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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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laut Beschluß des Kölner hohen Rathes petitioniren wollen, sondern das be¬
züglich der Geschlechter, wo also Buben und Mädchen auf derselben Schulbank
sitzen sollen, ist den Herren ein Dorn im Auge.

So meinte denn auch der gute Pfarrer von Schönau bei Schlettstadt, in
einigen Advents-Predigten vorigen Jahres, daß mit diesem gemischten System
^r Lasterteufel der Unzucht seinen Einzug in die Schulen halten müsse, und
daß man d. h. die Regierung, welche verlange, daß auch die kleinen Mädchen
von Lehrern unterrichtet werden sollen, die Kinder zu "Marketenderinnen,
Gassendirnen und das blsus" machen wolle. Das Gericht war leider anderer
Meinung und fand in diesen und ähnlichen leichtfertigen Redensarten auf
der Kanzel -- im Sinne des Dorfpfarrers allerdings recht hausbackenen und
den Bauern allein verständlichen Wendungen, -- einen ungerechtfertigten An¬
griff gegen Anordnungen der Obrigkeit. Der geistliche Herr wurde demgemäß
jüngst für einige Wochen auf die Festung geschickt, -- bedauerlich genug für
den armen, alten Mann, was seine Person betrifft, aber -- exsmM äoeent,
zumal wenn, wie dies notorisch ist. durch Predigten ähnlichen Kalibers die
Achtung der Kinder vor ihren Lehrern gründlich verdorben wird. Und das
zu verhüten ist und bleibt für den Staat die Hauptsache, soll sonst die
^nterrichts 5"- reform eine ersprießliche sein.




Literatur.

Geschichte Jesu. Nach akademischen Vorlesungen von Dr. Karl Hase.
Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1876.

Hase's kleines Lehrbuch über das Leben Jesu ist bekannt, es hat in dem
Kroßen Proceß um das Leben des Stifters des Christenthums eine nicht un-
wichtige Rolle gespielt. Die hier gebotenen Vorlesungen enthalten die dort
niedergelegten Gedanken und Anschauungen in breiterer Entwickelung und
t'eferer Begründung. Eine sehr ausführliche, 92 Seiten lange Einleitung
verbreitet sich zunächst über die Quellen, aus denen wir die Kunde vom
Leben Jesu zu schöpfen haben, die Paulinischen Briefe und Tacitus, die
Synoptiker und das Johannesevangelium, dann über die Sagen, die von
dem apokryphischen Evangelium vorgetragen werden, über angebliche Schrift¬
stücke Jesu, hierhergehörige Notizen in den Kirchenvätern' und im Koran,
^cis alles reichlich und übersichtlich abgehandelt wird. Ein zweites Kapitel
spricht die Form, den Begriff der Biographie, Zeit- und Sachordnung, Ge,


laut Beschluß des Kölner hohen Rathes petitioniren wollen, sondern das be¬
züglich der Geschlechter, wo also Buben und Mädchen auf derselben Schulbank
sitzen sollen, ist den Herren ein Dorn im Auge.

So meinte denn auch der gute Pfarrer von Schönau bei Schlettstadt, in
einigen Advents-Predigten vorigen Jahres, daß mit diesem gemischten System
^r Lasterteufel der Unzucht seinen Einzug in die Schulen halten müsse, und
daß man d. h. die Regierung, welche verlange, daß auch die kleinen Mädchen
von Lehrern unterrichtet werden sollen, die Kinder zu „Marketenderinnen,
Gassendirnen und das blsus« machen wolle. Das Gericht war leider anderer
Meinung und fand in diesen und ähnlichen leichtfertigen Redensarten auf
der Kanzel — im Sinne des Dorfpfarrers allerdings recht hausbackenen und
den Bauern allein verständlichen Wendungen, — einen ungerechtfertigten An¬
griff gegen Anordnungen der Obrigkeit. Der geistliche Herr wurde demgemäß
jüngst für einige Wochen auf die Festung geschickt, — bedauerlich genug für
den armen, alten Mann, was seine Person betrifft, aber — exsmM äoeent,
zumal wenn, wie dies notorisch ist. durch Predigten ähnlichen Kalibers die
Achtung der Kinder vor ihren Lehrern gründlich verdorben wird. Und das
zu verhüten ist und bleibt für den Staat die Hauptsache, soll sonst die
^nterrichts 5»- reform eine ersprießliche sein.




