Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kaum wirst Du nun vor den Wald hinaus sein, so wirst Du auf eine grüne
Wiese kommen, allda wird ein gar schöner Birnbaum stehen und darauf schöne
gelbe Birnen. Nun wird der Baum hoch sein, daß Du wirst keine können
herunterlangen, und Dich wird doch gelüsten, Birnen zu essen. Wie willst
Du es machen, daß Du welche davon bekommst? Lege Dich eine Weile unter
den Baum und sperre das Maul auf; denn wenn eine kühle Luft kommt, so
werden sie Dir schon Haufenweise in's Maul fallen. Willst Du das thun?"

Antwort: "Ja."

"Nein," (der Redner schüttelt den Candidaten bei den Haaren) "das sollst
Du nicht thun. Ich will Dir einen andern Rath geben. Du bist ein junger
starker Geselle, bis an (d. h. mache dich heran) und nimm den Baum unten
beim Stamme und schüttele ihn also (abermaliges Schütteln an den Haaren),
da werden sie häufig herunterfallen. So wirst Du vielleicht einen Ranzen oder
Bündel bei Dir haben; wie willst Du es machen, willst Du sie alle auflesen?"

Antwort: "Ja."

"El Du sollst es nicht thun, sondern etliche liegen lassen und gedenken:
Wer weiß, wo etwa ein anderer guter Geselle durch den grausamen W"it
kommen und ebenfalls unter diesem Birnbaum rasten möchte, der auch gerne
Birnen essen wollte, aber nicht so stark wäre, daß er den Baum schütteln
könnte, so würde es ihm ein guter Dienst sein, wenn er etwas Vorrath
fände. . . . Wenn Du nun weiter fortgehest, so wirst Du zu einem Wasser
kommen, darüber wird ein schmaler Weg sein, darauf wird Dir eine Jung¬
frau und eine Ziege begegnen. Nun wird der Weg so schmal sein, daß ihr
einander nicht werdet ausweichen können; wie willst Du es machen? Da bis her,
stoß die Jungfrau und die Ziege ins Wasser, so kannst Du hernach ohne
allen Schaden hinüberkommen. Willst Du das thun?"

Antwort: "Ja."

"El Du sollst es nicht thun, sondern ich will Dir einen andern Rath
geben. Bis her, nimm die Ziege auf die Achsel und die Jungfrau unter den
Arm und führe sie hinüber, und die Jungfrau kannst Du hernach zum
Weibe nehmen, die Ziege aber kannst Du schlachten; denn das Fleisch ist gut
für die Hochzeit, das Leder giebt Dir ein gutes Schurzfell, der Kopf einen
guten Schlägel, die Hörner geben ein gut Paar krumme Stecken, die Ohren
ein gut Paar Flederwische, die Augen eine gute Brille, die Nase eine gute
Sparbüchse, das Maul eine gute Reifziehe, die Beine ein gut Paar Bänk¬
lein, der Schwanz einen guten Fliegenwedel, daß Du Deiner Frau kannst
die Fliegen wehren. Auf diese Weise kannst Du das Alles gebrauchen und
Dir zu Nutze machen. Nun, so stehe auf und kehre Dich dreimal um und
sprich mir nach: Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk, Meister und
Gesellen. Da Schleife ich, N. N., ein ehrlicher Geselle, den N. zum andern


Kaum wirst Du nun vor den Wald hinaus sein, so wirst Du auf eine grüne
Wiese kommen, allda wird ein gar schöner Birnbaum stehen und darauf schöne
gelbe Birnen. Nun wird der Baum hoch sein, daß Du wirst keine können
herunterlangen, und Dich wird doch gelüsten, Birnen zu essen. Wie willst
Du es machen, daß Du welche davon bekommst? Lege Dich eine Weile unter
den Baum und sperre das Maul auf; denn wenn eine kühle Luft kommt, so
werden sie Dir schon Haufenweise in's Maul fallen. Willst Du das thun?"

Antwort: „Ja."

„Nein," (der Redner schüttelt den Candidaten bei den Haaren) „das sollst
Du nicht thun. Ich will Dir einen andern Rath geben. Du bist ein junger
starker Geselle, bis an (d. h. mache dich heran) und nimm den Baum unten
beim Stamme und schüttele ihn also (abermaliges Schütteln an den Haaren),
da werden sie häufig herunterfallen. So wirst Du vielleicht einen Ranzen oder
Bündel bei Dir haben; wie willst Du es machen, willst Du sie alle auflesen?"

Antwort: „Ja."

