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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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fort und begruben sie mit großer Feierlichkeit. Eben wollte nun der Scharf¬
richter Schigajemon seinen Speer nach Sogoro werfen, als dessen Frau ihre
Stimme erhob und sagte: "Bedenke, lieber Gatte, daß du von Anfang an
auf dieses Schicksal vorbereitet warst. Wenn nun unsere todten Körper
schimpflich an diesen Kreuzen ausgestellt bleiben müssen, so haben wir doch
die Verheißungen der Götter vor uns. Darum trauere nicht. Laß uns dem
Tode unverzagt ins Antlitz schauen. Wir nähern uns dem Paradiese und
werden bald mit allen Heiligen vereinigt sein. Laß uns fröhlich unser armes
Leben zum Heile für Viele dahin geben. Der Mensch lebt nur für eine
Generation, aber sein Name durchdauert viele. Ein guter Name ist höher
zu achten als das Leben." So sprach sie, und Sogoro lächelte von seinem
Kreuze herab und antwortete: "Wohl gesprochen, mein liebes Weib. Wenn
wir auch für Viele leiden müssen, unser Gnadengesuch hat seinen Zweck er¬
reicht, und es bleibt uns nichts zu wünschen übrig. Ich bin glücklich. Das
Leben ist vielen Wechselfällen unterworfen. Aber hätte ich auch fünfhundert
Leben und könnte fünfhundert Mal diese meine Gestalt wieder annehmen,
so wollte ich doch fünfhundert Mal wünschen, zu sterben, um so große Un¬
gerechtigkeiten zu beseitigen. So bin ich nicht um meinetwillen betrübt, nur
daß meine Frau und meine Kinder bestraft werden, ist zu viel. Das ist un¬
barmherzig und grausam. Darum mag sich mein Herr mit eisernen Wänden
umgeben, so soll mein Geist sie doch durchbrechen und seine Knochen zermalmen
zum Lohne für seine schlimme That." Und wie er das sprach, wurden seine
Augen gluthroth und strahlten wie die Sonne oder der Mond, und er sah
aus wie der Dämoy Natsesu. "Komm denn, Henker!" schrie er laut, "beeile
dich und durchbohre mich mit deinem Speer." -- "Dein Wunsch soll dir
werden", sagte Schigajemon und warf ihm dem Speer in die rechte Seite,
daß er zur linken wieder herausdrang und das Blut wie ein Springquell
emporspritzte. Darauf durchbohrte er die Frau in der linken Seite. Sie
schlug ihre Augen auf und sagte mit sterbender Stimme: "Lebt wohl, alle,
die Ihr zugegen seid. Möge Trübsal euch fern bleiben. Lebt wohl, lebt
wohl!" Da wurde ihr ein zweiter Speer in die rechte Seite geworfen, und
sie gab ihren Geist aus. Sogoro aber zeigte keine Spur von Furcht und
Schmerz, er veränderte nicht einmal seine Gesichtsfarbe. Vielmehr öffnete er
seine Augen weit und sprach: "Hört, meine Herren, alle, die Ihr gekommen
seid, dieses Schauspiel anzusehen. Denkt daran, daß ich meinen Herrn, den
Kotsuke no Suke, für sein heutiges Werk bezahlen werde. Ihr werdet es mit
eigenen Augen sehen, und kommende Geschlechter werden davon zeugen.
Zum Zeichen soll nach meinem Tode mein Kopf sich wenden und gegen das
Schloß Hinsehen."

Als er das gesagt, gab der Beamte, der die Hinrichtung leitete, dem


fort und begruben sie mit großer Feierlichkeit. Eben wollte nun der Scharf¬
richter Schigajemon seinen Speer nach Sogoro werfen, als dessen Frau ihre
Stimme erhob und sagte: „Bedenke, lieber Gatte, daß du von Anfang an
auf dieses Schicksal vorbereitet warst. Wenn nun unsere todten Körper
schimpflich an diesen Kreuzen ausgestellt bleiben müssen, so haben wir doch
die Verheißungen der Götter vor uns. Darum trauere nicht. Laß uns dem
Tode unverzagt ins Antlitz schauen. Wir nähern uns dem Paradiese und
werden bald mit allen Heiligen vereinigt sein. Laß uns fröhlich unser armes
Leben zum Heile für Viele dahin geben. Der Mensch lebt nur für eine
Generation, aber sein Name durchdauert viele. Ein guter Name ist höher
zu achten als das Leben." So sprach sie, und Sogoro lächelte von seinem
Kreuze herab und antwortete: „Wohl gesprochen, mein liebes Weib. Wenn
wir auch für Viele leiden müssen, unser Gnadengesuch hat seinen Zweck er¬
reicht, und es bleibt uns nichts zu wünschen übrig. Ich bin glücklich. Das
Leben ist vielen Wechselfällen unterworfen. Aber hätte ich auch fünfhundert
Leben und könnte fünfhundert Mal diese meine Gestalt wieder annehmen,
so wollte ich doch fünfhundert Mal wünschen, zu sterben, um so große Un¬
gerechtigkeiten zu beseitigen. So bin ich nicht um meinetwillen betrübt, nur
daß meine Frau und meine Kinder bestraft werden, ist zu viel. Das ist un¬
barmherzig und grausam. Darum mag sich mein Herr mit eisernen Wänden
umgeben, so soll mein Geist sie doch durchbrechen und seine Knochen zermalmen
zum Lohne für seine schlimme That." Und wie er das sprach, wurden seine
Augen gluthroth und strahlten wie die Sonne oder der Mond, und er sah
aus wie der Dämoy Natsesu. „Komm denn, Henker!" schrie er laut, „beeile
dich und durchbohre mich mit deinem Speer." — „Dein Wunsch soll dir
werden", sagte Schigajemon und warf ihm dem Speer in die rechte Seite,
daß er zur linken wieder herausdrang und das Blut wie ein Springquell
emporspritzte. Darauf durchbohrte er die Frau in der linken Seite. Sie
schlug ihre Augen auf und sagte mit sterbender Stimme: „Lebt wohl, alle,
die Ihr zugegen seid. Möge Trübsal euch fern bleiben. Lebt wohl, lebt
wohl!" Da wurde ihr ein zweiter Speer in die rechte Seite geworfen, und
sie gab ihren Geist aus. Sogoro aber zeigte keine Spur von Furcht und
Schmerz, er veränderte nicht einmal seine Gesichtsfarbe. Vielmehr öffnete er
seine Augen weit und sprach: „Hört, meine Herren, alle, die Ihr gekommen
seid, dieses Schauspiel anzusehen. Denkt daran, daß ich meinen Herrn, den
Kotsuke no Suke, für sein heutiges Werk bezahlen werde. Ihr werdet es mit
eigenen Augen sehen, und kommende Geschlechter werden davon zeugen.
Zum Zeichen soll nach meinem Tode mein Kopf sich wenden und gegen das
Schloß Hinsehen."

