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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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lassen hat, die aber nachher im Laufe der Zeiten untergegangen sind. Freilich
ist hier fast mehr als sonst wo besonnene Prüfung nöthig. Wo auf dem
Denkmal ein Name, eine Thatsache wirklich verzeichnet steht, oder eine bild¬
liche Darstellung, deren Auslegung keinen Zweifel gestattet, da mag es für
glaubwürdig gelten, sofern es bewiesen werden kann, daß das betreffende
Denkmal entweder zu gleicher Zeit mit der Thatsache oder doch'zu einer Zeit
errichtet worden ist, als man die Wahrheit noch wissen mußte. Sonst unter¬
liegen die Denkmäler dem Schicksal der Sage. Ihr erster Zweck geht ver¬
loren, anderes wird an sie geknüpft, sie werden mißverstanden und falsche
Deutung giebt uns eine unrichtige Geschichte. Woher gäbe es noch oder gab
es sonst so viele Denkmäler, die den Namen der Semiramis oder des Ninus
trugen? Woher jene zweideutigen, die dem Sesostris zugeschrieben wurden,
und die Herodot noch sah? --

Den Dienst von Denkmälern thun zum Theil auch Namen, denn in
dieser vorgeschichtlichen (nicht durch Geschichtschreibung aufgehellten) Zeit eines
Volkes, wo nur Ueberlieferung und Dichtung die Begebenheiten aufbewahrt,
wurden die Thatsachen an Namen geknüpft und bei den Namen erinnerte
man sich der Thatsachen; allein der berühmtere Name verschlingt hier oft
den weniger berühmten. Weil dieser oder jener große Mann, den die Sage
verherrlicht, diese oder jene große That vollbracht, dieses oder jenes treffliche
oder gemeinnützige Werk ausgeführt hat, so werden auch ähnliche Thaten,
ähnliche Werke, deren Thäter oder Urheber man nicht mehr kennt, dem einen
berühmten Namen zugeschrieben, weshalb sich oft auf den Einen die Thatsachen
so sehr häufen, daß man nicht zu begreifen vermag, wie ein Mann das Alles
ausgerichtet haben kann, zumal wenn, was nicht selten der Fall ist, innerer
Widerspruch in den Thaten liegt. Man erinnere sich an Herkules, Sesostris,
Ninus und andere. --

Ohne weiter den Einfluß zu untersuchen, den spätere Deutung der Philo¬
sophen oder Forscher auf die Sagen ausgeübt oder näher auf die Unmöglich¬
keit einzugehen, die Zeitrechnung der verschiedenen Völker in der ältesten Ge¬
schichte übereinstimmend zu machen, wollen wir nunmehr die Zeit ins Auge
fassen, wo eigentliche Geschichtschreiber in einem Volke auftreten und sehen,
was sich dann für die Glaubwürdigkeit ergiebt. Hier können wir von der
Behauptung ausgehen, daß eigentlich nur der gleichzeitige Geschichtschreiber
über seine Zeitgeschichte, in wie weit sie sein eigenes Volk betrifft, Glauben
verdiene, denn weder das Frühere, noch das bei fremden Völkern Vorgefallene
gehört zu seiner unmittelbaren Kenntniß. Allein auch außerdem begegnet uns
der Einwand, daß der gleichzeitige Geschichtschreiber in Sachen seines eigenen
Volkes nicht immer eine lautere, zuverlässige Quelle sei. Ohne dessen zu er¬
wähnen , der sich absichtlich größere oder kleinere Ungenauigkeiten oder Ver-


lassen hat, die aber nachher im Laufe der Zeiten untergegangen sind. Freilich
ist hier fast mehr als sonst wo besonnene Prüfung nöthig. Wo auf dem
Denkmal ein Name, eine Thatsache wirklich verzeichnet steht, oder eine bild¬
liche Darstellung, deren Auslegung keinen Zweifel gestattet, da mag es für
glaubwürdig gelten, sofern es bewiesen werden kann, daß das betreffende
Denkmal entweder zu gleicher Zeit mit der Thatsache oder doch'zu einer Zeit
errichtet worden ist, als man die Wahrheit noch wissen mußte. Sonst unter¬
liegen die Denkmäler dem Schicksal der Sage. Ihr erster Zweck geht ver¬
loren, anderes wird an sie geknüpft, sie werden mißverstanden und falsche
Deutung giebt uns eine unrichtige Geschichte. Woher gäbe es noch oder gab
es sonst so viele Denkmäler, die den Namen der Semiramis oder des Ninus
trugen? Woher jene zweideutigen, die dem Sesostris zugeschrieben wurden,
und die Herodot noch sah? —

Den Dienst von Denkmälern thun zum Theil auch Namen, denn in
dieser vorgeschichtlichen (nicht durch Geschichtschreibung aufgehellten) Zeit eines
Volkes, wo nur Ueberlieferung und Dichtung die Begebenheiten aufbewahrt,
wurden die Thatsachen an Namen geknüpft und bei den Namen erinnerte
man sich der Thatsachen; allein der berühmtere Name verschlingt hier oft
den weniger berühmten. Weil dieser oder jener große Mann, den die Sage
verherrlicht, diese oder jene große That vollbracht, dieses oder jenes treffliche
oder gemeinnützige Werk ausgeführt hat, so werden auch ähnliche Thaten,
ähnliche Werke, deren Thäter oder Urheber man nicht mehr kennt, dem einen
berühmten Namen zugeschrieben, weshalb sich oft auf den Einen die Thatsachen
so sehr häufen, daß man nicht zu begreifen vermag, wie ein Mann das Alles
ausgerichtet haben kann, zumal wenn, was nicht selten der Fall ist, innerer
Widerspruch in den Thaten liegt. Man erinnere sich an Herkules, Sesostris,
Ninus und andere. —

