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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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servativen bis zum Fortschritt (im guten Sinne des Wortes) damals gelobt,
einträchtiglich zusammenzustehen, um der giftgeschwollenen reichsfeindlichen
Hydra das Haupt zu zertreten. In feierlichster Weise hatte der erste Minister
des Königreichs diese Bestrebungen öffentlich ermuntert, zur einmüthigen Be¬
kämpfung des bedrohlichen Feindes aller Ordnung und Vaterlandsliebe auf¬
gefordert. Und in diesem Sinne, selbstverleugnend und energisch, hatte der
Reichsverein für Sachsen im letzten Herbst die Candidatur eines sächsischen
Conservativen gegen die Socialdemokratie unterstützt. Nichts war seither ge¬
schehen, was die nationale Partei der Regierung als Feindin denuncirt
hätte -- nichts, als etwa die Gründung des conservativen Vereins mit seinem
bekannten Programm -- nichts, was die allgemeine Mobilmachung gegen die
Socialdemokratie als weniger angemessen hätte erscheinen lassen.

Da gab das "Dresdner Journal", das officielle Organ der sächsischen
Negierung, eine merkwürdige Parole aus. In dem einen Dresdner Wahl¬
kreis hatten sich gleichfalls Fortschritt und Socialdemokratie zu löblichem
Bunde gegen den nationalen Candidaten zusammengefunden. Um allen
Zweifel über den Bund der schönen Seelen zu zerstreuen, hatte in den letzten
Tagen vor der Wahl das socialistische Organ Dresdens die Zuschriften des
fortschrittlichen Candidaten an die socialen Führer veröffentlicht, in denen die
Zusagen verbrieft standen, für welche der Fortschritt die Hingabe der socia¬
listischen Stimmen erbuhlt hatte. Allgemein wurde erwartet, daß solchem
Bündniß gegenüber die sächsische Regierung, soviel an ihr war, in irgend einer
Form von Erklärung, kurz abweisend sich verhalten werde. Aber das Gegen¬
theil geschah. Die "Eingesandt", die sonst in der deutschen Presse meist eine
besonders kräftige Reclame für Bartzwiebeln, Salycilsäure u. s. w. enthalten,
sind im sächsischen Kanzleistil die Vorboten hochofficiöser Artikel. In einem
solchen "Eingesandt" nun des Dresdner Journal ward unmittelbar vor der
Wahl die Parole ausgegeben: die Conservativen würden selbstverständlich für
den -- von den Socialisten begönnerten -- Fortschrittsmann, gegen den natio¬
nalen Candidaten stimmen. Dieser Parole gehorchte die Hauptstadt.

Noch weit prononcirter trat die "Leipziger Zeitung" in den Wahlkampf.
Eine namenlose Coalition von Reactionären und Socialdemokraten hatte in
Leipzig einen Anhänger der Socialdemokratie, den Advocaten Freytag aufge¬
stellt. Um den Schimpf für die Conservativen zu maskiren, behaupteten die
Gründer dieser Candidatur, die Socialdemokratie "als Partei habe von Auf¬
stellung eines eigenen Candidaten Umgang genommen". In der That eine
weitgehende Resignation der Internationalen, nachdem der geeignetste Mann
des socialen Lagers bereits aufgestellt war! Und die Leipziger Zeitung, die
von königl. Beamten redigirt, inspizirt und überwacht wird, beeilte sich, diese
Candidatur anzuzeigen mit dem Bemerken, daß die betreffende Versammlung


servativen bis zum Fortschritt (im guten Sinne des Wortes) damals gelobt,
einträchtiglich zusammenzustehen, um der giftgeschwollenen reichsfeindlichen
Hydra das Haupt zu zertreten. In feierlichster Weise hatte der erste Minister
des Königreichs diese Bestrebungen öffentlich ermuntert, zur einmüthigen Be¬
kämpfung des bedrohlichen Feindes aller Ordnung und Vaterlandsliebe auf¬
gefordert. Und in diesem Sinne, selbstverleugnend und energisch, hatte der
Reichsverein für Sachsen im letzten Herbst die Candidatur eines sächsischen
Conservativen gegen die Socialdemokratie unterstützt. Nichts war seither ge¬
schehen, was die nationale Partei der Regierung als Feindin denuncirt
hätte — nichts, als etwa die Gründung des conservativen Vereins mit seinem
bekannten Programm — nichts, was die allgemeine Mobilmachung gegen die
Socialdemokratie als weniger angemessen hätte erscheinen lassen.

