlichkeit gleichwohl aus dem kirchlichen Gesetzgebungsrecht wenigstens
für eine Reihe von Jahren eine gefährliche Waffe in den Händen einer höchst
einseitigen Richtung mache, so ist darauf folgendes zu erwidern. Keine
Generalsynode wird wagen oder für rathsam halten, den Zwiespalt der Kirche
mit der nationalen Geistesbildung zu erweitern. Diese Erweiterung konnte
in der Anonymität und Stille des consistorialen Kirchenregiments ausgeführt
werden, sie kann nicht fortgesetzt werden durch ein mit voller Oeffentlichkeit
und allseitiger Verantwortlichkeit berathendes Organ. Ueberdies ist die Zu¬
stimmung zu solchen Beschlüssen von dem landesherrlichen Kirchenregiment
nach menschlicher Voraussicht aus lange Zeit nicht mehr zu erwarten. Das
kirchliche Gesetzgebungsrecht der neuen Verfassung kann also durch den Wider¬
stand der in den letzten Jahrzehnten ausgebildeten Generation der Geistlichen
wohl zu schweren Unterlassungen führen, aber schwerlich zu positiven Schritten
gegen den Geist und die Wahrheit. Dies möge sich die nationalliberale
Partei im Abgeordnetenhaus vergegenwärtigen, ehe sie die Hand dazu bietet,
der Kirche die neue Verfassung zu verweigern oder zu verengen.

Der dritte Gegensatz auf der außerordentlichen Generalsynode betraf die
Competenz der Generalsynode gegenüber den Provinzialsynoden und den Ge¬
meinden. Wie schon bemerkt, war dieser Gegensatz nur eine andere Erschei¬
nung der zweiten. Es handelte sich um die Furcht vor dem kirchlichen
Gesetzgebungsrecht und sowohl die orthodoxe als die liberale Furcht griff zu
dem elenden deutschen Hausmittel des Partikularismus, auch Decentralisation
genannt. Wir verfolgen die Entwicklung dieses Gegensatzes auf der General¬
synode nicht näher. Allzu bedenkliche Erfolge hat der Partikularismus
erfreulicherweise nicht davon getragen. Einen einzigen, zwar unschädlichen,
aber traurig komischen Erfolg dieser Art wollen wir verzeichnen. §. 1 der
vorgelegten Synodalordnung lautete: Der Verband der Generalsynode erstreckt
sich auf die zur evangelischen Landeskirche vereinigten Provinzen der Monarchie.
Daraus hat man gemacht: Der Verband u. s. w. erstreckt sich auf die evan^


geführten noch hinzu, daß § 4 der Generalsynodalordnung ausspricht: „Die
Generalsynode hat u. s. w. der Landeskirche auf dem Grund des evange¬
lischen Bekenntnisses zu dienen;" und, daß der Versuch mißlang, diese
Worte auf der Generalsynode zu verändern in: „der Landeskirche aus dem
Grund der evangelischen Bekenntnisse zu dienen." Singular und
Plural verhalten sich hier wie Geist und Buchstabe, und die Generalsynode
hat sich, wie zaghaft dies vielerseits geschehen sein mag, für den Geist
erklärt.

Will man nun sagen, daß der Einfluß der Geistlichen aus den Synoden,
daß die Ausbildung und Geistesrichtung der jetzigen Generation der evange¬
lischen Geistlichkeit gleichwohl aus dem kirchlichen Gesetzgebungsrecht wenigstens
für eine Reihe von Jahren eine gefährliche Waffe in den Händen einer höchst
einseitigen Richtung mache, so ist darauf folgendes zu erwidern. Keine
Generalsynode wird wagen oder für rathsam halten, den Zwiespalt der Kirche
mit der nationalen Geistesbildung zu erweitern. Diese Erweiterung konnte
in der Anonymität und Stille des consistorialen Kirchenregiments ausgeführt
werden, sie kann nicht fortgesetzt werden durch ein mit voller Oeffentlichkeit
und allseitiger Verantwortlichkeit berathendes Organ. Ueberdies ist die Zu¬
stimmung zu solchen Beschlüssen von dem landesherrlichen Kirchenregiment
nach menschlicher Voraussicht aus lange Zeit nicht mehr zu erwarten. Das
kirchliche Gesetzgebungsrecht der neuen Verfassung kann also durch den Wider¬
stand der in den letzten Jahrzehnten ausgebildeten Generation der Geistlichen
wohl zu schweren Unterlassungen führen, aber schwerlich zu positiven Schritten
gegen den Geist und die Wahrheit. Dies möge sich die nationalliberale
Partei im Abgeordnetenhaus vergegenwärtigen, ehe sie die Hand dazu bietet,
der Kirche die neue Verfassung zu verweigern oder zu verengen.

