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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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?on Tribur nach Ganossa.
Von Wilhelm Kellner.
Die Aufrichtung des Papstthums durch die falschen Decretalen und den Orden
von Clugny.

An der Grenze des Dreieicher Reichswaldes in der Groß-Gerauer Mark
zwischen Groß-Gerau bei Darmstadt und Mainz lag ehemals eine alte Reichs-
dömäne, jetzt ein Marktflecken von ca. 1480 Einwohnern mit einem Förster-
Haus, dem Trelmrer Hof von 9 Einwohnern, genannt Tribur oder Trebur.
Hier, wo so manche Reichsversammlung abgehalten worden ist, vereinigten sich
auf Betreiben des unzufriedenen Ministers Karl's des Dicken, des Erzbischofs
Antwart von Vercelli, auch die östlichen Franken, um, da sie ebenfalls
sahen, daß die Kräfte des unfähigen Regenten zur Regierung des Reiches
nicht ausreichten, Karl den Dicken abzusetzen und an seiner Stelle seinen
Neffen, den Markgrafen Arnulph von Kärnthen zu wählen. So einfach
erzählen ') es etwa die Annalen des Klosters des heiligen Vedastas (S.
Vaeist) bei Arras. Hiernach war der Anfang des vom Gesammt-Franken-
reiche Karl's des Großen sich losreißenden ostfränkischen, später deutschen
Königthums ein W ahlkönigthum und ein Geistlicher, der auf einen
andern Geistlichen, den Erzbischof von Mainz, eifersüchtig war, leitete die
Wahl. In Rücksicht auf diesen letztern Umstand der Wahlleitung durch einen
Geistlichen heißt es dann sofort wieder zur Wahl des Nachfolgers Arnulph's
seines erst siebenjährigen Söhnchens Ludwig, i. I. 900 gleichartig in dem
Schreiben des Erzbischofs Hatto von Mainz an den Papst Johann IX.:
"Nach einer, wie wir glauben, göttlichen Eingebung ist es geschehen, daß der
Sohn unseres Seniors (!), so klein er noch ist, nach dem übereinstimmenden
Beschluß der Fürsten und der Zustimmung des ganzen Volkes zum König
erhoben ward, und weil die Könige der Franken immer aus Einem Ge¬
schlecht hervorgegangen sind, wollen wir lieber die alte Sitte bewahren, als



") Die östlichen Franken aber, da sie sahen, daß die Kräfte des Kaisers zur Regierung
des Reiches ungenügend waren, vertrieben ihn vom Reich und setzten seinen Neffen Arnulf,
den Sohn Karten-an's, auf den königlichen Thron.
Grenzboten III. 1875. 6
?on Tribur nach Ganossa.
Von Wilhelm Kellner.
Die Aufrichtung des Papstthums durch die falschen Decretalen und den Orden
von Clugny.

An der Grenze des Dreieicher Reichswaldes in der Groß-Gerauer Mark
zwischen Groß-Gerau bei Darmstadt und Mainz lag ehemals eine alte Reichs-
dömäne, jetzt ein Marktflecken von ca. 1480 Einwohnern mit einem Förster-
Haus, dem Trelmrer Hof von 9 Einwohnern, genannt Tribur oder Trebur.
Hier, wo so manche Reichsversammlung abgehalten worden ist, vereinigten sich
auf Betreiben des unzufriedenen Ministers Karl's des Dicken, des Erzbischofs
Antwart von Vercelli, auch die östlichen Franken, um, da sie ebenfalls
sahen, daß die Kräfte des unfähigen Regenten zur Regierung des Reiches
nicht ausreichten, Karl den Dicken abzusetzen und an seiner Stelle seinen
Neffen, den Markgrafen Arnulph von Kärnthen zu wählen. So einfach
erzählen ') es etwa die Annalen des Klosters des heiligen Vedastas (S.
Vaeist) bei Arras. Hiernach war der Anfang des vom Gesammt-Franken-
reiche Karl's des Großen sich losreißenden ostfränkischen, später deutschen
Königthums ein W ahlkönigthum und ein Geistlicher, der auf einen
andern Geistlichen, den Erzbischof von Mainz, eifersüchtig war, leitete die
Wahl. In Rücksicht auf diesen letztern Umstand der Wahlleitung durch einen
Geistlichen heißt es dann sofort wieder zur Wahl des Nachfolgers Arnulph's
seines erst siebenjährigen Söhnchens Ludwig, i. I. 900 gleichartig in dem
Schreiben des Erzbischofs Hatto von Mainz an den Papst Johann IX.:
„Nach einer, wie wir glauben, göttlichen Eingebung ist es geschehen, daß der
Sohn unseres Seniors (!), so klein er noch ist, nach dem übereinstimmenden
Beschluß der Fürsten und der Zustimmung des ganzen Volkes zum König
erhoben ward, und weil die Könige der Franken immer aus Einem Ge¬
schlecht hervorgegangen sind, wollen wir lieber die alte Sitte bewahren, als



