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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ben, nicht am wenigsten durch den Einfluß unsrer auswärtigen Politik, keinen
Augenblick den allgemeinen Frieden bedroht, sind durchaus auf ihren localen
Herd beschränkt geblieben. Das Schreckniß einer Liga aller katholisch-roma¬
nischen Staaten wider das deutsche Reich, gleichviel in welchen Köpfen und
bis zu welchem Grade es Gestalt gewonnen haben mochte, ist in Nichts zer¬
flossen vor der nüchternen Erkenntniß, daß das deutsche Reich Macht und da
nöthig auch Verbindungen genug besitze, um auch dieses widernatürlichen Bundes
sich zu erwehren. So bietet denn der Rückblick in das vergangene, die Aus¬
schau in das künftige Jahr sensationsbedürftigen Naturen die allergeringste
Ausbeute, dem deutschen Patrioten dagegen die freudige Gewißheit, daß sein
Nationalstaat auch in diesem Jahre neue kräftige Wurzeln geschlagen hat,
die dessen frisches Gedeihen auch in Zukunft verbürgen.

Die Gesetzentwürfe, welche unsre vorjährige Neujahrsbetrachtung in der
deutschen Presse zuerst empfahl zur energischen Förderung des deutschen Cultur¬
kampfes gegen Rom, sind inzwischen längst Gesetze geworden und haben sich
äußerst wirkungsvoll und segensreich erwiesen. Das sogenannte Brodkorbgesetz
ist seiner Zeit von der gesammten ultramontanen Presse und dem schwarzen
Centrum mit erzwungenem Hohngelächter als völlig "unschädliches" und macht¬
loses begrüßt und der Opfersinn der ultramontanen Geistlichkeit als ein über
alle Erdensorge erhabener bezeichnet worden. Und statt dessen hat der Erfolg
gelehrt, daß eine sehr große Anzahl Geistlicher sich den Staatsgesetzen beugte,
als der Staat ihnen infolge des neuen Gesetzes Amt und Gehalt zu entziehen
drohte. Weiter aber haben in diesem Jahre einige der heißblütigsten bischöf¬
lichen Aufrührer ihrem heldenmütigen Widerstand einen so märtyrerwidrigen
Anstrich gegeben, daß in weiten Kreisen die Erkenntniß reift: wenn die Hirten
ausreißen, brauche die Heerde nicht mehr zusammenzuhalten; daß die
heiligen Blutzeugen des christlichen Glaubens meistens noch in anderer Weise
ihre Grundsätze bethätigten, als durch praktische Uebung des Falstafsischen
Muthbegriffs, wonach der beste Theil der Tapferkeit Vorsicht ist. Was die
Denkenden unter der bisher blind folgenden ultramontanen Masse aber vor
Allem zur Einsicht bringt, ist das Verhalten der Bischöfe gegenüber dem
Stand-iiM^ö betreffend die Besetzung erledigter Kirchenämter. Auf diesem Ge¬
biete war^zenN auf irgend einem, Seiten der streitenden Kirche Widerstand
bis zum letzten Athemzuge angekündigt. Daß der Staat die wegen ihres
Ungehorsams gegen die Staatsgesetze entfernten Geistlichen aller Grade einfach
durch kirchliche Staatsbeamte ersetzen, und bei der Wahl der Pfarrer sogar --
norribilö äietu -- der kirchlichen Gemeinde ein entscheidendes Votum ein¬
räumen wollte -- das war der Gipfel sacrilegischer Unthat und ketzerischer
Bosheit. Das allein genügte, um die aufreizenden Reminiscenzen an die
"Dioclctianische Kirchenversolgung" zu rechtfertigen. An diesem ungeheuren


ben, nicht am wenigsten durch den Einfluß unsrer auswärtigen Politik, keinen
Augenblick den allgemeinen Frieden bedroht, sind durchaus auf ihren localen
Herd beschränkt geblieben. Das Schreckniß einer Liga aller katholisch-roma¬
nischen Staaten wider das deutsche Reich, gleichviel in welchen Köpfen und
bis zu welchem Grade es Gestalt gewonnen haben mochte, ist in Nichts zer¬
flossen vor der nüchternen Erkenntniß, daß das deutsche Reich Macht und da
nöthig auch Verbindungen genug besitze, um auch dieses widernatürlichen Bundes
sich zu erwehren. So bietet denn der Rückblick in das vergangene, die Aus¬
schau in das künftige Jahr sensationsbedürftigen Naturen die allergeringste
Ausbeute, dem deutschen Patrioten dagegen die freudige Gewißheit, daß sein
Nationalstaat auch in diesem Jahre neue kräftige Wurzeln geschlagen hat,
die dessen frisches Gedeihen auch in Zukunft verbürgen.

Die Gesetzentwürfe, welche unsre vorjährige Neujahrsbetrachtung in der
deutschen Presse zuerst empfahl zur energischen Förderung des deutschen Cultur¬
kampfes gegen Rom, sind inzwischen längst Gesetze geworden und haben sich
äußerst wirkungsvoll und segensreich erwiesen. Das sogenannte Brodkorbgesetz
ist seiner Zeit von der gesammten ultramontanen Presse und dem schwarzen
Centrum mit erzwungenem Hohngelächter als völlig „unschädliches" und macht¬
loses begrüßt und der Opfersinn der ultramontanen Geistlichkeit als ein über
alle Erdensorge erhabener bezeichnet worden. Und statt dessen hat der Erfolg
gelehrt, daß eine sehr große Anzahl Geistlicher sich den Staatsgesetzen beugte,
als der Staat ihnen infolge des neuen Gesetzes Amt und Gehalt zu entziehen
drohte. Weiter aber haben in diesem Jahre einige der heißblütigsten bischöf¬
lichen Aufrührer ihrem heldenmütigen Widerstand einen so märtyrerwidrigen
Anstrich gegeben, daß in weiten Kreisen die Erkenntniß reift: wenn die Hirten
ausreißen, brauche die Heerde nicht mehr zusammenzuhalten; daß die
heiligen Blutzeugen des christlichen Glaubens meistens noch in anderer Weise
ihre Grundsätze bethätigten, als durch praktische Uebung des Falstafsischen
Muthbegriffs, wonach der beste Theil der Tapferkeit Vorsicht ist. Was die
Denkenden unter der bisher blind folgenden ultramontanen Masse aber vor
Allem zur Einsicht bringt, ist das Verhalten der Bischöfe gegenüber dem
Stand-iiM^ö betreffend die Besetzung erledigter Kirchenämter. Auf diesem Ge¬
biete war^zenN auf irgend einem, Seiten der streitenden Kirche Widerstand
bis zum letzten Athemzuge angekündigt. Daß der Staat die wegen ihres
Ungehorsams gegen die Staatsgesetze entfernten Geistlichen aller Grade einfach
durch kirchliche Staatsbeamte ersetzen, und bei der Wahl der Pfarrer sogar —
norribilö äietu — der kirchlichen Gemeinde ein entscheidendes Votum ein¬
räumen wollte — das war der Gipfel sacrilegischer Unthat und ketzerischer
Bosheit. Das allein genügte, um die aufreizenden Reminiscenzen an die
„Dioclctianische Kirchenversolgung" zu rechtfertigen. An diesem ungeheuren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/10>, abgerufen am 02.10.2024.