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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Verlangen war ja vor 380 Jahren die Möglichkeit einer Verständigung der
alten Kirche mit den Reformatoren und protestantischen Fürsten noch weit
mehr gescheitert, als an den neuen Glaubenssätzen Luther's. Und in welcher
Weise hat sich dieser großartige Widerstand nun offenbart? Heute schon ist
aus den Kanzleien der Bischöfe die Weisung an Klerus und Laien ergangen,
sich dem Staatsgesetz zu fügen. Denn besser sei es immerhin, daß die An¬
hänger der Jesuiten in der Gemeinde mitwählen, als daß sie die Pfarrerwahl
ausschließlich den Ketzern überlassen, welche sich Alt- oder Staatskatholiken
nennen.

Wir sehen also auf allen Seiten die Phalanx der Gegner durchbrochen.
Der Staat hat eine Macht entfaltet, mit deren nachhaltigem Ernste auch
der trotzigste Römling nicht mehr zu scherzen ^wagt, und gegen welche die
ohnmächtigen Fluchreden, die dann und wann in Rom gehalten werden,
geradezu spaßhaft und kindisch erscheinen. Damit ist der Culturkampf natür¬
lich noch nicht beendet, die Gesetzgebungsarbeit gegen die römische Heer¬
macht kaum als abgeschlossen anzusehen. Aber der Ausgang des Kampfes
kann nun dem Blödester nicht mehr zweifelhaft sein. Und selbst wenn die
bisherige Gesetzgebung nur in ihrem dermaligen Bestände erhalten bleibt, ist
auch der Tag des glorreichen Endes des Culturkampfes mit Bestimmtheit
vorauszusehen. Er wird kommen, sobald das neue Geschlecht des katholischen
Clerus in deutscher statt in römischer Erziehung und Zucht herangewachsen
ist. Einen bedeutsamen Schritt zum Abschluß dieses Kampfes bildet aber
auch das mit dem neuen Jahre in Kraft tretende Civilehegesetz für das
deutsche Reich. Nur der Unverständige wird ja den Segen des Gesetzes etwa
in der muthmaßlichen Verringerung kirchlicher Trauungen erblicken wollen.
Aber wohin es führt, wenn die Vollziehung des wichtigsten bürgerlichen
Actes in die Hände der Hierarchie gelegt wird, mag uns die Entwickelung
des Volksgeistes in den kleinen schweizer Urcantonen lehren. Als die
kirchlichen Oberhirten von den Landsgemeinden in Uri, Schwyz und Unter-
walden vor dreihundert Jahren die Verkündigung der Beschlüsse des Triden-
tiner Conzils -- u. A. die obligatorische kirchliche Trauung -- verlangten,
erging die Antwort, man werde sich überlegen, ob diese Beschlüsse.gut seien.
Heute sind diese Cantone die Vororte des schweizerischen Ultramontanismus.
Von dem Moment an, wo das hierarchische Interesse nicht mehr über Schließung
und Lösung der Ehe, die confessionelle Erziehung der Kinder und die letzte
Ruhestätte der Todten zu befinden hat, wird eine rückläufige Bewegung gegen
die hierarchische Ausbeutung des Tridentinum beginnen, welche in ihrer schleu¬
nigen Gangart dem Jahrhundert der Eisenbahnen und Telegraphen ent¬
sprechen wird!

Andre Erwartungen, welche das verflossene Jahr für die Entwickelung


Verlangen war ja vor 380 Jahren die Möglichkeit einer Verständigung der
alten Kirche mit den Reformatoren und protestantischen Fürsten noch weit
mehr gescheitert, als an den neuen Glaubenssätzen Luther's. Und in welcher
Weise hat sich dieser großartige Widerstand nun offenbart? Heute schon ist
aus den Kanzleien der Bischöfe die Weisung an Klerus und Laien ergangen,
sich dem Staatsgesetz zu fügen. Denn besser sei es immerhin, daß die An¬
hänger der Jesuiten in der Gemeinde mitwählen, als daß sie die Pfarrerwahl
ausschließlich den Ketzern überlassen, welche sich Alt- oder Staatskatholiken
nennen.

Wir sehen also auf allen Seiten die Phalanx der Gegner durchbrochen.
Der Staat hat eine Macht entfaltet, mit deren nachhaltigem Ernste auch
der trotzigste Römling nicht mehr zu scherzen ^wagt, und gegen welche die
ohnmächtigen Fluchreden, die dann und wann in Rom gehalten werden,
geradezu spaßhaft und kindisch erscheinen. Damit ist der Culturkampf natür¬
lich noch nicht beendet, die Gesetzgebungsarbeit gegen die römische Heer¬
macht kaum als abgeschlossen anzusehen. Aber der Ausgang des Kampfes
kann nun dem Blödester nicht mehr zweifelhaft sein. Und selbst wenn die
bisherige Gesetzgebung nur in ihrem dermaligen Bestände erhalten bleibt, ist
auch der Tag des glorreichen Endes des Culturkampfes mit Bestimmtheit
vorauszusehen. Er wird kommen, sobald das neue Geschlecht des katholischen
Clerus in deutscher statt in römischer Erziehung und Zucht herangewachsen
ist. Einen bedeutsamen Schritt zum Abschluß dieses Kampfes bildet aber
auch das mit dem neuen Jahre in Kraft tretende Civilehegesetz für das
deutsche Reich. Nur der Unverständige wird ja den Segen des Gesetzes etwa
in der muthmaßlichen Verringerung kirchlicher Trauungen erblicken wollen.
Aber wohin es führt, wenn die Vollziehung des wichtigsten bürgerlichen
Actes in die Hände der Hierarchie gelegt wird, mag uns die Entwickelung
des Volksgeistes in den kleinen schweizer Urcantonen lehren. Als die
kirchlichen Oberhirten von den Landsgemeinden in Uri, Schwyz und Unter-
walden vor dreihundert Jahren die Verkündigung der Beschlüsse des Triden-
tiner Conzils — u. A. die obligatorische kirchliche Trauung — verlangten,
erging die Antwort, man werde sich überlegen, ob diese Beschlüsse.gut seien.
Heute sind diese Cantone die Vororte des schweizerischen Ultramontanismus.
Von dem Moment an, wo das hierarchische Interesse nicht mehr über Schließung
und Lösung der Ehe, die confessionelle Erziehung der Kinder und die letzte
Ruhestätte der Todten zu befinden hat, wird eine rückläufige Bewegung gegen
die hierarchische Ausbeutung des Tridentinum beginnen, welche in ihrer schleu¬
nigen Gangart dem Jahrhundert der Eisenbahnen und Telegraphen ent¬
sprechen wird!

Andre Erwartungen, welche das verflossene Jahr für die Entwickelung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/11>, abgerufen am 26.09.2024.