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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Straßburger Pfahlbürger meinen, es sei doch jetzt, nachdem sie sich so lange
ruhig verhalten und gut aufgeführt hätten, endlich einmal an der Zeit, die
Hauptstadt Elsaß-Lothringens wieder unter das "gemeine Recht" zu stellen
und dem Bürgermeisterei-Verwalter Back, dem übrigens alles Lob gezollt
wird, seine verantwortliche Stellung durch die Creirung eines neuen Muni-
zipalraths in etwas zu erleichtern. Die Regierung scheint jedoch nach einer
jüngst in der offiziellen "Straßburger Zeitung" veröffentlichten Note in dieser
Frage etwas andrer Ansicht zu sein.

In Colmar ist, wie Ihre Leser durch die Zeitungen schon wissen
werden, am Weihnachtsabend der Erste Präsident des Appellationsgerichts-
hoses, Herr Leuthaus, gestorben. Die Elsässischen-Blätter, die diesem
höchsten Justizbeamten des Reichslandes einen Nachruf gewidmet haben, sind
einig in dem Lobe der Herzensgüte und Leutseligkett desselben, womit er es
verstanden, in der kurzen Zeit seiner Amtsführung sich auch unter den Ein¬
geborenen manchen Verehrer zu erwerben. Ueber die Person seines Nachfolgers
verlautet einstweilen noch nichts Bestimmtes.

Sonst scheint man im Oberelsaß in neuester Zeit den sog. "Kanzel-
Paragraphen" des Deutschen Ser. G. B. etwas häufiger wie bisher in Anwen¬
dung bringen zu wollen. Die Herren Pfarrer auf dem Lande und in den
kleinen Städten können sich eben, wie ihre College" im Reichstage, noch
immer nicht ganz mit der neuen Ordnung der Dinge in Schule und Kirche
versöhnen. Das straffe weltliche Regiment, das in so vielen Punkten ihrem
geistlichen Hocuspoeus einen Strich durch die Rechnung macht, ist ihnen
selbstverständlich etwas sehr eontrs coeur. Da war es früher doch schöner,
hörte ich schon manch' Einen sagen. Allerdings, die Madonnen-Erscheinungen
auf blühenden Pflaumenbäumen und über morschen Scheunenthoren haben
Gott sei Dank -- aufgehört. Die zarten heiligen Jungfrauen haben, wie
es scheint, vor der preußischen Pickelhaube die Flucht ergriffen auf Nimmer¬
wiedersehen. Hoffentlich werden sie uns auch in diesem Jahre mit ihren
unberufenen Erscheinungen gnädiglich verschonen. Vielleicht bietet sich jenseits
der Vogesen augenblicklich ein ergiebigeres Feld für ihre wundersame Thätig¬
keit. Wir wünschen ihnen alles Glück dazu und recht viele Glaubenser-
weckungen und Krankenheilungen.

Auch die frommen Schulbrüder (tröres iMoiÄUtim) und ihre Genossen
tewillim Zeneris mußten bekanntlich im Lause des verflossenen Jahres außer
Landes ziehen, oder sind eben im Begriff, ihr Bündel zu schnüren. Aber
gerade dieser gezwungene Auszug aus dem gelobten Lande will ihren geist¬
lichen Herren Brüdern in der Soutane noch immer nicht sonderlich gefallen.
Vornehmlich aber das sog. "gemischte System" -- nicht dasjenige in Bezug
auf die Confession, wogegen unsere Rheinischen Ultramontanen neuerdings


Straßburger Pfahlbürger meinen, es sei doch jetzt, nachdem sie sich so lange
ruhig verhalten und gut aufgeführt hätten, endlich einmal an der Zeit, die
Hauptstadt Elsaß-Lothringens wieder unter das „gemeine Recht" zu stellen
und dem Bürgermeisterei-Verwalter Back, dem übrigens alles Lob gezollt
wird, seine verantwortliche Stellung durch die Creirung eines neuen Muni-
zipalraths in etwas zu erleichtern. Die Regierung scheint jedoch nach einer
jüngst in der offiziellen „Straßburger Zeitung" veröffentlichten Note in dieser
Frage etwas andrer Ansicht zu sein.

In Colmar ist, wie Ihre Leser durch die Zeitungen schon wissen
werden, am Weihnachtsabend der Erste Präsident des Appellationsgerichts-
hoses, Herr Leuthaus, gestorben. Die Elsässischen-Blätter, die diesem
höchsten Justizbeamten des Reichslandes einen Nachruf gewidmet haben, sind
einig in dem Lobe der Herzensgüte und Leutseligkett desselben, womit er es
verstanden, in der kurzen Zeit seiner Amtsführung sich auch unter den Ein¬
geborenen manchen Verehrer zu erwerben. Ueber die Person seines Nachfolgers
verlautet einstweilen noch nichts Bestimmtes.

Sonst scheint man im Oberelsaß in neuester Zeit den sog. „Kanzel-
Paragraphen" des Deutschen Ser. G. B. etwas häufiger wie bisher in Anwen¬
dung bringen zu wollen. Die Herren Pfarrer auf dem Lande und in den
kleinen Städten können sich eben, wie ihre College» im Reichstage, noch
immer nicht ganz mit der neuen Ordnung der Dinge in Schule und Kirche
versöhnen. Das straffe weltliche Regiment, das in so vielen Punkten ihrem
geistlichen Hocuspoeus einen Strich durch die Rechnung macht, ist ihnen
selbstverständlich etwas sehr eontrs coeur. Da war es früher doch schöner,
hörte ich schon manch' Einen sagen. Allerdings, die Madonnen-Erscheinungen
auf blühenden Pflaumenbäumen und über morschen Scheunenthoren haben
Gott sei Dank — aufgehört. Die zarten heiligen Jungfrauen haben, wie
es scheint, vor der preußischen Pickelhaube die Flucht ergriffen auf Nimmer¬
wiedersehen. Hoffentlich werden sie uns auch in diesem Jahre mit ihren
unberufenen Erscheinungen gnädiglich verschonen. Vielleicht bietet sich jenseits
der Vogesen augenblicklich ein ergiebigeres Feld für ihre wundersame Thätig¬
keit. Wir wünschen ihnen alles Glück dazu und recht viele Glaubenser-
weckungen und Krankenheilungen.

Auch die frommen Schulbrüder (tröres iMoiÄUtim) und ihre Genossen
tewillim Zeneris mußten bekanntlich im Lause des verflossenen Jahres außer
Landes ziehen, oder sind eben im Begriff, ihr Bündel zu schnüren. Aber
gerade dieser gezwungene Auszug aus dem gelobten Lande will ihren geist¬
lichen Herren Brüdern in der Soutane noch immer nicht sonderlich gefallen.
Vornehmlich aber das sog. „gemischte System" — nicht dasjenige in Bezug
auf die Confession, wogegen unsere Rheinischen Ultramontanen neuerdings


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/124>, abgerufen am 25.07.2024.