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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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leid sei es ihm nur, daß es zu keinem Hauptschlage gekommen, in welchem
ihm der Sieg nicht hätte entgehn können.*)

Schon am 9. März hatte der Herzog wieder so viel Truppen beisammen,
daß er durch den von den Eidgenossen thörichterweise offen gelassenen Paß
von Joigne nach Lausanne am Genfer See vorrücken konnte. Er wählte
diesen Standort nicht sowohl aus militärischen als aus politischen Gründen,
um seinen Verbündeten, dem Herzoge von Mailand und der Herzogin von
Savoyen, nahe zu sein, sie an Verhandlungen mit Frankreich und der Schweiz
zu hindern und ihre Truppen leicht an sich ziehn zu können. Doch war die
Lage militärisch genommen nicht minder günstig, wenn man ihn nämlich
unbehelligt ließ, bis er wieder ganz gerüstet war; denn dann stand er
beim Feldzugsbeginn, ohne einen Paß überwinden zu müssen, nur 9 Meilen
von Freiburg, nur 16 von Bern. Am Is. März bezog er ein Lager ober¬
halb von Lausanne auf der Hochfläche des Plan du Loup. abermals in hef¬
tigem Streit mit seinen Unterführern, namentlich den Italienern, die sich
diesmal um so weniger entschließen mochten, die Cantonements mit dem Lager
zu vertauschen, als jetzt arger Mangel an Zelten war. Es herrschte über¬
haupt große Unzufriedenheit mit dem Herzoge, und nicht der eigenen Unzu-
verlässigkeit, sondern seinem Eigensinne schrieben die Truppen den Schimpf
von Grandson zu. Es habe damals keine Ordnung geherrscht; die Mann¬
schaft sei mtsvergnügt gewesen, weil man sie monatelang ohne Sold gelassen
und sie gezwungen habe, bei der schlimmsten Witterung im Freien zu lagern;
und nun schicke der Herzog sie aufs Neue trotz ihrer Entblößung ohne Zelte
ins Lager. -- Aehnlich urtheilten auch die fremden Gesandten. Der neapoli¬
tanische Botschafter Palombaro schrieb an seinen Herrn: "Karl ist ein Mensch,
der stets nur seinem eigenen Kopfe, keinem Rathe irgend eines Andern folgen
will. Wie ein Verzweifelter hat er sich wieder ins freie Feld gelegt und will,
daß alle Leute ihm dahin folgen. Dennoch kann er niemanden dazu bringen;
er bleibt allein, wiewohl er den ganzen Tag befiehlt, daß das Volk herkomme;
es wird ihm nicht gehorcht.... Wenn jene Deutschen ihren Sieg verfolgt
hätten, sie würden nicht nur Lausanne, sondern auch Genf genommen haben."
Diese Schilderungen sind sehr lehrreich. Sie zeigen einerseits, daß Karl es
richtig erkannte, wie der feste Zusammenhalt übersichtlicher Lagerdisciplin
seinen schlechterzogenen Truppen nothwendig sei, wenn sie zu tüchtigen Sol¬
daten werden sollten, andererseits, wie mächtig die militärische Opposition jener
Zeit war, selbst in Dingen, wo es sich doch lediglich um die persönliche Be¬
haglichkett handelte. Nicht minder ergiebt sich aus diesen Darlegungen, wie
viel die Eidgenossen versäumt, als sie in ihrer planlosen Weise und ihrem



") Panicharola.

leid sei es ihm nur, daß es zu keinem Hauptschlage gekommen, in welchem
ihm der Sieg nicht hätte entgehn können.*)