Als er das gesagt, gab der Beamte, der die Hinrichtung leitete, dem


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[0421] fort und begruben sie mit großer Feierlichkeit. Eben wollte nun der Scharf¬ richter Schigajemon seinen Speer nach Sogoro werfen, als dessen Frau ihre Stimme erhob und sagte: „Bedenke, lieber Gatte, daß du von Anfang an auf dieses Schicksal vorbereitet warst. Wenn nun unsere todten Körper schimpflich an diesen Kreuzen ausgestellt bleiben müssen, so haben wir doch die Verheißungen der Götter vor uns. Darum trauere nicht. Laß uns dem Tode unverzagt ins Antlitz schauen. Wir nähern uns dem Paradiese und werden bald mit allen Heiligen vereinigt sein. Laß uns fröhlich unser armes Leben zum Heile für Viele dahin geben. Der Mensch lebt nur für eine Generation, aber sein Name durchdauert viele. Ein guter Name ist höher zu achten als das Leben." So sprach sie, und Sogoro lächelte von seinem Kreuze herab und antwortete: „Wohl gesprochen, mein liebes Weib. Wenn wir auch für Viele leiden müssen, unser Gnadengesuch hat seinen Zweck er¬ reicht, und es bleibt uns nichts zu wünschen übrig. Ich bin glücklich. Das Leben ist vielen Wechselfällen unterworfen. Aber hätte ich auch fünfhundert Leben und könnte fünfhundert Mal diese meine Gestalt wieder annehmen, so wollte ich doch fünfhundert Mal wünschen, zu sterben, um so große Un¬ gerechtigkeiten zu beseitigen. So bin ich nicht um meinetwillen betrübt, nur daß meine Frau und meine Kinder bestraft werden, ist zu viel. Das ist un¬ barmherzig und grausam. Darum mag sich mein Herr mit eisernen Wänden umgeben, so soll mein Geist sie doch durchbrechen und seine Knochen zermalmen zum Lohne für seine schlimme That." Und wie er das sprach, wurden seine Augen gluthroth und strahlten wie die Sonne oder der Mond, und er sah aus wie der Dämoy Natsesu. „Komm denn, Henker!" schrie er laut, „beeile dich und durchbohre mich mit deinem Speer." — „Dein Wunsch soll dir werden", sagte Schigajemon und warf ihm dem Speer in die rechte Seite, daß er zur linken wieder herausdrang und das Blut wie ein Springquell emporspritzte. Darauf durchbohrte er die Frau in der linken Seite. Sie schlug ihre Augen auf und sagte mit sterbender Stimme: „Lebt wohl, alle, die Ihr zugegen seid. Möge Trübsal euch fern bleiben. Lebt wohl, lebt wohl!" Da wurde ihr ein zweiter Speer in die rechte Seite geworfen, und sie gab ihren Geist aus. Sogoro aber zeigte keine Spur von Furcht und Schmerz, er veränderte nicht einmal seine Gesichtsfarbe. Vielmehr öffnete er seine Augen weit und sprach: „Hört, meine Herren, alle, die Ihr gekommen seid, dieses Schauspiel anzusehen. Denkt daran, daß ich meinen Herrn, den Kotsuke no Suke, für sein heutiges Werk bezahlen werde. Ihr werdet es mit eigenen Augen sehen, und kommende Geschlechter werden davon zeugen. Zum Zeichen soll nach meinem Tode mein Kopf sich wenden und gegen das Schloß Hinsehen." Als er das gesagt, gab der Beamte, der die Hinrichtung leitete, dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/421>, abgerufen am 26.06.2024.