Der dritte Gegensatz auf der außerordentlichen Generalsynode betraf die
Competenz der Generalsynode gegenüber den Provinzialsynoden und den Ge¬
meinden. Wie schon bemerkt, war dieser Gegensatz nur eine andere Erschei¬
nung der zweiten. Es handelte sich um die Furcht vor dem kirchlichen
Gesetzgebungsrecht und sowohl die orthodoxe als die liberale Furcht griff zu
dem elenden deutschen Hausmittel des Partikularismus, auch Decentralisation
genannt. Wir verfolgen die Entwicklung dieses Gegensatzes auf der General¬
synode nicht näher. Allzu bedenkliche Erfolge hat der Partikularismus
erfreulicherweise nicht davon getragen. Einen einzigen, zwar unschädlichen,
aber traurig komischen Erfolg dieser Art wollen wir verzeichnen. §. 1 der
vorgelegten Synodalordnung lautete: Der Verband der Generalsynode erstreckt
sich auf die zur evangelischen Landeskirche vereinigten Provinzen der Monarchie.
Daraus hat man gemacht: Der Verband u. s. w. erstreckt sich auf die evan^


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[0157] geführten noch hinzu, daß § 4 der Generalsynodalordnung ausspricht: „Die Generalsynode hat u. s. w. der Landeskirche auf dem Grund des evange¬ lischen Bekenntnisses zu dienen;" und, daß der Versuch mißlang, diese Worte auf der Generalsynode zu verändern in: „der Landeskirche aus dem Grund der evangelischen Bekenntnisse zu dienen." Singular und Plural verhalten sich hier wie Geist und Buchstabe, und die Generalsynode hat sich, wie zaghaft dies vielerseits geschehen sein mag, für den Geist erklärt. Will man nun sagen, daß der Einfluß der Geistlichen aus den Synoden, daß die Ausbildung und Geistesrichtung der jetzigen Generation der evange¬ lischen Geistlichkeit gleichwohl aus dem kirchlichen Gesetzgebungsrecht wenigstens für eine Reihe von Jahren eine gefährliche Waffe in den Händen einer höchst einseitigen Richtung mache, so ist darauf folgendes zu erwidern. Keine Generalsynode wird wagen oder für rathsam halten, den Zwiespalt der Kirche mit der nationalen Geistesbildung zu erweitern. Diese Erweiterung konnte in der Anonymität und Stille des consistorialen Kirchenregiments ausgeführt werden, sie kann nicht fortgesetzt werden durch ein mit voller Oeffentlichkeit und allseitiger Verantwortlichkeit berathendes Organ. Ueberdies ist die Zu¬ stimmung zu solchen Beschlüssen von dem landesherrlichen Kirchenregiment nach menschlicher Voraussicht aus lange Zeit nicht mehr zu erwarten. Das kirchliche Gesetzgebungsrecht der neuen Verfassung kann also durch den Wider¬ stand der in den letzten Jahrzehnten ausgebildeten Generation der Geistlichen wohl zu schweren Unterlassungen führen, aber schwerlich zu positiven Schritten gegen den Geist und die Wahrheit. Dies möge sich die nationalliberale Partei im Abgeordnetenhaus vergegenwärtigen, ehe sie die Hand dazu bietet, der Kirche die neue Verfassung zu verweigern oder zu verengen. Der dritte Gegensatz auf der außerordentlichen Generalsynode betraf die Competenz der Generalsynode gegenüber den Provinzialsynoden und den Ge¬ meinden. Wie schon bemerkt, war dieser Gegensatz nur eine andere Erschei¬ nung der zweiten. Es handelte sich um die Furcht vor dem kirchlichen Gesetzgebungsrecht und sowohl die orthodoxe als die liberale Furcht griff zu dem elenden deutschen Hausmittel des Partikularismus, auch Decentralisation genannt. Wir verfolgen die Entwicklung dieses Gegensatzes auf der General¬ synode nicht näher. Allzu bedenkliche Erfolge hat der Partikularismus erfreulicherweise nicht davon getragen. Einen einzigen, zwar unschädlichen, aber traurig komischen Erfolg dieser Art wollen wir verzeichnen. §. 1 der vorgelegten Synodalordnung lautete: Der Verband der Generalsynode erstreckt sich auf die zur evangelischen Landeskirche vereinigten Provinzen der Monarchie. Daraus hat man gemacht: Der Verband u. s. w. erstreckt sich auf die evan^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/157>, abgerufen am 02.07.2024.