Da gab das „Dresdner Journal", das officielle Organ der sächsischen
Negierung, eine merkwürdige Parole aus. In dem einen Dresdner Wahl¬
kreis hatten sich gleichfalls Fortschritt und Socialdemokratie zu löblichem
Bunde gegen den nationalen Candidaten zusammengefunden. Um allen
Zweifel über den Bund der schönen Seelen zu zerstreuen, hatte in den letzten
Tagen vor der Wahl das socialistische Organ Dresdens die Zuschriften des
fortschrittlichen Candidaten an die socialen Führer veröffentlicht, in denen die
Zusagen verbrieft standen, für welche der Fortschritt die Hingabe der socia¬
listischen Stimmen erbuhlt hatte. Allgemein wurde erwartet, daß solchem
Bündniß gegenüber die sächsische Regierung, soviel an ihr war, in irgend einer
Form von Erklärung, kurz abweisend sich verhalten werde. Aber das Gegen¬
theil geschah. Die „Eingesandt", die sonst in der deutschen Presse meist eine
besonders kräftige Reclame für Bartzwiebeln, Salycilsäure u. s. w. enthalten,
sind im sächsischen Kanzleistil die Vorboten hochofficiöser Artikel. In einem
solchen „Eingesandt" nun des Dresdner Journal ward unmittelbar vor der
Wahl die Parole ausgegeben: die Conservativen würden selbstverständlich für
den — von den Socialisten begönnerten — Fortschrittsmann, gegen den natio¬
nalen Candidaten stimmen. Dieser Parole gehorchte die Hauptstadt.

Noch weit prononcirter trat die „Leipziger Zeitung" in den Wahlkampf.
Eine namenlose Coalition von Reactionären und Socialdemokraten hatte in
Leipzig einen Anhänger der Socialdemokratie, den Advocaten Freytag aufge¬
stellt. Um den Schimpf für die Conservativen zu maskiren, behaupteten die
Gründer dieser Candidatur, die Socialdemokratie „als Partei habe von Auf¬
stellung eines eigenen Candidaten Umgang genommen". In der That eine
weitgehende Resignation der Internationalen, nachdem der geeignetste Mann
des socialen Lagers bereits aufgestellt war! Und die Leipziger Zeitung, die
von königl. Beamten redigirt, inspizirt und überwacht wird, beeilte sich, diese
Candidatur anzuzeigen mit dem Bemerken, daß die betreffende Versammlung


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[0526] servativen bis zum Fortschritt (im guten Sinne des Wortes) damals gelobt, einträchtiglich zusammenzustehen, um der giftgeschwollenen reichsfeindlichen Hydra das Haupt zu zertreten. In feierlichster Weise hatte der erste Minister des Königreichs diese Bestrebungen öffentlich ermuntert, zur einmüthigen Be¬ kämpfung des bedrohlichen Feindes aller Ordnung und Vaterlandsliebe auf¬ gefordert. Und in diesem Sinne, selbstverleugnend und energisch, hatte der Reichsverein für Sachsen im letzten Herbst die Candidatur eines sächsischen Conservativen gegen die Socialdemokratie unterstützt. Nichts war seither ge¬ schehen, was die nationale Partei der Regierung als Feindin denuncirt hätte — nichts, als etwa die Gründung des conservativen Vereins mit seinem bekannten Programm — nichts, was die allgemeine Mobilmachung gegen die Socialdemokratie als weniger angemessen hätte erscheinen lassen. Da gab das „Dresdner Journal", das officielle Organ der sächsischen Negierung, eine merkwürdige Parole aus. In dem einen Dresdner Wahl¬ kreis hatten sich gleichfalls Fortschritt und Socialdemokratie zu löblichem Bunde gegen den nationalen Candidaten zusammengefunden. Um allen Zweifel über den Bund der schönen Seelen zu zerstreuen, hatte in den letzten Tagen vor der Wahl das socialistische Organ Dresdens die Zuschriften des fortschrittlichen Candidaten an die socialen Führer veröffentlicht, in denen die Zusagen verbrieft standen, für welche der Fortschritt die Hingabe der socia¬ listischen Stimmen erbuhlt hatte. Allgemein wurde erwartet, daß solchem Bündniß gegenüber die sächsische Regierung, soviel an ihr war, in irgend einer Form von Erklärung, kurz abweisend sich verhalten werde. Aber das Gegen¬ theil geschah. Die „Eingesandt", die sonst in der deutschen Presse meist eine besonders kräftige Reclame für Bartzwiebeln, Salycilsäure u. s. w. enthalten, sind im sächsischen Kanzleistil die Vorboten hochofficiöser Artikel. In einem solchen „Eingesandt" nun des Dresdner Journal ward unmittelbar vor der Wahl die Parole ausgegeben: die Conservativen würden selbstverständlich für den — von den Socialisten begönnerten — Fortschrittsmann, gegen den natio¬ nalen Candidaten stimmen. Dieser Parole gehorchte die Hauptstadt. Noch weit prononcirter trat die „Leipziger Zeitung" in den Wahlkampf. Eine namenlose Coalition von Reactionären und Socialdemokraten hatte in Leipzig einen Anhänger der Socialdemokratie, den Advocaten Freytag aufge¬ stellt. Um den Schimpf für die Conservativen zu maskiren, behaupteten die Gründer dieser Candidatur, die Socialdemokratie „als Partei habe von Auf¬ stellung eines eigenen Candidaten Umgang genommen". In der That eine weitgehende Resignation der Internationalen, nachdem der geeignetste Mann des socialen Lagers bereits aufgestellt war! Und die Leipziger Zeitung, die von königl. Beamten redigirt, inspizirt und überwacht wird, beeilte sich, diese Candidatur anzuzeigen mit dem Bemerken, daß die betreffende Versammlung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/526>, abgerufen am 28.09.2024.