Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.Auch jetzt noch sitzt ein Stück dieser Anschauung festgewurzelt im Volke. Die alte Zeit kannte, wie wir sagten, diese Scheidung, aber sie legte Von dieser alten gutmüthigen oder gefaßten Ergebung in die Unabänder- Die nächsten practischen Folgen davon liegen auf der Hand: Niemand Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthcl S, Herrmann in Leipzig. Auch jetzt noch sitzt ein Stück dieser Anschauung festgewurzelt im Volke. Die alte Zeit kannte, wie wir sagten, diese Scheidung, aber sie legte Von dieser alten gutmüthigen oder gefaßten Ergebung in die Unabänder- Die nächsten practischen Folgen davon liegen auf der Hand: Niemand Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl S, Herrmann in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134306"/> <p xml:id="ID_1501"> Auch jetzt noch sitzt ein Stück dieser Anschauung festgewurzelt im Volke.<lb/> Daraus ist ja auch jene so gefährliche Specification des Begriffes „Arbeiter"<lb/> allein zu erklären, die gegenwärtig zu einem Haupt-Symptom einer allgemeinen<lb/> Erkrankung unserer socialen Zustände angeschwollen ist. Zufälligkeiten haben<lb/> es bisher verhindert, daß noch nicht alle die, welche sich in diesem Sinne als eigent¬<lb/> liche, wirkliche Arbeiter rechnen dürfen, es wirklich thun, aber die zufälligen<lb/> Schranken können fallen, und dann stehen sich in dem Bewußtsein wirklich<lb/> des ganzen Volkes zwei große Massen, Arbeiter und Nichtarbeiter, gegenüber,<lb/> während heute noch nur ein Theil der städtischen Arbeiter in den Gewerben,<lb/> Fabriken und auf Tagelohn jenen Namen als Parteinamen für sich aus¬<lb/> schließlich usurpirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1502"> Die alte Zeit kannte, wie wir sagten, diese Scheidung, aber sie legte<lb/> keine revolutionäre Bitterkeit hinein. Es war einmal so, daß manche arbei¬<lb/> teten, manche nicht und wenn auch die ersteren unleugbar es besser hatten in<lb/> der Welt, als die zweiten, die es doch eigentlich besser zu haben verdienten,<lb/> so lag das nun einmal in der für immer so geordneten Einrichtung der Welt<lb/> und der arbeitende Mann erhob sich durch das Selbstbewußtsein, „ehrliche<lb/> Arbeit" im Schweiße seines Angesichts zu schaffen, doch wieder über jene<lb/> nicht von ihm gehaßten, nur selten beneideten, aber immer mit etwas gering¬<lb/> schätzigen Augen angesehenen Müßiggänger, mochten sie immerhin in Carossen<lb/> an ihm vorbeirasseln oder in seidenen Kleidern voroeiflaniren, während er unter<lb/> des Tages Last und Hitze keuchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503"> Von dieser alten gutmüthigen oder gefaßten Ergebung in die Unabänder-<lb/> lichkeit des Bestehenden kann eine Zeit nichts mehr besitzen, deren innerste<lb/> Grundstimmung revolutionär ist. Damit ist aber auch jenes ethische Stärkungs¬<lb/> mittel, das früher das Bewußtsein der „ehrlichen Arbeit" jedem brachte, der<lb/> seiner gebrauchen wollte, um den besten Theil seiner Wirkung gekommen und<lb/> zu einem, nicht einmal auch nur so allgemein anerkannten oder gar geschätzten<lb/> zweideutigen Dinge geworden, das nicht viel mehr bedeutet, als ein Vermeiden<lb/> gewisser, im Strafgesetzbuch geahndeter Vergehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1504"> Die nächsten practischen Folgen davon liegen auf der Hand: Niemand<lb/> kann leugnen, daß im Jahre 1875 von unsern Arbeitern im weitern Sinne<lb/> des Wortes, nicht blos von den Mitgliedern des allgemeinen deutschen Ar¬<lb/> beitervereins, weniger, langsamer, fahrlässiger gearbeitet wird als im Jahre<lb/> 1805 oder auch noch 1825. Die Arbeit, wenn sie nicht in sich selbst jenes<lb/> ideale Moment trägt, was schlicht genug sonst als ehrliche Arbeit bezeichnet<lb/> wurde, muß zu einer bloßen äußerlichen Last herabfallen, die der Arbeiter so<lb/> rasch als möglich von sich abschüttelt, nachdem er sie sich vorher, so lange er<lb/> sie zu tragen gezwungen war, so leicht als möglich gemacht hat. Er ist des¬<lb/> wegen nicht unehrlicher geworden als sonst, wenn man das Wort in seinem<lb/> prosaischen, so zu sagen criminalistischen Sinne verstehen wollte, zu dem es die<lb/> jetzige Volkssprache leider mehr und mehr degradirt, aber er hat zu seinem<lb/> eigenen größten Schaden vergessen, was einst seine so viel ärmeren aber inner¬<lb/> lich so viel reicheren Väter und Großväter unter „ehrlicher Arbeit" verstan¬<lb/><note type="byline"> H. Rucke re.</note> den. — </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.<lb/> Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl S, Herrmann in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0488]
Auch jetzt noch sitzt ein Stück dieser Anschauung festgewurzelt im Volke.