„El Du sollst es nicht thun, sondern etliche liegen lassen und gedenken:
Wer weiß, wo etwa ein anderer guter Geselle durch den grausamen W«it
kommen und ebenfalls unter diesem Birnbaum rasten möchte, der auch gerne
Birnen essen wollte, aber nicht so stark wäre, daß er den Baum schütteln
könnte, so würde es ihm ein guter Dienst sein, wenn er etwas Vorrath
fände. . . . Wenn Du nun weiter fortgehest, so wirst Du zu einem Wasser
kommen, darüber wird ein schmaler Weg sein, darauf wird Dir eine Jung¬
frau und eine Ziege begegnen. Nun wird der Weg so schmal sein, daß ihr
einander nicht werdet ausweichen können; wie willst Du es machen? Da bis her,
stoß die Jungfrau und die Ziege ins Wasser, so kannst Du hernach ohne
allen Schaden hinüberkommen. Willst Du das thun?"

Antwort: „Ja."

„El Du sollst es nicht thun, sondern ich will Dir einen andern Rath
geben. Bis her, nimm die Ziege auf die Achsel und die Jungfrau unter den
Arm und führe sie hinüber, und die Jungfrau kannst Du hernach zum
Weibe nehmen, die Ziege aber kannst Du schlachten; denn das Fleisch ist gut
für die Hochzeit, das Leder giebt Dir ein gutes Schurzfell, der Kopf einen
guten Schlägel, die Hörner geben ein gut Paar krumme Stecken, die Ohren
ein gut Paar Flederwische, die Augen eine gute Brille, die Nase eine gute
Sparbüchse, das Maul eine gute Reifziehe, die Beine ein gut Paar Bänk¬
lein, der Schwanz einen guten Fliegenwedel, daß Du Deiner Frau kannst
die Fliegen wehren. Auf diese Weise kannst Du das Alles gebrauchen und
Dir zu Nutze machen. Nun, so stehe auf und kehre Dich dreimal um und
sprich mir nach: Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk, Meister und
Gesellen. Da Schleife ich, N. N., ein ehrlicher Geselle, den N. zum andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133913"/>
          <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> Kaum wirst Du nun vor den Wald hinaus sein, so wirst Du auf eine grüne<lb/>
Wiese kommen, allda wird ein gar schöner Birnbaum stehen und darauf schöne<lb/>
gelbe Birnen. Nun wird der Baum hoch sein, daß Du wirst keine können<lb/>
herunterlangen, und Dich wird doch gelüsten, Birnen zu essen. Wie willst<lb/>
Du es machen, daß Du welche davon bekommst? Lege Dich eine Weile unter<lb/>
den Baum und sperre das Maul auf; denn wenn eine kühle Luft kommt, so<lb/>
werden sie Dir schon Haufenweise in's Maul fallen. Willst Du das thun?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_327"> Antwort: &#x201E;Ja."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_328"> &#x201E;Nein," (der Redner schüttelt den Candidaten bei den Haaren) &#x201E;das sollst<lb/>
Du nicht thun. Ich will Dir einen andern Rath geben. Du bist ein junger<lb/>
starker Geselle, bis an (d. h. mache dich heran) und nimm den Baum unten<lb/>
beim Stamme und schüttele ihn also (abermaliges Schütteln an den Haaren),<lb/>
da werden sie häufig herunterfallen. So wirst Du vielleicht einen Ranzen oder<lb/>
Bündel bei Dir haben; wie willst Du es machen, willst Du sie alle auflesen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_329"> Antwort: &#x201E;Ja."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_330"> &#x201E;El Du sollst es nicht thun, sondern etliche liegen lassen und gedenken:<lb/>
Wer weiß, wo etwa ein anderer guter Geselle durch den grausamen W«it<lb/>
kommen und ebenfalls unter diesem Birnbaum rasten möchte, der auch gerne<lb/>
Birnen essen wollte, aber nicht so stark wäre, daß er den Baum schütteln<lb/>
könnte, so würde es ihm ein guter Dienst sein, wenn er etwas Vorrath<lb/>
fände. . . . Wenn Du nun weiter fortgehest, so wirst Du zu einem Wasser<lb/>
kommen, darüber wird ein schmaler Weg sein, darauf wird Dir eine Jung¬<lb/>
frau und eine Ziege begegnen. Nun wird der Weg so schmal sein, daß ihr<lb/>
einander nicht werdet ausweichen können; wie willst Du es machen? Da bis her,<lb/>
stoß die Jungfrau und die Ziege ins Wasser, so kannst Du hernach ohne<lb/>