Literatur.

Geschichte Jesu. Nach akademischen Vorlesungen von Dr. Karl Hase.
Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1876.

Hase's kleines Lehrbuch über das Leben Jesu ist bekannt, es hat in dem
Kroßen Proceß um das Leben des Stifters des Christenthums eine nicht un-
wichtige Rolle gespielt. Die hier gebotenen Vorlesungen enthalten die dort
niedergelegten Gedanken und Anschauungen in breiterer Entwickelung und
t'eferer Begründung. Eine sehr ausführliche, 92 Seiten lange Einleitung
verbreitet sich zunächst über die Quellen, aus denen wir die Kunde vom
Leben Jesu zu schöpfen haben, die Paulinischen Briefe und Tacitus, die
Synoptiker und das Johannesevangelium, dann über die Sagen, die von
dem apokryphischen Evangelium vorgetragen werden, über angebliche Schrift¬
stücke Jesu, hierhergehörige Notizen in den Kirchenvätern' und im Koran,
^cis alles reichlich und übersichtlich abgehandelt wird. Ein zweites Kapitel
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[0125] laut Beschluß des Kölner hohen Rathes petitioniren wollen, sondern das be¬ züglich der Geschlechter, wo also Buben und Mädchen auf derselben Schulbank sitzen sollen, ist den Herren ein Dorn im Auge. So meinte denn auch der gute Pfarrer von Schönau bei Schlettstadt, in einigen Advents-Predigten vorigen Jahres, daß mit diesem gemischten System ^r Lasterteufel der Unzucht seinen Einzug in die Schulen halten müsse, und daß man d. h. die Regierung, welche verlange, daß auch die kleinen Mädchen von Lehrern unterrichtet werden sollen, die Kinder zu „Marketenderinnen, Gassendirnen und das blsus« machen wolle. Das Gericht war leider anderer Meinung und fand in diesen und ähnlichen leichtfertigen Redensarten auf der Kanzel — im Sinne des Dorfpfarrers allerdings recht hausbackenen und den Bauern allein verständlichen Wendungen, — einen ungerechtfertigten An¬ griff gegen Anordnungen der Obrigkeit. Der geistliche Herr wurde demgemäß jüngst für einige Wochen auf die Festung geschickt, — bedauerlich genug für den armen, alten Mann, was seine Person betrifft, aber — exsmM äoeent, zumal wenn, wie dies notorisch ist. durch Predigten ähnlichen Kalibers die Achtung der Kinder vor ihren Lehrern gründlich verdorben wird. Und das zu verhüten ist und bleibt für den Staat die Hauptsache, soll sonst die ^nterrichts 5»- reform eine ersprießliche sein. Literatur. Geschichte Jesu. Nach akademischen Vorlesungen von Dr. Karl Hase. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1876. Hase's kleines Lehrbuch über das Leben Jesu ist bekannt, es hat in dem Kroßen Proceß um das Leben des Stifters des Christenthums eine nicht un- wichtige Rolle gespielt. Die hier gebotenen Vorlesungen enthalten die dort niedergelegten Gedanken und Anschauungen in breiterer Entwickelung und t'eferer Begründung. Eine sehr ausführliche, 92 Seiten lange Einleitung verbreitet sich zunächst über die Quellen, aus denen wir die Kunde vom Leben Jesu zu schöpfen haben, die Paulinischen Briefe und Tacitus, die Synoptiker und das Johannesevangelium, dann über die Sagen, die von dem apokryphischen Evangelium vorgetragen werden, über angebliche Schrift¬ stücke Jesu, hierhergehörige Notizen in den Kirchenvätern' und im Koran, ^cis alles reichlich und übersichtlich abgehandelt wird. Ein zweites Kapitel spricht die Form, den Begriff der Biographie, Zeit- und Sachordnung, Ge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/125>, abgerufen am 26.07.2024.