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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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die norddeutsche Bundesverfassung, gegen die Verfassung des Deutschen Reichs.
Sie haben gestimmt gegen alle Gesetze, welche zum Zwecke hatten die Be¬
festigung der Wehrkraft der Nation, die Entwicklung des nationalen Gedan¬
kens, die Kriegführung gegen die Römlinge. Sie haben daheim in Wort
und Schrift und Werken die Landsleute, die in Berlin nationaler stimmten
wie sie. welche die sächsische Bevölkerung daheim in nationalem Sinne fortzubilden
suchten, aufs heftigste angegriffen, verhöhnt und beschimpft. Wo die Social¬
demokratie überhaupt parlamentarische und politische Thaten zu verzeichnen
hat, bewegen sie sich genau auf demselben Niveau, wie die Thaten der
Dresdner Demokraten. Sie sind vielleicht mit einem etwas größeren Auf¬
wand an Beschimpfung der Gegner und der heiligsten Dinge unserer Na¬
tion in Scene gesitzt worden, mit etwas düsterern Weissagungen für die Zu¬
kunft. Aber das ist nur eine Differenz im Gewicht, nicht in der Qualität.
Oder wenn man will, auch eine Altersdifferenz. Der antinationale Fortschritt
gehört nämlich nicht zu den Dingen, die besser werden, wenn sie auf Lager
kommen. Die Socialdemokratie ist jung und übermüthig, sie fühlt sich am
wohlsten in den Flegeljahren, über die sie nie hinauskommen wird, weil ihre
Mitglieder abfallen, sobald sie zu gesetzten Männern werden und etwas er¬
werben. Sie macht einen um so tieferen Eindruck auf die ihr zugehörigen
Grünen, je lauter und kräftiger sie auf das Deutsche Reich schimpft. Die
Dresdner Fortschrittspartei dagegen möchte gern und kann nicht. Sie ist
impotent und fern. Die Verbindung mit der Socialdemokratie zauberte ihr
wenigstens das Bild ihrer eigenen tollen Jugend vor Augen: wo man an
einen Menschen, der die "Volksrechte" brav im Munde führte, noch nicht die
weitgehende Zumuthung richtete, daß er auch ein guter Deutscher sein müsse.

Eine Reihe der häßlichsten Bilder hat diese Verbindung des sogenannten
Fortschritts mit der Socialdemokratie zu Tage gefördert. Jener Preisgebung
der eigenen besseren Ueberzeugung, die ein fortschrittlicher Candidat in einem
ländlichen Wahlbezirk zu Wege brachte, um die socialen Wähler für sich zu
gewinnen, ist schon oben gedacht worden. Der Fall erinnert mich lebhaft an
eine Anekdote, die uns Bismarck erzählte, als Meute gewählt wurde. Der^ver-
gessene Führer der weiblichen Linie der Lassalleaner sollte in Versprechungen
an seine Wähler außerordentlich freigebig gewesen sein. "Das ist nichts
neues", meinte Bismarck, "ich habe einen Abgeordneten gekannt, der jedem sei¬
ner Wähler eine Kuh versprochen hatte. Herr Meute wird es wohl bei einer
Ziege bewenden lassen." Die Kuh, welche die Fortschrittspartet in den Stall
der Socialdemokratie einzustellen sich anheischig machte, heißt das allgemeine
Stimmrecht aller Zwanzigjährigen bei Landtagswahlen. Wie die Ziege heißt,
werden wir sehen.

Aber die weitaus widerwärtigsten Scenen -- Scenen, bei deren Auszäh-


die norddeutsche Bundesverfassung, gegen die Verfassung des Deutschen Reichs.
Sie haben gestimmt gegen alle Gesetze, welche zum Zwecke hatten die Be¬
festigung der Wehrkraft der Nation, die Entwicklung des nationalen Gedan¬
kens, die Kriegführung gegen die Römlinge. Sie haben daheim in Wort
und Schrift und Werken die Landsleute, die in Berlin nationaler stimmten
wie sie. welche die sächsische Bevölkerung daheim in nationalem Sinne fortzubilden
suchten, aufs heftigste angegriffen, verhöhnt und beschimpft. Wo die Social¬
demokratie überhaupt parlamentarische und politische Thaten zu verzeichnen
hat, bewegen sie sich genau auf demselben Niveau, wie die Thaten der
Dresdner Demokraten. Sie sind vielleicht mit einem etwas größeren Auf¬
wand an Beschimpfung der Gegner und der heiligsten Dinge unserer Na¬
tion in Scene gesitzt worden, mit etwas düsterern Weissagungen für die Zu¬
kunft. Aber das ist nur eine Differenz im Gewicht, nicht in der Qualität.
Oder wenn man will, auch eine Altersdifferenz. Der antinationale Fortschritt
gehört nämlich nicht zu den Dingen, die besser werden, wenn sie auf Lager
kommen. Die Socialdemokratie ist jung und übermüthig, sie fühlt sich am
wohlsten in den Flegeljahren, über die sie nie hinauskommen wird, weil ihre
Mitglieder abfallen, sobald sie zu gesetzten Männern werden und etwas er¬
werben. Sie macht einen um so tieferen Eindruck auf die ihr zugehörigen
Grünen, je lauter und kräftiger sie auf das Deutsche Reich schimpft. Die
Dresdner Fortschrittspartei dagegen möchte gern und kann nicht. Sie ist
impotent und fern. Die Verbindung mit der Socialdemokratie zauberte ihr
wenigstens das Bild ihrer eigenen tollen Jugend vor Augen: wo man an
einen Menschen, der die „Volksrechte" brav im Munde führte, noch nicht die
weitgehende Zumuthung richtete, daß er auch ein guter Deutscher sein müsse.

Eine Reihe der häßlichsten Bilder hat diese Verbindung des sogenannten
Fortschritts mit der Socialdemokratie zu Tage gefördert. Jener Preisgebung
der eigenen besseren Ueberzeugung, die ein fortschrittlicher Candidat in einem
ländlichen Wahlbezirk zu Wege brachte, um die socialen Wähler für sich zu
gewinnen, ist schon oben gedacht worden. Der Fall erinnert mich lebhaft an
eine Anekdote, die uns Bismarck erzählte, als Meute gewählt wurde. Der^ver-
gessene Führer der weiblichen Linie der Lassalleaner sollte in Versprechungen
an seine Wähler außerordentlich freigebig gewesen sein. „Das ist nichts
neues", meinte Bismarck, „ich habe einen Abgeordneten gekannt, der jedem sei¬
ner Wähler eine Kuh versprochen hatte. Herr Meute wird es wohl bei einer
Ziege bewenden lassen." Die Kuh, welche die Fortschrittspartet in den Stall
der Socialdemokratie einzustellen sich anheischig machte, heißt das allgemeine
Stimmrecht aller Zwanzigjährigen bei Landtagswahlen. Wie die Ziege heißt,
werden wir sehen.

Aber die weitaus widerwärtigsten Scenen — Scenen, bei deren Auszäh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/524>, abgerufen am 29.06.2024.