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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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kann -- sind sicher die schlechtesten Wohnungen in ganz Ungarn. "Eitel
schwarzer Ruß an den Wänden, ein fürchterlicher Lehmofen, roher Tisch mit
Holzbank, ganz elende Lagerstätten, Gestank und Rauch ohne Ende -- das
ist Wohn- und Schlafstube für Großvater und Großmutter, Mann und Frau
Onkel und Tante, und ein Rudel Kinder dazu .... Das Haus ist das
russisch-polnische Blockhaus, jedoch mit höherem Strohdach, ohne Schornstein,
und fast stets grau und halb verfallen. Der Rauch füllt erst die Stube,
dann zieht er durch eine Oeffnung über dem Ofen auf den Boden, von da
sucht er den Ausweg durch die Lücken im Strohdach. Jn's Gebiet des Luxus
erhebt sich ein Kamin, der von Weidenruthen geflochten ist. Augenkrankheiten
sind ebenso unvermeidlich bei diesem ständigen Rauch und Ruß, als hinfällige
Leiber bei dem ewigen Fasten, welches die Kirche drei Monate, die Noth ein
halbes und der Branntwein so ziemlich das ganze Jahr auferlegt." Löser
sieht keine Hilfe für das Volk. Allein vermag es sich nicht zu heben, und
die Magyaren, die jetzt das Ruder führen, haben weit wichtigeres zu thun,
als sich um die Cultur der nichtmagyarischen Stämme zu kümmern. "Der
Rußniak hat in Ungarn keine andere Bestimmung mehr, als Volksdünger
für die Magyaren und Slowaken abzugeben."

. Viel besser gestaltet sich die Lage der Slowaken, die im nörd¬
lichen und nordwestlichen Ungarn als die nächsten Stammverwandten der
Tschechen und Mährer Hausen, aber in starken Gemeinden fast durch ganz
Ungarn zerstreut leben. Auch sie sind durchaus ein Bauernvolk, ohne Städte,
wenn auch nicht ohne emsigen Betrieb des Kleingewerbes. "Eine slowakische
Ortschaft besteht aus kleinen Blockhäusern und breiten geraden Gassen. Die
Giebelseite ist der Straße zugekehrt, zeigt aber nichts als zwei Fensterchen
neben einander. Die Häuschen sind einander ganz ähnlich, alle weiß ange¬
strichen, und mitten dazwischen steht eine kleine, weiße Kirche. -- Auffällig
ist die Gewohnheit, die Häuser je zwei und zwei auf der innern Langseite
zu verbinden: durch die Einfahrt sieht man auf einen länglichen Hof, den
auf beiden Seiten ganz kleine Scheunen und Schuppen und Ställe umgeben."
Die Einrichtung der Zimmer ist ungleich stattlicher, als bei den Ruthenen,
sinnreich ausgedacht und nett. Nur ist der Schmutz groß und die Rücksichts¬
losigkeit gegen den Geruchssinn hervorragend. Außer dem Ackerbau treiben
die Slowaken mancherlei Handwerk; die Männer arbeiten in den Bergwerken,
als Fuhrleute und Drahtbinder, die ja auch in Deutschland allerwärrs be¬
kannt sind, und ihre Frauen verdienen mit Handarbeit ein gutes Stück
Geld. Aber sie bleiben im Kleinen stecken, ein solides Handwerk kommt
nicht auf.

Jedenfalls aber stehen die Slowaken viel höher als die stammverwandten
Ruthenen. Auch sie zeigen sich gutmüthig, die Frauen namentlich entwickeln


kann — sind sicher die schlechtesten Wohnungen in ganz Ungarn. „Eitel
schwarzer Ruß an den Wänden, ein fürchterlicher Lehmofen, roher Tisch mit
Holzbank, ganz elende Lagerstätten, Gestank und Rauch ohne Ende — das
ist Wohn- und Schlafstube für Großvater und Großmutter, Mann und Frau
Onkel und Tante, und ein Rudel Kinder dazu .... Das Haus ist das
russisch-polnische Blockhaus, jedoch mit höherem Strohdach, ohne Schornstein,
und fast stets grau und halb verfallen. Der Rauch füllt erst die Stube,
dann zieht er durch eine Oeffnung über dem Ofen auf den Boden, von da
sucht er den Ausweg durch die Lücken im Strohdach. Jn's Gebiet des Luxus
erhebt sich ein Kamin, der von Weidenruthen geflochten ist. Augenkrankheiten
sind ebenso unvermeidlich bei diesem ständigen Rauch und Ruß, als hinfällige
Leiber bei dem ewigen Fasten, welches die Kirche drei Monate, die Noth ein
halbes und der Branntwein so ziemlich das ganze Jahr auferlegt." Löser
sieht keine Hilfe für das Volk. Allein vermag es sich nicht zu heben, und
die Magyaren, die jetzt das Ruder führen, haben weit wichtigeres zu thun,
als sich um die Cultur der nichtmagyarischen Stämme zu kümmern. „Der
Rußniak hat in Ungarn keine andere Bestimmung mehr, als Volksdünger
für die Magyaren und Slowaken abzugeben."

. Viel besser gestaltet sich die Lage der Slowaken, die im nörd¬
lichen und nordwestlichen Ungarn als die nächsten Stammverwandten der
Tschechen und Mährer Hausen, aber in starken Gemeinden fast durch ganz
Ungarn zerstreut leben. Auch sie sind durchaus ein Bauernvolk, ohne Städte,
wenn auch nicht ohne emsigen Betrieb des Kleingewerbes. „Eine slowakische
Ortschaft besteht aus kleinen Blockhäusern und breiten geraden Gassen. Die
Giebelseite ist der Straße zugekehrt, zeigt aber nichts als zwei Fensterchen
neben einander. Die Häuschen sind einander ganz ähnlich, alle weiß ange¬
strichen, und mitten dazwischen steht eine kleine, weiße Kirche. — Auffällig
ist die Gewohnheit, die Häuser je zwei und zwei auf der innern Langseite
zu verbinden: durch die Einfahrt sieht man auf einen länglichen Hof, den
auf beiden Seiten ganz kleine Scheunen und Schuppen und Ställe umgeben."
Die Einrichtung der Zimmer ist ungleich stattlicher, als bei den Ruthenen,
sinnreich ausgedacht und nett. Nur ist der Schmutz groß und die Rücksichts¬
losigkeit gegen den Geruchssinn hervorragend. Außer dem Ackerbau treiben
die Slowaken mancherlei Handwerk; die Männer arbeiten in den Bergwerken,
als Fuhrleute und Drahtbinder, die ja auch in Deutschland allerwärrs be¬
kannt sind, und ihre Frauen verdienen mit Handarbeit ein gutes Stück
Geld. Aber sie bleiben im Kleinen stecken, ein solides Handwerk kommt
nicht auf.

Jedenfalls aber stehen die Slowaken viel höher als die stammverwandten
Ruthenen. Auch sie zeigen sich gutmüthig, die Frauen namentlich entwickeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/71>, abgerufen am 29.06.2024.