allen Schaden hinüberkommen.  Willst Du das thun?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_331"> Antwort: &#x201E;Ja."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_332" next="#ID_333"> &#x201E;El Du sollst es nicht thun, sondern ich will Dir einen andern Rath<lb/>
geben. Bis her, nimm die Ziege auf die Achsel und die Jungfrau unter den<lb/>
Arm und führe sie hinüber, und die Jungfrau kannst Du hernach zum<lb/>
Weibe nehmen, die Ziege aber kannst Du schlachten; denn das Fleisch ist gut<lb/>
für die Hochzeit, das Leder giebt Dir ein gutes Schurzfell, der Kopf einen<lb/>
guten Schlägel, die Hörner geben ein gut Paar krumme Stecken, die Ohren<lb/>
ein gut Paar Flederwische, die Augen eine gute Brille, die Nase eine gute<lb/>
Sparbüchse, das Maul eine gute Reifziehe, die Beine ein gut Paar Bänk¬<lb/>
lein, der Schwanz einen guten Fliegenwedel, daß Du Deiner Frau kannst<lb/>
die Fliegen wehren. Auf diese Weise kannst Du das Alles gebrauchen und<lb/>
Dir zu Nutze machen. Nun, so stehe auf und kehre Dich dreimal um und<lb/>
sprich mir nach: Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk, Meister und<lb/>
Gesellen.  Da Schleife ich, N. N., ein ehrlicher Geselle, den N. zum andern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] Kaum wirst Du nun vor den Wald hinaus sein, so wirst Du auf eine grüne Wiese kommen, allda wird ein gar schöner Birnbaum stehen und darauf schöne gelbe Birnen. Nun wird der Baum hoch sein, daß Du wirst keine können herunterlangen, und Dich wird doch gelüsten, Birnen zu essen. Wie willst Du es machen, daß Du welche davon bekommst? Lege Dich eine Weile unter den Baum und sperre das Maul auf; denn wenn eine kühle Luft kommt, so werden sie Dir schon Haufenweise in's Maul fallen. Willst Du das thun?" Antwort: „Ja." „Nein," (der Redner schüttelt den Candidaten bei den Haaren) „das sollst Du nicht thun. Ich will Dir einen andern Rath geben. Du bist ein junger starker Geselle, bis an (d. h. mache dich heran) und nimm den Baum unten beim Stamme und schüttele ihn also (abermaliges Schütteln an den Haaren), da werden sie häufig herunterfallen. So wirst Du vielleicht einen Ranzen oder Bündel bei Dir haben; wie willst Du es machen, willst Du sie alle auflesen?" Antwort: „Ja." „El Du sollst es nicht thun, sondern etliche liegen lassen und gedenken: Wer weiß, wo etwa ein anderer guter Geselle durch den grausamen W«it kommen und ebenfalls unter diesem Birnbaum rasten möchte, der auch gerne Birnen essen wollte, aber nicht so stark wäre, daß er den Baum schütteln könnte, so würde es ihm ein guter Dienst sein, wenn er etwas Vorrath fände. . . . Wenn Du nun weiter fortgehest, so wirst Du zu einem Wasser kommen, darüber wird ein schmaler Weg sein, darauf wird Dir eine Jung¬ frau und eine Ziege begegnen. Nun wird der Weg so schmal sein, daß ihr einander nicht werdet ausweichen können; wie willst Du es machen? Da bis her, stoß die Jungfrau und die Ziege ins Wasser, so kannst Du hernach ohne allen Schaden hinüberkommen. Willst Du das thun?" Antwort: „Ja." „El Du sollst es nicht thun, sondern ich will Dir einen andern Rath geben. Bis her, nimm die Ziege auf die Achsel und die Jungfrau unter den Arm und führe sie hinüber, und die Jungfrau kannst Du hernach zum Weibe nehmen, die Ziege aber kannst Du schlachten; denn das Fleisch ist gut für die Hochzeit, das Leder giebt Dir ein gutes Schurzfell, der Kopf einen guten Schlägel, die Hörner geben ein gut Paar krumme Stecken, die Ohren ein gut Paar Flederwische, die Augen eine gute Brille, die Nase eine gute Sparbüchse, das Maul eine gute Reifziehe, die Beine ein gut Paar Bänk¬ lein, der Schwanz einen guten Fliegenwedel, daß Du Deiner Frau kannst die Fliegen wehren. Auf diese Weise kannst Du das Alles gebrauchen und Dir zu Nutze machen. Nun, so stehe auf und kehre Dich dreimal um und sprich mir nach: Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk, Meister und Gesellen. Da Schleife ich, N. N., ein ehrlicher Geselle, den N. zum andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/95>, abgerufen am 29.06.2024.