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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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der sächsischen Nation selbst zu vertreten, erwarten wir den Schutz und die
Wiederaufrichtung dieses gebeugten Rechts von Ungarns Reichstag und ge¬
kröntem König und von der über den Geschicken der Völker und Fürsten all¬
waltenden Gerechtigkeit/' mit diesen gefaßten Worten schließt die Verwahrung.
Eine ebenso würdige als beredte Denkschrift, die ein angesehener Deutscher in
Hermanstadt verfaßte, hat Löser unter dem Titel: "Das Erwürgen der
deutschen Nationalität in Ungarn" (München, Ackermann 1874) edirt und
bevorwortet. Auf sie möchten wir alle die verweisen, die sich für diese Ver¬
hältnisse näher interessiren.

Was werden soll, wenn die ungarische Regierung und der magyarische
Adel auf diesem Wege der Unterdrückung aller andern Nationalitäten fort¬
schreitet, ist nicht zu sagen. Von einer Magyarisirung von Millionen kann
keine Rede sein. Dagegen stemmt sich bei Deutschen und Juden die höhere
Cultur, mögen auch Hunderte von ihnen schimpflich ihre Nationalität ver¬
leugnen, wie es leider geschehen ist, bei Slowaken und Serben ihre harte
nationale Eigenart, bei allen Stämmen der natürliche Trieb der Selbster¬
haltung und der Gang der Geschichte, der einer solchen Vergewaltigung wider¬
spricht. Die ausgesprochene Unfähigkeit der Magyaren zu jeder dauernden
Arbeit kommt dazu. Schon kocht die Erbitterung und leidenschaftlicher Groll
in den Nationalitäten. Jene furchtbare Coalition, welche die Magyaren ent¬
setzt, die Coalition zwischen den Deutschen und Slawen Ungarns, ist vielleicht
näher als sie glauben. Schon halten im südlichen Ungarn Deutsche und
Serben fest zusammen gegen den herrschenden Stamm. Schon oft, zuletzt
1848/49, ist der Todhaß der Slawen gegen die Magyaren schrecklich zu Tage
getreten; brechen dereinst große Katastrophen über den Osten des Welttheils
herein, so mag er wieder erwachen. Nur ein Mittel giebt es. tiefgehende
Zersetzung zu verhindern: Gleichberechtigung der Nationen. Aber wer gesehen
hat, wie unfähig jede ungarische Partei zu jeder Zeit ist, diesen Gedanken zu
fassen, mag sie Deal oder Tisza führen, der muß an der Realisirung verzweifeln.

Hätten doch wenigstens nur die Magyaren bewiesen, daß sie sonst das
Wohl des Landes zu fördern verstehen! Es ist wahr: sie haben zahlreiche
Eisenbahnen gebaut, das Land in den großen Weltverkehr hineingerissen, die
Weidestrecken der Pußten in fruchttragende Gefilde umgeschaffen. Aber sie
haben auch durch unsinnige Speculationen den Nationalwohlstand gründlich
erschüttert, den Staat dem Bankerott nahe gebracht, durch ihre hastige Gesetz-
macherei alles verwirrt und eine Verwaltung geschaffen, die an Unzuverlässig-
keit und Parteilichkeit ihres Gleichen nicht findet; ja sie sind dabei, durch ihre
Magyarisirungswuth die Cultur gründlich zu ruiniren und die gebildeten
Stämme Ungarns auf dasselbe Niveau herunterzubringen, von dem sie selber
sich nicht erheben können. Nach acht Jahren des "Ausgleichs", in denen der


der sächsischen Nation selbst zu vertreten, erwarten wir den Schutz und die
Wiederaufrichtung dieses gebeugten Rechts von Ungarns Reichstag und ge¬
kröntem König und von der über den Geschicken der Völker und Fürsten all¬
waltenden Gerechtigkeit/' mit diesen gefaßten Worten schließt die Verwahrung.
Eine ebenso würdige als beredte Denkschrift, die ein angesehener Deutscher in
Hermanstadt verfaßte, hat Löser unter dem Titel: „Das Erwürgen der
deutschen Nationalität in Ungarn" (München, Ackermann 1874) edirt und
bevorwortet. Auf sie möchten wir alle die verweisen, die sich für diese Ver¬
hältnisse näher interessiren.

Was werden soll, wenn die ungarische Regierung und der magyarische
Adel auf diesem Wege der Unterdrückung aller andern Nationalitäten fort¬
schreitet, ist nicht zu sagen. Von einer Magyarisirung von Millionen kann
keine Rede sein. Dagegen stemmt sich bei Deutschen und Juden die höhere
Cultur, mögen auch Hunderte von ihnen schimpflich ihre Nationalität ver¬
leugnen, wie es leider geschehen ist, bei Slowaken und Serben ihre harte
nationale Eigenart, bei allen Stämmen der natürliche Trieb der Selbster¬
haltung und der Gang der Geschichte, der einer solchen Vergewaltigung wider¬
spricht. Die ausgesprochene Unfähigkeit der Magyaren zu jeder dauernden
Arbeit kommt dazu. Schon kocht die Erbitterung und leidenschaftlicher Groll
in den Nationalitäten. Jene furchtbare Coalition, welche die Magyaren ent¬
setzt, die Coalition zwischen den Deutschen und Slawen Ungarns, ist vielleicht
näher als sie glauben. Schon halten im südlichen Ungarn Deutsche und
Serben fest zusammen gegen den herrschenden Stamm. Schon oft, zuletzt
1848/49, ist der Todhaß der Slawen gegen die Magyaren schrecklich zu Tage
getreten; brechen dereinst große Katastrophen über den Osten des Welttheils
herein, so mag er wieder erwachen. Nur ein Mittel giebt es. tiefgehende
Zersetzung zu verhindern: Gleichberechtigung der Nationen. Aber wer gesehen
hat, wie unfähig jede ungarische Partei zu jeder Zeit ist, diesen Gedanken zu
fassen, mag sie Deal oder Tisza führen, der muß an der Realisirung verzweifeln.