Ohne weiter den Einfluß zu untersuchen, den spätere Deutung der Philo¬
sophen oder Forscher auf die Sagen ausgeübt oder näher auf die Unmöglich¬
keit einzugehen, die Zeitrechnung der verschiedenen Völker in der ältesten Ge¬
schichte übereinstimmend zu machen, wollen wir nunmehr die Zeit ins Auge
fassen, wo eigentliche Geschichtschreiber in einem Volke auftreten und sehen,
was sich dann für die Glaubwürdigkeit ergiebt. Hier können wir von der
Behauptung ausgehen, daß eigentlich nur der gleichzeitige Geschichtschreiber
über seine Zeitgeschichte, in wie weit sie sein eigenes Volk betrifft, Glauben
verdiene, denn weder das Frühere, noch das bei fremden Völkern Vorgefallene
gehört zu seiner unmittelbaren Kenntniß. Allein auch außerdem begegnet uns
der Einwand, daß der gleichzeitige Geschichtschreiber in Sachen seines eigenen
Volkes nicht immer eine lautere, zuverlässige Quelle sei. Ohne dessen zu er¬
wähnen , der sich absichtlich größere oder kleinere Ungenauigkeiten oder Ver-


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[0475] lassen hat, die aber nachher im Laufe der Zeiten untergegangen sind. Freilich ist hier fast mehr als sonst wo besonnene Prüfung nöthig. Wo auf dem Denkmal ein Name, eine Thatsache wirklich verzeichnet steht, oder eine bild¬ liche Darstellung, deren Auslegung keinen Zweifel gestattet, da mag es für glaubwürdig gelten, sofern es bewiesen werden kann, daß das betreffende Denkmal entweder zu gleicher Zeit mit der Thatsache oder doch'zu einer Zeit errichtet worden ist, als man die Wahrheit noch wissen mußte. Sonst unter¬ liegen die Denkmäler dem Schicksal der Sage. Ihr erster Zweck geht ver¬ loren, anderes wird an sie geknüpft, sie werden mißverstanden und falsche Deutung giebt uns eine unrichtige Geschichte. Woher gäbe es noch oder gab es sonst so viele Denkmäler, die den Namen der Semiramis oder des Ninus trugen? Woher jene zweideutigen, die dem Sesostris zugeschrieben wurden, und die Herodot noch sah? — Den Dienst von Denkmälern thun zum Theil auch Namen, denn in dieser vorgeschichtlichen (nicht durch Geschichtschreibung aufgehellten) Zeit eines Volkes, wo nur Ueberlieferung und Dichtung die Begebenheiten aufbewahrt, wurden die Thatsachen an Namen geknüpft und bei den Namen erinnerte man sich der Thatsachen; allein der berühmtere Name verschlingt hier oft den weniger berühmten. Weil dieser oder jener große Mann, den die Sage verherrlicht, diese oder jene große That vollbracht, dieses oder jenes treffliche oder gemeinnützige Werk ausgeführt hat, so werden auch ähnliche Thaten, ähnliche Werke, deren Thäter oder Urheber man nicht mehr kennt, dem einen berühmten Namen zugeschrieben, weshalb sich oft auf den Einen die Thatsachen so sehr häufen, daß man nicht zu begreifen vermag, wie ein Mann das Alles ausgerichtet haben kann, zumal wenn, was nicht selten der Fall ist, innerer Widerspruch in den Thaten liegt. Man erinnere sich an Herkules, Sesostris, Ninus und andere. — Ohne weiter den Einfluß zu untersuchen, den spätere Deutung der Philo¬ sophen oder Forscher auf die Sagen ausgeübt oder näher auf die Unmöglich¬ keit einzugehen, die Zeitrechnung der verschiedenen Völker in der ältesten Ge¬ schichte übereinstimmend zu machen, wollen wir nunmehr die Zeit ins Auge fassen, wo eigentliche Geschichtschreiber in einem Volke auftreten und sehen, was sich dann für die Glaubwürdigkeit ergiebt. Hier können wir von der Behauptung ausgehen, daß eigentlich nur der gleichzeitige Geschichtschreiber über seine Zeitgeschichte, in wie weit sie sein eigenes Volk betrifft, Glauben verdiene, denn weder das Frühere, noch das bei fremden Völkern Vorgefallene gehört zu seiner unmittelbaren Kenntniß. Allein auch außerdem begegnet uns der Einwand, daß der gleichzeitige Geschichtschreiber in Sachen seines eigenen Volkes nicht immer eine lautere, zuverlässige Quelle sei. Ohne dessen zu er¬ wähnen , der sich absichtlich größere oder kleinere Ungenauigkeiten oder Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/475>, abgerufen am 29.06.2024.