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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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schaftlich war, sehr eingeschränkt; der berichtende Geschichtschreiber, der (so zu
sagen) noch keine allgemeine Menschenerziehung, sondern nur eine volMhüm-
liche gehabt hatte, sah den fremden Staat nur durch das Glas seiner Volks-
thümlichkeit, also mit vorgefaßter Meinung, an, die Sprache war ein großes
Hinderniß der gegenseitigen Mittheilung, und suchte er Belehrung' über des
fremden Volkes Geschichte bei Fremden, so wurde er theils durch diese Unkunde
der Sprache getäuscht, theils auch von dem fremden Erzähler selbst, an den
er sich gewandt, absichtlich falsch berichtet, der es oft für eine von der Vater¬
landsliebe gebotene Pflicht ansah, dem neugierigen Fremden des eignen Landes
Macht und Herrlichkeit zu verschönern, großartiger darzustellen, oder gar des
Fremdlings Sagen auch sich anzueignen. -- Man denke nur an Herodots
egyptische Priester und deren Nachrichten von Proteus, Paris und Helena.
So haben wir über die Geschichte fremder Völker fast nur Nachrichten von
Griechen und Römern, wie sehr man aber den blinden Glauben daran zügeln
und einschränken muß, zeigt nicht nur die schon früher erwähnte Vergleichung
der hebräischen Schriftsteller mit den Nachrichten, die wir bei den Geschicht¬
schreibern beider genannten Völker finden, sondern es zeigt dasselbe auch die
Verschiedenheit, die bei griechischen Geschichtschreibern in ihren Erzählungen
von assyrischer, medischer, persischer, egyptischer Geschichte sich findet. Es ist
natürlich eben so ungerechtfertigt, Einem mit Beiseitesetzung der Uebrigen zu
folgen, als die Nachrichten Aller in eine Erzählung zu vereinigen. Es ließe
sich wohl gegen die Behauptung, daß sie alle gleich wahr oder gleich unglaub¬
würdig sind, wenig einwenden. Fügen wir noch hinzu, daß die etrurischen
Jahrbücher den römischen widersprechen (und zwar nicht allein in Betreff des
Porsenna), so kämen wir zu dem Schluß, daß wir von andern Völkern, als
Hebräern, Griechen und Römern in der ältesten Zeit gar keine eigentliche
Geschichte haben, sondern nur das, was die genannten Völker sich davon vor¬
stellten. Hier ist also in den einzelnen Thatsachen und in den dieselben be¬
gleitenden Umständen sicher manche Unrichtigkeit. -- Aber nicht Alles kann
falsch und erdichtet sein; Hauptsachen sind gewiß im allgemeinen richtig, so
sehr auch Zeit, Ort, Person und die andern die Thatsache begleitenden Um¬
stände entstellt sein mögen. Ferner muß eben nicht unberücksichtigt bleiben,
daß so, wie z. B. der Grieche persische oder egyptische Geschichte erzählt, wie
er die Verfassung und den Geist dieser Völker darstellt, allenthalben wirklich
diese Völker sich geäußert haben in den großen Weltbegebenheiten, wo sie mit
andern Völkern in Berührung kamen, daß so ihre Verfassung sich zeigte in
den Provinzen, von denen wir, wie unter den Persern von Kleinasien, nähere
Nachricht haben. So liegt also, wenn auch nicht objective, so doch subjective
Wahrheit dem Meisten zu Grunde und war Persiens Geschichte nicht genau
so, wie Herodot und besonders Ctesias sie schildern, so konnte sie doch nicht


schaftlich war, sehr eingeschränkt; der berichtende Geschichtschreiber, der (so zu
sagen) noch keine allgemeine Menschenerziehung, sondern nur eine volMhüm-
liche gehabt hatte, sah den fremden Staat nur durch das Glas seiner Volks-
thümlichkeit, also mit vorgefaßter Meinung, an, die Sprache war ein großes
Hinderniß der gegenseitigen Mittheilung, und suchte er Belehrung' über des
fremden Volkes Geschichte bei Fremden, so wurde er theils durch diese Unkunde
der Sprache getäuscht, theils auch von dem fremden Erzähler selbst, an den
er sich gewandt, absichtlich falsch berichtet, der es oft für eine von der Vater¬
landsliebe gebotene Pflicht ansah, dem neugierigen Fremden des eignen Landes
Macht und Herrlichkeit zu verschönern, großartiger darzustellen, oder gar des
Fremdlings Sagen auch sich anzueignen. — Man denke nur an Herodots
egyptische Priester und deren Nachrichten von Proteus, Paris und Helena.
So haben wir über die Geschichte fremder Völker fast nur Nachrichten von
Griechen und Römern, wie sehr man aber den blinden Glauben daran zügeln
und einschränken muß, zeigt nicht nur die schon früher erwähnte Vergleichung
der hebräischen Schriftsteller mit den Nachrichten, die wir bei den Geschicht¬
schreibern beider genannten Völker finden, sondern es zeigt dasselbe auch die
Verschiedenheit, die bei griechischen Geschichtschreibern in ihren Erzählungen
von assyrischer, medischer, persischer, egyptischer Geschichte sich findet. Es ist
natürlich eben so ungerechtfertigt, Einem mit Beiseitesetzung der Uebrigen zu
folgen, als die Nachrichten Aller in eine Erzählung zu vereinigen. Es ließe
sich wohl gegen die Behauptung, daß sie alle gleich wahr oder gleich unglaub¬
würdig sind, wenig einwenden. Fügen wir noch hinzu, daß die etrurischen
Jahrbücher den römischen widersprechen (und zwar nicht allein in Betreff des
Porsenna), so kämen wir zu dem Schluß, daß wir von andern Völkern, als
Hebräern, Griechen und Römern in der ältesten Zeit gar keine eigentliche
Geschichte haben, sondern nur das, was die genannten Völker sich davon vor¬
stellten. Hier ist also in den einzelnen Thatsachen und in den dieselben be¬
gleitenden Umständen sicher manche Unrichtigkeit. — Aber nicht Alles kann
falsch und erdichtet sein; Hauptsachen sind gewiß im allgemeinen richtig, so
sehr auch Zeit, Ort, Person und die andern die Thatsache begleitenden Um¬
stände entstellt sein mögen. Ferner muß eben nicht unberücksichtigt bleiben,
daß so, wie z. B. der Grieche persische oder egyptische Geschichte erzählt, wie
er die Verfassung und den Geist dieser Völker darstellt, allenthalben wirklich
diese Völker sich geäußert haben in den großen Weltbegebenheiten, wo sie mit
andern Völkern in Berührung kamen, daß so ihre Verfassung sich zeigte in
den Provinzen, von denen wir, wie unter den Persern von Kleinasien, nähere
Nachricht haben. So liegt also, wenn auch nicht objective, so doch subjective
Wahrheit dem Meisten zu Grunde und war Persiens Geschichte nicht genau
so, wie Herodot und besonders Ctesias sie schildern, so konnte sie doch nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/477>, abgerufen am 29.06.2024.