Schon am 9. März hatte der Herzog wieder so viel Truppen beisammen,
daß er durch den von den Eidgenossen thörichterweise offen gelassenen Paß
von Joigne nach Lausanne am Genfer See vorrücken konnte. Er wählte
diesen Standort nicht sowohl aus militärischen als aus politischen Gründen,
um seinen Verbündeten, dem Herzoge von Mailand und der Herzogin von
Savoyen, nahe zu sein, sie an Verhandlungen mit Frankreich und der Schweiz
zu hindern und ihre Truppen leicht an sich ziehn zu können. Doch war die
Lage militärisch genommen nicht minder günstig, wenn man ihn nämlich
unbehelligt ließ, bis er wieder ganz gerüstet war; denn dann stand er
beim Feldzugsbeginn, ohne einen Paß überwinden zu müssen, nur 9 Meilen
von Freiburg, nur 16 von Bern. Am Is. März bezog er ein Lager ober¬
halb von Lausanne auf der Hochfläche des Plan du Loup. abermals in hef¬
tigem Streit mit seinen Unterführern, namentlich den Italienern, die sich
diesmal um so weniger entschließen mochten, die Cantonements mit dem Lager
zu vertauschen, als jetzt arger Mangel an Zelten war. Es herrschte über¬
haupt große Unzufriedenheit mit dem Herzoge, und nicht der eigenen Unzu-
verlässigkeit, sondern seinem Eigensinne schrieben die Truppen den Schimpf
von Grandson zu. Es habe damals keine Ordnung geherrscht; die Mann¬
schaft sei mtsvergnügt gewesen, weil man sie monatelang ohne Sold gelassen
und sie gezwungen habe, bei der schlimmsten Witterung im Freien zu lagern;
und nun schicke der Herzog sie aufs Neue trotz ihrer Entblößung ohne Zelte
ins Lager. — Aehnlich urtheilten auch die fremden Gesandten. Der neapoli¬
tanische Botschafter Palombaro schrieb an seinen Herrn: „Karl ist ein Mensch,
der stets nur seinem eigenen Kopfe, keinem Rathe irgend eines Andern folgen
will. Wie ein Verzweifelter hat er sich wieder ins freie Feld gelegt und will,
daß alle Leute ihm dahin folgen. Dennoch kann er niemanden dazu bringen;
er bleibt allein, wiewohl er den ganzen Tag befiehlt, daß das Volk herkomme;
es wird ihm nicht gehorcht.... Wenn jene Deutschen ihren Sieg verfolgt
hätten, sie würden nicht nur Lausanne, sondern auch Genf genommen haben."
Diese Schilderungen sind sehr lehrreich. Sie zeigen einerseits, daß Karl es
richtig erkannte, wie der feste Zusammenhalt übersichtlicher Lagerdisciplin
seinen schlechterzogenen Truppen nothwendig sei, wenn sie zu tüchtigen Sol¬
daten werden sollten, andererseits, wie mächtig die militärische Opposition jener
Zeit war, selbst in Dingen, wo es sich doch lediglich um die persönliche Be¬
haglichkett handelte. Nicht minder ergiebt sich aus diesen Darlegungen, wie
viel die Eidgenossen versäumt, als sie in ihrer planlosen Weise und ihrem



") Panicharola.
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[0104] leid sei es ihm nur, daß es zu keinem Hauptschlage gekommen, in welchem ihm der Sieg nicht hätte entgehn können.*) Schon am 9. März hatte der Herzog wieder so viel Truppen beisammen, daß er durch den von den Eidgenossen thörichterweise offen gelassenen Paß von Joigne nach Lausanne am Genfer See vorrücken konnte. Er wählte diesen Standort nicht sowohl aus militärischen als aus politischen Gründen, um seinen Verbündeten, dem Herzoge von Mailand und der Herzogin von Savoyen, nahe zu sein, sie an Verhandlungen mit Frankreich und der Schweiz zu hindern und ihre Truppen leicht an sich ziehn zu können. Doch war die Lage militärisch genommen nicht minder günstig, wenn man ihn nämlich unbehelligt ließ, bis er wieder ganz gerüstet war; denn dann stand er beim Feldzugsbeginn, ohne einen Paß überwinden zu müssen, nur 9 Meilen von Freiburg, nur 16 von Bern. Am Is. März bezog er ein Lager ober¬ halb von Lausanne auf der Hochfläche des Plan du Loup. abermals in hef¬ tigem Streit mit seinen Unterführern, namentlich den Italienern, die sich diesmal um so weniger entschließen mochten, die Cantonements mit dem Lager zu vertauschen, als jetzt arger Mangel an Zelten war. Es herrschte über¬ haupt große Unzufriedenheit mit dem Herzoge, und nicht der eigenen Unzu- verlässigkeit, sondern seinem Eigensinne schrieben die Truppen den Schimpf von Grandson zu. Es habe damals keine Ordnung geherrscht; die Mann¬ schaft sei mtsvergnügt gewesen, weil man sie monatelang ohne Sold gelassen und sie gezwungen habe, bei der schlimmsten Witterung im Freien zu lagern; und nun schicke der Herzog sie aufs Neue trotz ihrer Entblößung ohne Zelte ins Lager. — Aehnlich urtheilten auch die fremden Gesandten. Der neapoli¬ tanische Botschafter Palombaro schrieb an seinen Herrn: „Karl ist ein Mensch, der stets nur seinem eigenen Kopfe, keinem Rathe irgend eines Andern folgen will. Wie ein Verzweifelter hat er sich wieder ins freie Feld gelegt und will, daß alle Leute ihm dahin folgen. Dennoch kann er niemanden dazu bringen; er bleibt allein, wiewohl er den ganzen Tag befiehlt, daß das Volk herkomme; es wird ihm nicht gehorcht.... Wenn jene Deutschen ihren Sieg verfolgt hätten, sie würden nicht nur Lausanne, sondern auch Genf genommen haben." Diese Schilderungen sind sehr lehrreich. Sie zeigen einerseits, daß Karl es richtig erkannte, wie der feste Zusammenhalt übersichtlicher Lagerdisciplin seinen schlechterzogenen Truppen nothwendig sei, wenn sie zu tüchtigen Sol¬ daten werden sollten, andererseits, wie mächtig die militärische Opposition jener Zeit war, selbst in Dingen, wo es sich doch lediglich um die persönliche Be¬ haglichkett handelte. Nicht minder ergiebt sich aus diesen Darlegungen, wie viel die Eidgenossen versäumt, als sie in ihrer planlosen Weise und ihrem ") Panicharola.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/104>, abgerufen am 23.07.2024.