") Die östlichen Franken aber, da sie sahen, daß die Kräfte des Kaisers zur Regierung
des Reiches ungenügend waren, vertrieben ihn vom Reich und setzten seinen Neffen Arnulf,
den Sohn Karten-an's, auf den königlichen Thron.
Grenzboten III. 1875. 6
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[0049] ?on Tribur nach Ganossa. Von Wilhelm Kellner. Die Aufrichtung des Papstthums durch die falschen Decretalen und den Orden von Clugny. An der Grenze des Dreieicher Reichswaldes in der Groß-Gerauer Mark zwischen Groß-Gerau bei Darmstadt und Mainz lag ehemals eine alte Reichs- dömäne, jetzt ein Marktflecken von ca. 1480 Einwohnern mit einem Förster- Haus, dem Trelmrer Hof von 9 Einwohnern, genannt Tribur oder Trebur. Hier, wo so manche Reichsversammlung abgehalten worden ist, vereinigten sich auf Betreiben des unzufriedenen Ministers Karl's des Dicken, des Erzbischofs Antwart von Vercelli, auch die östlichen Franken, um, da sie ebenfalls sahen, daß die Kräfte des unfähigen Regenten zur Regierung des Reiches nicht ausreichten, Karl den Dicken abzusetzen und an seiner Stelle seinen Neffen, den Markgrafen Arnulph von Kärnthen zu wählen. So einfach erzählen ') es etwa die Annalen des Klosters des heiligen Vedastas (S. Vaeist) bei Arras. Hiernach war der Anfang des vom Gesammt-Franken- reiche Karl's des Großen sich losreißenden ostfränkischen, später deutschen Königthums ein W ahlkönigthum und ein Geistlicher, der auf einen andern Geistlichen, den Erzbischof von Mainz, eifersüchtig war, leitete die Wahl. In Rücksicht auf diesen letztern Umstand der Wahlleitung durch einen Geistlichen heißt es dann sofort wieder zur Wahl des Nachfolgers Arnulph's seines erst siebenjährigen Söhnchens Ludwig, i. I. 900 gleichartig in dem Schreiben des Erzbischofs Hatto von Mainz an den Papst Johann IX.: „Nach einer, wie wir glauben, göttlichen Eingebung ist es geschehen, daß der Sohn unseres Seniors (!), so klein er noch ist, nach dem übereinstimmenden Beschluß der Fürsten und der Zustimmung des ganzen Volkes zum König erhoben ward, und weil die Könige der Franken immer aus Einem Ge¬ schlecht hervorgegangen sind, wollen wir lieber die alte Sitte bewahren, als ") Die östlichen Franken aber, da sie sahen, daß die Kräfte des Kaisers zur Regierung des Reiches ungenügend waren, vertrieben ihn vom Reich und setzten seinen Neffen Arnulf, den Sohn Karten-an's, auf den königlichen Thron. Grenzboten III. 1875. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/49>, abgerufen am 26.06.2024.