Daraus ist ja auch jene so gefährliche Specification des Begriffes „Arbeiter"
allein zu erklären, die gegenwärtig zu einem Haupt-Symptom einer allgemeinen
Erkrankung unserer socialen Zustände angeschwollen ist. Zufälligkeiten haben
es bisher verhindert, daß noch nicht alle die, welche sich in diesem Sinne als eigent¬
liche, wirkliche Arbeiter rechnen dürfen, es wirklich thun, aber die zufälligen
Schranken können fallen, und dann stehen sich in dem Bewußtsein wirklich
des ganzen Volkes zwei große Massen, Arbeiter und Nichtarbeiter, gegenüber,
während heute noch nur ein Theil der städtischen Arbeiter in den Gewerben,
Fabriken und auf Tagelohn jenen Namen als Parteinamen für sich aus¬
schließlich usurpirt.
Die alte Zeit kannte, wie wir sagten, diese Scheidung, aber sie legte
keine revolutionäre Bitterkeit hinein. Es war einmal so, daß manche arbei¬
teten, manche nicht und wenn auch die ersteren unleugbar es besser hatten in
der Welt, als die zweiten, die es doch eigentlich besser zu haben verdienten,
so lag das nun einmal in der für immer so geordneten Einrichtung der Welt
und der arbeitende Mann erhob sich durch das Selbstbewußtsein, „ehrliche
Arbeit" im Schweiße seines Angesichts zu schaffen, doch wieder über jene
nicht von ihm gehaßten, nur selten beneideten, aber immer mit etwas gering¬
schätzigen Augen angesehenen Müßiggänger, mochten sie immerhin in Carossen
an ihm vorbeirasseln oder in seidenen Kleidern voroeiflaniren, während er unter
des Tages Last und Hitze keuchte.
Von dieser alten gutmüthigen oder gefaßten Ergebung in die Unabänder-
lichkeit des Bestehenden kann eine Zeit nichts mehr besitzen, deren innerste
Grundstimmung revolutionär ist. Damit ist aber auch jenes ethische Stärkungs¬
mittel, das früher das Bewußtsein der „ehrlichen Arbeit" jedem brachte, der
seiner gebrauchen wollte, um den besten Theil seiner Wirkung gekommen und
zu einem, nicht einmal auch nur so allgemein anerkannten oder gar geschätzten
zweideutigen Dinge geworden, das nicht viel mehr bedeutet, als ein Vermeiden
gewisser, im Strafgesetzbuch geahndeter Vergehen.
Die nächsten practischen Folgen davon liegen auf der Hand: Niemand
kann leugnen, daß im Jahre 1875 von unsern Arbeitern im weitern Sinne
des Wortes, nicht blos von den Mitgliedern des allgemeinen deutschen Ar¬
beitervereins, weniger, langsamer, fahrlässiger gearbeitet wird als im Jahre
1805 oder auch noch 1825. Die Arbeit, wenn sie nicht in sich selbst jenes
ideale Moment trägt, was schlicht genug sonst als ehrliche Arbeit bezeichnet
wurde, muß zu einer bloßen äußerlichen Last herabfallen, die der Arbeiter so
rasch als möglich von sich abschüttelt, nachdem er sie sich vorher, so lange er
sie zu tragen gezwungen war, so leicht als möglich gemacht hat. Er ist des¬
wegen nicht unehrlicher geworden als sonst, wenn man das Wort in seinem
prosaischen, so zu sagen criminalistischen Sinne verstehen wollte, zu dem es die
jetzige Volkssprache leider mehr und mehr degradirt, aber er hat zu seinem
eigenen größten Schaden vergessen, was einst seine so viel ärmeren aber inner¬
lich so viel reicheren Väter und Großväter unter „ehrlicher Arbeit" verstan¬
H. Rucke re. den. —
Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl S, Herrmann in Leipzig.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |