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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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lernen, was in die Höhe will, und so wird sich der schwache Stamm durch
Millionen magyarisirter Deutsche, Slawen und Rumänen verstärken und sich
selber schützen gegen das Verschlungenwerden. Wir zweifeln sehr, ob diese
Rechnung richtig ist.

Den Gipfel des Unverstandes aber hat diese Magyarisirungswuth er¬
reicht in dem berüchtigten "Arrondirungsgesetz" von 1873. Durch dies Gesetz
werden absichtlich die geschlossenen deutschen Gebietstheile auseinandergerissen
und mit fremdsprachigen zusammengeschweißt. So wird die deutsche Bacska
mit zwei serbischen, bez. magyarischen Gebietstheilen verbunden, das deutsche
Wieselburger Comitat mit dem magyarischen Raaber Comitat vereinigt, die
16 deutschen "Freistätte" der Zips dem magyarisch-slowakischen Comitat ein¬
verleibt, ein Theil des deutschen Torontaler Comitats mit dem serbischen
Distrikt Groß-Kikiada verbunden, der verbleibende erhält das magyarische
Groß - Becskerek zum Sitze. Ueberall sollen offenbar die Deutschen in die
Minderheit gebracht, bei den Reichstagswahlen mundtodt gemacht worden.
In ähnlicher Weise wird der uralte freie "Königsboten" der siebenbürger
Sachsen, dessen Integrität 1867 von Kaiser Franz Josef als gekröntem Könige
Ungarns feierlich beschworen und noch 1868 in dem Gesetze über die Ver¬
einigung Ungarns und Siebenbürgens bestätigt wurde, in drei Stücke zer¬
schlagen und jedes derselben mit magyarischen und rumänischen Gebietstheilen
zusammengekoppelt. Ja noch mehr. Was seit 6 Jahrhunderten der Fleiß
der siebenbürger Sachsen als Eigenthum ihrer "Nationsuniversität" (Ge-
sammtvertretung) erworben, was ihre zähe Tapferkeit behauptet, das wird
ihnen einfach geraubt durch die Bestimmung, welche das gesammte Eigenthum
der neubegrenzten Bezirke in gemeinschaftliches Besitzthum verwandelt
und den Sachsen speziell jede Verfügung über ihr Nationaleigenthum kurzweg
entzieht"). Was etwa der Despotismus des sinkenden Römerreichs unter
König Justinian I. gewagt, der das Municipalvermögen der griechischen
Städte einfach einzog, das that ein konstitutionelles Ministerium mit der
Nationalvertretung in Ungarn im Jahre 1873! Und als die Nationsuni¬
versität unterm 19. December 1873 gegen diesen Gewaltstreich proteMrte, da
verfügte der Minister des Innern, Graf Szapary, daß sie sich mit öffentlichen
Angelegenheiten nicht mehr zu befassen habe, d. h. er nahm ihr überhaupt
ihre verfassungsmäßige Wirksamkeit. Am 16. Februar 1874 wurde die säch¬
sische Nationsuniversität geschlossen. Kein Deutscher wird ohne tiefe Bewegung
den männlichen Protest gegen diese Maßregel lesen und die Namen der vier¬
unddreißig guten deutschen Männer, die ihn unterzeichneten. "Durch den
Machtspruch der Regierung der Möglichkeit beraubt, unser Recht und das



") S. die unten angeführte Denkschrift.

lernen, was in die Höhe will, und so wird sich der schwache Stamm durch
Millionen magyarisirter Deutsche, Slawen und Rumänen verstärken und sich
selber schützen gegen das Verschlungenwerden. Wir zweifeln sehr, ob diese
Rechnung richtig ist.

Den Gipfel des Unverstandes aber hat diese Magyarisirungswuth er¬
reicht in dem berüchtigten „Arrondirungsgesetz" von 1873. Durch dies Gesetz
werden absichtlich die geschlossenen deutschen Gebietstheile auseinandergerissen
und mit fremdsprachigen zusammengeschweißt. So wird die deutsche Bacska
mit zwei serbischen, bez. magyarischen Gebietstheilen verbunden, das deutsche
Wieselburger Comitat mit dem magyarischen Raaber Comitat vereinigt, die
16 deutschen „Freistätte" der Zips dem magyarisch-slowakischen Comitat ein¬
verleibt, ein Theil des deutschen Torontaler Comitats mit dem serbischen
Distrikt Groß-Kikiada verbunden, der verbleibende erhält das magyarische
Groß - Becskerek zum Sitze. Ueberall sollen offenbar die Deutschen in die
Minderheit gebracht, bei den Reichstagswahlen mundtodt gemacht worden.
In ähnlicher Weise wird der uralte freie „Königsboten" der siebenbürger
Sachsen, dessen Integrität 1867 von Kaiser Franz Josef als gekröntem Könige
Ungarns feierlich beschworen und noch 1868 in dem Gesetze über die Ver¬
einigung Ungarns und Siebenbürgens bestätigt wurde, in drei Stücke zer¬
schlagen und jedes derselben mit magyarischen und rumänischen Gebietstheilen
zusammengekoppelt. Ja noch mehr. Was seit 6 Jahrhunderten der Fleiß
der siebenbürger Sachsen als Eigenthum ihrer „Nationsuniversität" (Ge-
sammtvertretung) erworben, was ihre zähe Tapferkeit behauptet, das wird
ihnen einfach geraubt durch die Bestimmung, welche das gesammte Eigenthum
der neubegrenzten Bezirke in gemeinschaftliches Besitzthum verwandelt
und den Sachsen speziell jede Verfügung über ihr Nationaleigenthum kurzweg
entzieht"). Was etwa der Despotismus des sinkenden Römerreichs unter
König Justinian I. gewagt, der das Municipalvermögen der griechischen
Städte einfach einzog, das that ein konstitutionelles Ministerium mit der
Nationalvertretung in Ungarn im Jahre 1873! Und als die Nationsuni¬
versität unterm 19. December 1873 gegen diesen Gewaltstreich proteMrte, da
verfügte der Minister des Innern, Graf Szapary, daß sie sich mit öffentlichen
Angelegenheiten nicht mehr zu befassen habe, d. h. er nahm ihr überhaupt
ihre verfassungsmäßige Wirksamkeit. Am 16. Februar 1874 wurde die säch¬
sische Nationsuniversität geschlossen. Kein Deutscher wird ohne tiefe Bewegung
den männlichen Protest gegen diese Maßregel lesen und die Namen der vier¬
unddreißig guten deutschen Männer, die ihn unterzeichneten. „Durch den
Machtspruch der Regierung der Möglichkeit beraubt, unser Recht und das



") S. die unten angeführte Denkschrift.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/78>, abgerufen am 28.09.2024.