Hätten doch wenigstens nur die Magyaren bewiesen, daß sie sonst das
Wohl des Landes zu fördern verstehen! Es ist wahr: sie haben zahlreiche
Eisenbahnen gebaut, das Land in den großen Weltverkehr hineingerissen, die
Weidestrecken der Pußten in fruchttragende Gefilde umgeschaffen. Aber sie
haben auch durch unsinnige Speculationen den Nationalwohlstand gründlich
erschüttert, den Staat dem Bankerott nahe gebracht, durch ihre hastige Gesetz-
macherei alles verwirrt und eine Verwaltung geschaffen, die an Unzuverlässig-
keit und Parteilichkeit ihres Gleichen nicht findet; ja sie sind dabei, durch ihre
Magyarisirungswuth die Cultur gründlich zu ruiniren und die gebildeten
Stämme Ungarns auf dasselbe Niveau herunterzubringen, von dem sie selber
sich nicht erheben können. Nach acht Jahren des „Ausgleichs", in denen der


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[0079] der sächsischen Nation selbst zu vertreten, erwarten wir den Schutz und die Wiederaufrichtung dieses gebeugten Rechts von Ungarns Reichstag und ge¬ kröntem König und von der über den Geschicken der Völker und Fürsten all¬ waltenden Gerechtigkeit/' mit diesen gefaßten Worten schließt die Verwahrung. Eine ebenso würdige als beredte Denkschrift, die ein angesehener Deutscher in Hermanstadt verfaßte, hat Löser unter dem Titel: „Das Erwürgen der deutschen Nationalität in Ungarn" (München, Ackermann 1874) edirt und bevorwortet. Auf sie möchten wir alle die verweisen, die sich für diese Ver¬ hältnisse näher interessiren. Was werden soll, wenn die ungarische Regierung und der magyarische Adel auf diesem Wege der Unterdrückung aller andern Nationalitäten fort¬ schreitet, ist nicht zu sagen. Von einer Magyarisirung von Millionen kann keine Rede sein. Dagegen stemmt sich bei Deutschen und Juden die höhere Cultur, mögen auch Hunderte von ihnen schimpflich ihre Nationalität ver¬ leugnen, wie es leider geschehen ist, bei Slowaken und Serben ihre harte nationale Eigenart, bei allen Stämmen der natürliche Trieb der Selbster¬ haltung und der Gang der Geschichte, der einer solchen Vergewaltigung wider¬ spricht. Die ausgesprochene Unfähigkeit der Magyaren zu jeder dauernden Arbeit kommt dazu. Schon kocht die Erbitterung und leidenschaftlicher Groll in den Nationalitäten. Jene furchtbare Coalition, welche die Magyaren ent¬ setzt, die Coalition zwischen den Deutschen und Slawen Ungarns, ist vielleicht näher als sie glauben. Schon halten im südlichen Ungarn Deutsche und Serben fest zusammen gegen den herrschenden Stamm. Schon oft, zuletzt 1848/49, ist der Todhaß der Slawen gegen die Magyaren schrecklich zu Tage getreten; brechen dereinst große Katastrophen über den Osten des Welttheils herein, so mag er wieder erwachen. Nur ein Mittel giebt es. tiefgehende Zersetzung zu verhindern: Gleichberechtigung der Nationen. Aber wer gesehen hat, wie unfähig jede ungarische Partei zu jeder Zeit ist, diesen Gedanken zu fassen, mag sie Deal oder Tisza führen, der muß an der Realisirung verzweifeln. Hätten doch wenigstens nur die Magyaren bewiesen, daß sie sonst das Wohl des Landes zu fördern verstehen! Es ist wahr: sie haben zahlreiche Eisenbahnen gebaut, das Land in den großen Weltverkehr hineingerissen, die Weidestrecken der Pußten in fruchttragende Gefilde umgeschaffen. Aber sie haben auch durch unsinnige Speculationen den Nationalwohlstand gründlich erschüttert, den Staat dem Bankerott nahe gebracht, durch ihre hastige Gesetz- macherei alles verwirrt und eine Verwaltung geschaffen, die an Unzuverlässig- keit und Parteilichkeit ihres Gleichen nicht findet; ja sie sind dabei, durch ihre Magyarisirungswuth die Cultur gründlich zu ruiniren und die gebildeten Stämme Ungarns auf dasselbe Niveau herunterzubringen, von dem sie selber sich nicht erheben können. Nach acht Jahren des „Ausgleichs", in denen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/79>, abgerufen am 28.09.2024.