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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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mit einem Hinweis auf den großartigen Andrang, der nach den königlichen
Theatern stattfand, als seit dem 1. Mai Vorstellungen zu wesentlich ermäßigten
Preisen gegeben wurden. Es wäre höchst verdienstlich, wenn die königlichen
Bühnen diese Einrichtung dauernd beibehalten könnten. Da ihnen indeß ihr
Budget während der Höhe der Saison eine solche Freigebigkeit schwerlich ge-
statten wird, so ist es doppelt verdienstvoll, wenn eine kleinere Bühne es sich
zur Aufgabe macht, den köstlichen Schatz unserer klassischen Literatur auch für
die minder Bemittelten nutzbar zu machen.




Literatur.

Meyer's Conversationslexicon.*) Diese Blätter hatten häufig
Gelegenheit auszusprechen, daß sie keine übermäßige Vorliebe für jenen
Bildungsstandpunkt hegen, welcher auf das Conversationslexicon, wie auf ein
modernes Evangelium für den Hausgebrauch schwört. Wenn man die an-
maßliche Halbbildung, welche die große Masse in unsern Tagen beherrscht,
mit einem Worte charakterisiren wollte, so könnte man sagen: das Con¬
versationslexicon ist ihre Offenbarung. Vielleicht würde das Wort nicht buch¬
stäblich zu nehmen sein. Vielleicht fließt der Quell ihrer Durchschnittsweis¬
heit aus einem anders titulirten encyklopädischen Born. Aber irgend eine
Encyclopädie muß sein -- bis weit hinauf in Kreise, wo der xater tamilia,"
sich vielleicht schon mit der stillen Hoffnung trägt, bei irgend einer passenden
Gelegenheit das "Prädicat" Professor zu erwerben. Und dann passirt es
Wohl, daß dieser zukünftige Professor seinem "Prädicate" wesentlich näher zu
rücken glaubt, wenn er einmal im Verein für Volkserziehung einen Vortrag
hält, wo möglich den ersten, und der kann natürlich über nichts anderes
lauten, als über "Bildung und Erziehung." Und er begibt sich spornstreichs
auf irgend eine große Bibliothek -- je größer je lieber -- und fragt hier:
"Haben Sie was über Bildung und Erziehung?" Und da ihm Alles andere
zu seinem Zwecke zu weitläufig ist, so wählt er schließlich ein paar Artikel
des Conversationslextcons. Das ist buchstäblich vorgekommen; in keiner
ganz kleinen Stadt Deutschlands; in welcher, wird nicht verrathen. Und
wenn so etwas am grünen Holze geschieht, was sollen wir vom dürren
erwarten?

Wer bis hierher gelesen hat, wird mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten,
der Schreiber dieser Zeilen habe "Meyer's Conversationslexicon" nur an die



") Meyer's Conversationslexikon, !t. Auflage 1874, Bibliographisches Institut Leipzig,
d- Z. de" zum vierten Bande gediehen.

mit einem Hinweis auf den großartigen Andrang, der nach den königlichen
Theatern stattfand, als seit dem 1. Mai Vorstellungen zu wesentlich ermäßigten
Preisen gegeben wurden. Es wäre höchst verdienstlich, wenn die königlichen
Bühnen diese Einrichtung dauernd beibehalten könnten. Da ihnen indeß ihr
Budget während der Höhe der Saison eine solche Freigebigkeit schwerlich ge-
statten wird, so ist es doppelt verdienstvoll, wenn eine kleinere Bühne es sich
zur Aufgabe macht, den köstlichen Schatz unserer klassischen Literatur auch für
die minder Bemittelten nutzbar zu machen.




Literatur.

Meyer's Conversationslexicon.*) Diese Blätter hatten häufig
Gelegenheit auszusprechen, daß sie keine übermäßige Vorliebe für jenen
Bildungsstandpunkt hegen, welcher auf das Conversationslexicon, wie auf ein
modernes Evangelium für den Hausgebrauch schwört. Wenn man die an-
maßliche Halbbildung, welche die große Masse in unsern Tagen beherrscht,
mit einem Worte charakterisiren wollte, so könnte man sagen: das Con¬
versationslexicon ist ihre Offenbarung. Vielleicht würde das Wort nicht buch¬
stäblich zu nehmen sein. Vielleicht fließt der Quell ihrer Durchschnittsweis¬
heit aus einem anders titulirten encyklopädischen Born. Aber irgend eine
Encyclopädie muß sein — bis weit hinauf in Kreise, wo der xater tamilia,»
sich vielleicht schon mit der stillen Hoffnung trägt, bei irgend einer passenden
Gelegenheit das „Prädicat" Professor zu erwerben. Und dann passirt es
Wohl, daß dieser zukünftige Professor seinem „Prädicate" wesentlich näher zu
rücken glaubt, wenn er einmal im Verein für Volkserziehung einen Vortrag
hält, wo möglich den ersten, und der kann natürlich über nichts anderes
lauten, als über „Bildung und Erziehung." Und er begibt sich spornstreichs
auf irgend eine große Bibliothek — je größer je lieber — und fragt hier:
»Haben Sie was über Bildung und Erziehung?" Und da ihm Alles andere
zu seinem Zwecke zu weitläufig ist, so wählt er schließlich ein paar Artikel
des Conversationslextcons. Das ist buchstäblich vorgekommen; in keiner
ganz kleinen Stadt Deutschlands; in welcher, wird nicht verrathen. Und
wenn so etwas am grünen Holze geschieht, was sollen wir vom dürren
erwarten?

Wer bis hierher gelesen hat, wird mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten,
der Schreiber dieser Zeilen habe „Meyer's Conversationslexicon" nur an die



") Meyer's Conversationslexikon, !t. Auflage 1874, Bibliographisches Institut Leipzig,
d- Z. de« zum vierten Bande gediehen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/47>, abgerufen am 26.06.2024.