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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Gewinn an Einsicht und Erfahrung soll alsbald dem Ganzen frommen;
nicht durch strenge Befehle, sondern durch freundliche Theilnahme und das
eigene Beispiel des Fürsten schreitet die Verbesserung rastlos vorwärts. Um
ein Musterbild der Landwirthschaft aufzustellen, unterzieht sich der Fürst
selbst der Bewirthschaftung nahegelegener Kammergüter, schafft veredelte
Viehracen, vollkommnere Ackerwerkzeuge herbei und verbessert Brauereien und
Brennereien. Vorzüglich verdankt Weimar viele Erweiterungen und Ver¬
schönerungen und vor allen den mit so großen Geschmack angelegten Park
dem Kunstsinn dieses Fürsten. Um den deutschen Handel von seinen Fesseln
zu befreien, wurden Unterhandlungen mit andern deutschen Staaten gepflogen
und der Verkehr durch Anlegung von Chausseen und durch Verbesserung der
Straßen erleichtert.

Für Kirche und Schule war bereits 1776 Herder berufen worden.
Sein patriarchalischer Geist waltete über Kirche und Schule, Licht aus¬
strömend, anregend, befruchtend, segensvoll für alle folgende Zeit. Alle
Unterrichtsanstalten von der Akademie Jena bis zur Dorfschule erfreuten
sich der Aufmunterung; die Gehalte der Lehrer wurden verbessert, Bürger¬
schulen und Seminarien zur Bildung der Landschullehrer gegründet. Neue
Methoden des Unterrichts und der Erziehung wurden sorgfältig geprüft,
bald durch Absendung des Oberconsistorialrath Horn zu Pestalozzi und Fellen¬
berg, bald durch zeitweilige Berufung eines fremden Erziehungskünstlers, z. B.
des Engländers Hyrdes, um Bill's und Lancaster's Methode praktisch zu
zeigen. Noch erwähne ich, daß in Weimar das freie Zeicheninstitut, in Jena
die Bildungs - Anstalt für Hebammen und die Klinische Anstalt gegründet
wurden.

Der Geschäftsgang der Justiz wurde verbessert und vereinfacht, die
Proceß- und Vormundschafts-Tabellen eingeführt, die Verordnung zur Sicher¬
stellung des Vermögens der Abwesenden erlassen, die Kirchenbuße abgeschafft,
die Oberconsistorien wurden von jeder bürgerlichen Rechtspflege, die Justiz
von administrativer Wirksamkeit befreit, Criminalgerichte eingesetzt, die Straf¬
anstalten verbessert und mit den sächsischen Herzogthümern ein gemeinsames
Ober-Appellationsgericht zu Jena eingesetzt. Viel umfassend und von tief-
eingreifender Einwirkung auf den Wohlstand des Landes waren die Ver¬
besserungen in der Verwaltung. Die Polizei wurde von der Justiz geschieden,
die Steuern billiger und gleichförmiger vertheilt, früher Bevorrechteten billige
Entschädigung gegönnt.

Der Herzog Karl August zeigte bald auch, wie sehr ihm das Wohl des
deutschen Reiches und des deutschen Vaterlandes am Herzen lag. Das
kaiserliche Ansehen schimmerte nur noch im Abglanze seiner früheren Herrlich¬
keit . doch aus Weimar hatte es noch seine alten Rechte geübt. Vom Kaiser


Grenzboten IN- 1875. 63

Gewinn an Einsicht und Erfahrung soll alsbald dem Ganzen frommen;
nicht durch strenge Befehle, sondern durch freundliche Theilnahme und das
eigene Beispiel des Fürsten schreitet die Verbesserung rastlos vorwärts. Um
ein Musterbild der Landwirthschaft aufzustellen, unterzieht sich der Fürst
selbst der Bewirthschaftung nahegelegener Kammergüter, schafft veredelte
Viehracen, vollkommnere Ackerwerkzeuge herbei und verbessert Brauereien und
Brennereien. Vorzüglich verdankt Weimar viele Erweiterungen und Ver¬
schönerungen und vor allen den mit so großen Geschmack angelegten Park
dem Kunstsinn dieses Fürsten. Um den deutschen Handel von seinen Fesseln
zu befreien, wurden Unterhandlungen mit andern deutschen Staaten gepflogen
und der Verkehr durch Anlegung von Chausseen und durch Verbesserung der
Straßen erleichtert.

Für Kirche und Schule war bereits 1776 Herder berufen worden.
Sein patriarchalischer Geist waltete über Kirche und Schule, Licht aus¬
strömend, anregend, befruchtend, segensvoll für alle folgende Zeit. Alle
Unterrichtsanstalten von der Akademie Jena bis zur Dorfschule erfreuten
sich der Aufmunterung; die Gehalte der Lehrer wurden verbessert, Bürger¬
schulen und Seminarien zur Bildung der Landschullehrer gegründet. Neue
Methoden des Unterrichts und der Erziehung wurden sorgfältig geprüft,
bald durch Absendung des Oberconsistorialrath Horn zu Pestalozzi und Fellen¬
berg, bald durch zeitweilige Berufung eines fremden Erziehungskünstlers, z. B.
des Engländers Hyrdes, um Bill's und Lancaster's Methode praktisch zu
zeigen. Noch erwähne ich, daß in Weimar das freie Zeicheninstitut, in Jena
die Bildungs - Anstalt für Hebammen und die Klinische Anstalt gegründet
wurden.

Der Geschäftsgang der Justiz wurde verbessert und vereinfacht, die
Proceß- und Vormundschafts-Tabellen eingeführt, die Verordnung zur Sicher¬
stellung des Vermögens der Abwesenden erlassen, die Kirchenbuße abgeschafft,
die Oberconsistorien wurden von jeder bürgerlichen Rechtspflege, die Justiz
von administrativer Wirksamkeit befreit, Criminalgerichte eingesetzt, die Straf¬
anstalten verbessert und mit den sächsischen Herzogthümern ein gemeinsames
Ober-Appellationsgericht zu Jena eingesetzt. Viel umfassend und von tief-
eingreifender Einwirkung auf den Wohlstand des Landes waren die Ver¬
besserungen in der Verwaltung. Die Polizei wurde von der Justiz geschieden,
die Steuern billiger und gleichförmiger vertheilt, früher Bevorrechteten billige
Entschädigung gegönnt.

Der Herzog Karl August zeigte bald auch, wie sehr ihm das Wohl des
deutschen Reiches und des deutschen Vaterlandes am Herzen lag. Das
kaiserliche Ansehen schimmerte nur noch im Abglanze seiner früheren Herrlich¬
keit . doch aus Weimar hatte es noch seine alten Rechte geübt. Vom Kaiser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/505>, abgerufen am 29.06.2024.