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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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auf einer neuen Einrichtung fußen (ttoläass <Is regn" Lonvmiao). Hier
sehen wir als Neues nur, daß der Erzbischof von Mainz von der Wahl dem
Papste gewissermaßen zur Gutheißung und mit der Zugabe der Beweg¬
gründe Kenntniß giebt oder Anzeige macht, und es soll nun Aufgabe dieser
Darstellung sein, wie nach der regelmäßig zu machenden Lebenserfahrung,
daß wie der Anfang so das Ende, im Fortgang der wie vorher gezeigt be¬
gonnenen Entwickelung Tribur nach der Mittelstation Canossa geführt hat, d. h.
wie der durch die Umstände herbeigeführte Verlauf von 887, die Entstehung
des ostfränkischen Königthums als Wahlkönigthum unter dem Einfluß .der
von Rom abhängigen hohen Geistlichkeit, gewissermaßen mit Naturnothwendig¬
keit den Fortgang genommen, daß ein späterer deutscher König, der glaubte
Erbkönig zu sein, sein königliches Dasein dem Papste zu Canossa zu Füßen legte.




Bei dieser Darstellung kommt zuerst in Betracht, daß die Zeit der Wahl
Arnulph's zugleich die Zeit ist, wo die entschiedensten Herrscher-Ansprüche des
neuen römischen Priesterstaates, der sich gleicherweise von der Herrschaft der
Longobarden, wie des oströnnschen Kaisers freigestellt hatte, mit dem Papste
an der Spitze, in den sogenannten Pseudo-Jsidorischen Dekretalen hervor¬
traten. Diese Dekretalen sind, wie die Kritik vorletzt annahm, von dem
Mainzer Diakonus Benedictus Leona, welcher 843 in einer Fortsetzung von
Ansegisus Kapitularien Karl's des Großen die Dekretalen fleißig benutzte, wie
man aber jetzt findet, in Rheims fabrizirte oder wenigstens zusammengestellte
Beschlüsse von Konzilien u. s. w., die aus den Namen eines Jsidor, wie man
auch angenommen hat, auf den des zwischen 595--636 lebenden Bischof Jsidor
von Sevilla") getauft sind. Daß sie wirklich erst der zweiten Hälfte des
9, Jahrhunderts ihr Entstehen verdanken, ergiebt sich aus dem Umstände, daß
weder Papst Hadrian (774), noch der früher lebende Mönch Dionysius der
Kleine (1- bei Rom vor 556)**) diese Dekretalen kannten, und Stellen aus
den Beschlüssen der Synode von Paris 829 wörtlich darin vorkommen, was
nicht möglich wäre, wenn sie früher zusammengestellt wären. Auch hat bereits
Erzbischof Hinkmar von Rheims sofort nach ihrem Erscheinen behauptet, daß
sie gefälscht seien. Erst Papst Nikolaus I. um 865 erklärte sich für ihre
Echtheit und machte zuerst Anwendung von ihnen.

Der Inhalt, welcher demnächst das Wesentlichste für unsere Darstellung




Vgl. Weingarten, Zeittafeln zur Kirchengeschichte. Leipzig, 1874. Härtung S. 40:
voUsc-Uo lsiüori Älsroatoris. Baur, Geschichte der Kirche des Mittelalters, S. !14 ff. Den-
zinger, I"i<lori Uhr<zg,rori8 "loorotiMiln volloetw.
") Verfasser einer Sammlung von Kirchengesetzen d. h. von sogenannten apostolischen
Kanonen, für die römischen Bischöfe günstigen Beschlüssen der Konzilien und amtlichen Buchen
römischer Bischöfe seit dem Ende des 4. Jahrhunderts, Dekretalen genannt.

auf einer neuen Einrichtung fußen (ttoläass <Is regn« Lonvmiao). Hier
sehen wir als Neues nur, daß der Erzbischof von Mainz von der Wahl dem
Papste gewissermaßen zur Gutheißung und mit der Zugabe der Beweg¬
gründe Kenntniß giebt oder Anzeige macht, und es soll nun Aufgabe dieser
Darstellung sein, wie nach der regelmäßig zu machenden Lebenserfahrung,
daß wie der Anfang so das Ende, im Fortgang der wie vorher gezeigt be¬
gonnenen Entwickelung Tribur nach der Mittelstation Canossa geführt hat, d. h.
wie der durch die Umstände herbeigeführte Verlauf von 887, die Entstehung
des ostfränkischen Königthums als Wahlkönigthum unter dem Einfluß .der
von Rom abhängigen hohen Geistlichkeit, gewissermaßen mit Naturnothwendig¬
keit den Fortgang genommen, daß ein späterer deutscher König, der glaubte
Erbkönig zu sein, sein königliches Dasein dem Papste zu Canossa zu Füßen legte.




Bei dieser Darstellung kommt zuerst in Betracht, daß die Zeit der Wahl
Arnulph's zugleich die Zeit ist, wo die entschiedensten Herrscher-Ansprüche des
neuen römischen Priesterstaates, der sich gleicherweise von der Herrschaft der
Longobarden, wie des oströnnschen Kaisers freigestellt hatte, mit dem Papste
an der Spitze, in den sogenannten Pseudo-Jsidorischen Dekretalen hervor¬
traten. Diese Dekretalen sind, wie die Kritik vorletzt annahm, von dem
Mainzer Diakonus Benedictus Leona, welcher 843 in einer Fortsetzung von
Ansegisus Kapitularien Karl's des Großen die Dekretalen fleißig benutzte, wie
man aber jetzt findet, in Rheims fabrizirte oder wenigstens zusammengestellte
Beschlüsse von Konzilien u. s. w., die aus den Namen eines Jsidor, wie man
auch angenommen hat, auf den des zwischen 595—636 lebenden Bischof Jsidor
von Sevilla") getauft sind. Daß sie wirklich erst der zweiten Hälfte des
9, Jahrhunderts ihr Entstehen verdanken, ergiebt sich aus dem Umstände, daß
weder Papst Hadrian (774), noch der früher lebende Mönch Dionysius der
Kleine (1- bei Rom vor 556)**) diese Dekretalen kannten, und Stellen aus
den Beschlüssen der Synode von Paris 829 wörtlich darin vorkommen, was
nicht möglich wäre, wenn sie früher zusammengestellt wären. Auch hat bereits
Erzbischof Hinkmar von Rheims sofort nach ihrem Erscheinen behauptet, daß
sie gefälscht seien. Erst Papst Nikolaus I. um 865 erklärte sich für ihre
Echtheit und machte zuerst Anwendung von ihnen.

Der Inhalt, welcher demnächst das Wesentlichste für unsere Darstellung




Vgl. Weingarten, Zeittafeln zur Kirchengeschichte. Leipzig, 1874. Härtung S. 40:
voUsc-Uo lsiüori Älsroatoris. Baur, Geschichte der Kirche des Mittelalters, S. !14 ff. Den-
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") Verfasser einer Sammlung von Kirchengesetzen d. h. von sogenannten apostolischen
Kanonen, für die römischen Bischöfe günstigen Beschlüssen der Konzilien und amtlichen Buchen
römischer Bischöfe seit dem Ende des 4. Jahrhunderts, Dekretalen genannt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/50>, abgerufen am 28.09.2024.