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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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sein, daß irgend eine lustige Gesellschaft sich bereits vor ihm eingestellt hat,
Männlein und Weiblein in bunter Mischung, die sich mit allerlei munteren
Spielen unterhält, mit den geleerten Weinflaschen nach den Baumstämmen
zielt und auf dem Gipfel der Ausgelassenheit ihrem gefühlvollen Herzen mit
einem "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" oder sonst dergleichen Luft macht.
Oder man rudere über die seeartige Havel hinüber nach dem reizend gele¬
genen, hügeligen Pichelswerder! Wie süß ließe steh's träumen am friedlichen
Gestade dieses ruhigen Wasserspiegels, umsäumt von dichter Fvhrenwaldung,
in deren würzigem Hauch die Brust sich leichter hebt! Aber ein wahres Jahr¬
marktsgetümmel schlägt hier an das Ohr: Tanzmusik, Leierkasten, Lieder- und
Gläserklang -- Alles im lustigen Durcheinander. Kurz, für die Sentimen¬
talität und die einsame Beschaulichkeit ist schlechterdings kein Plätzchen vor¬
handen, und so bleibt dem, der gezwungen ist, mit den Wölfen zu heulen,
nichts übrig, als dem seltsamen Vergnügen, welches der Berliner eine "Land-
Partie" nennt, auch seinerseits Geschmack abzugewinnen.

Sehr anerkennenswert!) ist übrigens, welch' bescheidene Ansprüche der
Berliner an sein "Sommervergnügen" zu stellen gewohnt ist. Ueberhaupt
darf betont werden, daß der Berliner, der auswärts wegen seines patzigen
und hochmüthigen Wesens verrufen ist -- und als Tourist verdient er diesen
Ruf allerdings nur zu oft --, in der Heimath sich befleißigt, die Gemüth¬
lichkeit und Zufriedenheit selbst zu sein. Nicht selten habe ich meine herzliche
Freude gehabt an der fast ausfallenden Harmlosigkeit, mit welcher die Leute
aus dem besser situirter Bürgerthum sich auf ihren Ausflügen die Zeit ver¬
treiben. Und geradezu rührend ist die Genügsamkeit der unteren Schichten.
Wer an einem schönen Sonntagnachmittag Treptow, das "Eierhäuschen" oder
wie sonst die Vergnügungsorte an der oberen Spree heißen, besucht, kann
si'hen, wie sich die reifere Jugend der östlichen Stadtviertel auf jedem beliebigen
freien Platz, und wär's auch nur ein sandiger Feldweg, trotz Sonnenbrandes
nach einem elenden Leierkasten im Tanze dreht, oder wie sie sich stundenlang
mit wahrhaft bewundernswerther Ausdauer mit den kindlichsten Spielen be¬
lustigt. Mir fielen die entlegensten Tage meiner Kindheit ein, als ich neulich
eine solche Gruppe von "Herren" und "Damen" mit freudestrahlenden Ge¬
sichtern die Geschichte vom Bauer, der in's Kirmeßholz fuhr und sich ein
Kirmeßweib nahm, aufführen sah. Ich glaube, es ist nicht unnütz, diesen
Charakterzug der niederen Schichten unserer Bevölkerung zu erwähnen. Die
Tagespresse befleißigt sich, den Lesern im Reich jeden hervorragenderen Aus¬
bruch roher und verbrecherischer Leidenschaften mit düsteren Farben zu schildern;
da fordert denn die Gerechtigkeit, auch einmal die erfreulicheren Erscheinungen
zu registriren. Jene traurigen Schattenseiten hat die Bevölkerung jeder Groß-


sein, daß irgend eine lustige Gesellschaft sich bereits vor ihm eingestellt hat,
Männlein und Weiblein in bunter Mischung, die sich mit allerlei munteren
Spielen unterhält, mit den geleerten Weinflaschen nach den Baumstämmen
zielt und auf dem Gipfel der Ausgelassenheit ihrem gefühlvollen Herzen mit
einem „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" oder sonst dergleichen Luft macht.
Oder man rudere über die seeartige Havel hinüber nach dem reizend gele¬
genen, hügeligen Pichelswerder! Wie süß ließe steh's träumen am friedlichen
Gestade dieses ruhigen Wasserspiegels, umsäumt von dichter Fvhrenwaldung,
in deren würzigem Hauch die Brust sich leichter hebt! Aber ein wahres Jahr¬
marktsgetümmel schlägt hier an das Ohr: Tanzmusik, Leierkasten, Lieder- und
Gläserklang — Alles im lustigen Durcheinander. Kurz, für die Sentimen¬
talität und die einsame Beschaulichkeit ist schlechterdings kein Plätzchen vor¬
handen, und so bleibt dem, der gezwungen ist, mit den Wölfen zu heulen,
nichts übrig, als dem seltsamen Vergnügen, welches der Berliner eine „Land-
Partie" nennt, auch seinerseits Geschmack abzugewinnen.

Sehr anerkennenswert!) ist übrigens, welch' bescheidene Ansprüche der
Berliner an sein „Sommervergnügen" zu stellen gewohnt ist. Ueberhaupt
darf betont werden, daß der Berliner, der auswärts wegen seines patzigen
und hochmüthigen Wesens verrufen ist — und als Tourist verdient er diesen
Ruf allerdings nur zu oft —, in der Heimath sich befleißigt, die Gemüth¬
lichkeit und Zufriedenheit selbst zu sein. Nicht selten habe ich meine herzliche
Freude gehabt an der fast ausfallenden Harmlosigkeit, mit welcher die Leute
aus dem besser situirter Bürgerthum sich auf ihren Ausflügen die Zeit ver¬
treiben. Und geradezu rührend ist die Genügsamkeit der unteren Schichten.
Wer an einem schönen Sonntagnachmittag Treptow, das „Eierhäuschen" oder
wie sonst die Vergnügungsorte an der oberen Spree heißen, besucht, kann
si'hen, wie sich die reifere Jugend der östlichen Stadtviertel auf jedem beliebigen
freien Platz, und wär's auch nur ein sandiger Feldweg, trotz Sonnenbrandes
nach einem elenden Leierkasten im Tanze dreht, oder wie sie sich stundenlang
mit wahrhaft bewundernswerther Ausdauer mit den kindlichsten Spielen be¬
lustigt. Mir fielen die entlegensten Tage meiner Kindheit ein, als ich neulich
eine solche Gruppe von „Herren" und „Damen" mit freudestrahlenden Ge¬
sichtern die Geschichte vom Bauer, der in's Kirmeßholz fuhr und sich ein
Kirmeßweib nahm, aufführen sah. Ich glaube, es ist nicht unnütz, diesen
Charakterzug der niederen Schichten unserer Bevölkerung zu erwähnen. Die
Tagespresse befleißigt sich, den Lesern im Reich jeden hervorragenderen Aus¬
bruch roher und verbrecherischer Leidenschaften mit düsteren Farben zu schildern;
da fordert denn die Gerechtigkeit, auch einmal die erfreulicheren Erscheinungen
zu registriren. Jene traurigen Schattenseiten hat die Bevölkerung jeder Groß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/45>, abgerufen am 21.10.2024.